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Leben

Wer sich Zeit nimmt, 21 Tage oder mehr zu gehen, zu pilgern, wird an sich selber wesentliche Veränderungen erleben. Wohltuend, befreiend, vertiefend. Pilgern gibt der Seele Luft zum Durchatmen, ist befreiend und vertiefend zugleich. Wo der Weg zum Ziel wird.

Wenn ich mein Weitgehen 2004 von Bregenz nach Rust über 28 Tage, 2009 von Kirchschlag bei Linz nach Assisi über 52 Tage und 2012 von Kirchschlag aus nach Norden in das Kloster Volkenroda in Thüringen über 26 Tage Revue passieren lasse und in einem Satz zusammenfassen müsste, dann würde ich sagen: Das Pilgern gibt der Seele Luft.Als ich 2009 in Assisi angekommen bin, habe ich viele SMS an Freunde und Bekannte verschickt: „In Assisi angekommen. Ich bin da.“ Drei haben zurückgeschrieben: „Gratuliere zu deiner Leistung.“ Diesen drei Personen habe ich sofort geantwortet: „Das ist keine Leistung, das ist ein Geschenk.“ Wenn die Seele in die Natur, in die Luft und in die Bewegung kommt, breitet sich eine tiefe Haltung der Dankbarkeit aus. Diese tiefe Dankbarkeit dem Leben gegenüber, so wie es dir entgegenkommt. Schritt für Schritt. Tag für Tag.

 

Pilgern gibt der Seele Luft zum Durchatmen, ist befreiend und vertiefend zugleich.Wo der Weg zum Ziel wird.

 

 

Drei Dimensionen des Gehens

Gehen und pilgern hat aus meiner Erfahrung drei Dimensionen: körperlich, mental und spirituell. Das Gehen ist die Bestimmung des Körpers. Den Rucksack und mich selber habe ich nie gewogen. Ich tue das deshalb nicht, weil sich sonst zu viele Zahlen im Kopf breitmachen. Ich zähle auch keine Kilometer oder Höhenmeter. Kein Navi und wenig Handy. Ich habe jedes Mal gespürt, dass der Körper im Gehen in seinen Rhythmus und in die Kraft hineinwächst. „Wie lange hast du hintrainiert?“, war eine häufige Frage. Meine Erfahrung: Wer nicht ganz bewegungsunfähig ist, wird die körperlichen Herausforderungen bestehen. Die Kraft kommt im Gehen. Das Essen wird weniger, Müdigkeit wandelt sich nach etwa zehn Tagen in Lust an der Bewegung, kleinere körperliche Gebrechen wie Blasen werden ‚verschmerzt‘, vergehen. Früher oder später kommt die Phase, wo der Körper mit dir geht. Von dort kommt der Ausspruch: Pilgern ist beten mit den Füßen. Dazu: Ich habe abgenommen. Mut, Kraft, Lebensfreude und Klarheit sind mehr geworden.

 

 

 

Das Ziel imaginieren

„Wie hält man so weit gehen aus?“, werde ich manchmal gefragt. Mental hat mir sehr geholfen, dass ich mir das Ziel immer wieder vor Augen geführt habe. In Bregenz habe ich die Zehe in den See gehalten und mir immer wieder vorgestellt, imaginiert, dass ich dieselbe Zehe in den Neusiedler See halte. Auf der Stolzalpe habe ich mich genau so hingesetzt, dass ich nach Assisi ‚geschaut‘ habe. Wer ein Haus gebaut hat, weiß den Unterschied, ob ich den Schotterhaufen als solchen sehe oder mir bei der Arbeit vorstelle, wie ich mit der Familie beim Essen am Kamin sitze. Die Arbeit wird leichter, jeder Schritt bekommt eine Weite. So ist es mit den vielen Schritten auf ein Ziel hin. Viel mentale Stärke schöpfe ich immer aus der unmittelbaren Begegnung mit den Menschen am Weg. Ich empfinde es als nährend, von den Lebensumständen der Menschen am Weg zu erfahren, ‚sich nähren zu lassen‘. Deshalb frage ich immer nach dem Weg. Auch die Unterkunft reserviere ich nie, weil Menschen am Weg mich unterbringen. Diese Begegnungen aus einer ‚empathischen Neugierde‘ haben mich immer genährt. Zehrende Situationen und Begegnungen meide ich. Mein Leitsatz: So wie du denkst, bist du. So wie du bist, strahlst du aus. Und was du ausstrahlst, bekommst du zurück. Deshalb: Achte auf deine Gedanken. Ich habe mich immer als Pilger gedacht, mit meinen und den mitgenommenen Anliegen anderer auf das Pilgerziel hin. Das spüren die Menschen und ein paar Mal bin ich von Wildfremden fest umarmt worden.

 

Drei Wochen – sieben Stunden am Tag

Meine über 85-jährige Mutter hat zu mir 2004 etwas sorgenvoll gemeint: „Du wirst dich noch umbringen mit deinem Gehen.“ Als ich sie nach 30 Tagen in die Arme schloss, hat sie mich angesehen und gemeint: „Du schaust ja jünger aus.“ Weit gehen nährt, ist heilsam. So rate ich oft Menschen, zumindest drei Wochen lang sieben Stunden am Tag in einem Stück zu gehen. Eine Kur dauert drei Wochen und früher hat man drei Wochen Urlaub gemacht. Das war aus meiner Erfahrung sehr klug. In diesen drei Wochen wirst du ein neuer Mensch, körperlich, mental und spirituell. Meine Erfahrung: Die Seele geht, sie braucht Luft und Bewegung.

 

Mag. Ferdinand Kaineder, geboren 1957 in Kirchschlag bei Linz, ist Theologe, Coach und Kommunikations- sowie PR-Berater. www.kaineder.at

 
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Kommentare  
# Samana Johann 2015-11-29 05:49
Wer immer geht, um dann erst recht wieder zurück zu kehren, ist noch nicht gegangen, sondern hofft sich das Heil durch Beten anzueignen. Wer immer Fortscheitet und nicht zurückkehrt, und seien es nur ein zwei Schritte, jenen kann man als Wanderer, als einen der Fortgezogen ist bezeichnen.

Wer immer das Wandern "ausübt", um es als Mittel und Werbung für Handel zu verwenden, kenne ihn als des heiligen Lebens Dieb.
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# Albert Pichler 2016-08-28 14:29
Danke für deine Gedanken. Vieles deckt sich mit meinen eigenen Pilgererfahrungen. Heuer bin ich erstmals ganz allein von Metz nach Vezelay gepilgert, auf einer wenig begangenen Strecke. Da habe ich viel gelernt. Es war eine Art Reifeprüfung am Beginn meiner Pension.
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# Samana Johann 2017-05-07 10:20
Mudita!
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