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Leben

Kein dicker Bauch, kein Dauerlachen, auch keine Statue – und doch sind es Buddhas, denen ich im Alltag begegne. Drei Porträts ganz verschiedener Buddha-Persönlichkeiten.

Ich habe Buddha getroffen, heute im Park. Er geht an meiner Seite mit größeren Schritten als ich. Mein Buddha hat die Hände in den Taschen und sehr lange Füße. Ich schaue nach unten und rätsle, welche Schuhgröße diese bunten Sneakers haben, 47 vielleicht? Mein Buddha sucht meinen Blick im Gehen, während er redet. „Patchwork", sagt er gerade und lacht. Mein Buddha hat dunkle Locken und eine große Familie, die bunt zusammengenäht ist. So bunt, dass es einen Nachmittag dauert, bis ich verstanden habe, wie die Geschwister, Onkel und Elternteile zu meinem Buddha gehören. Er zeigt mir ein Familienbild und wir lachen beide. Da steht er ganz groß, in Lederhosen und Karohemd, an der Seite einer Gruppe, die Trachten trägt und anders aussieht. Mein Buddha mag seine Familie gern. Überhaupt mag er Menschen. Er schaut sie mit neugierigen braunen Augen an. Er stellt ihnen Fragen mit dunkler Stimme. Er erzählt ihnen seine Ideen oder er lächelt still. Jetzt redet er, weil ich frage. Wir gehen im gleichen Takt und ich genieße, dass ich mit meinem Buddha spazieren bin. Er spricht von seiner täglichen Praxis, den Bowings, der Meditation, den Lectures und ich ertappe mich, dass ich auf seinen Worten gleite, anstatt genau hinzuhören. Zwischen den Inhalten schwingt Ruhe zu mir, Wärme, Klarheit. Wir gehen schweigend. Ob er schon vorher so war, so gelassen, achtsam und heiter, will ich wissen. Er lacht. „Wenn du mich früher gekannt hättest, hätt'st du mich wahrscheinlich nicht interviewt." Hektisch sei er gewesen, schnell gestresst, ungeduldig mit anderen. Vor einem Jahr ist mein Buddha dem BUDDHA begegnet und Buddhist geworden. Als ich ihn kennengelernt habe, wusste ich das nicht. Er war ‚Philipp, 26, Filmemacher', die neue Flamme meiner Freundin. Und er war einer dieser Buddhas, denen ich manchmal begegne – Menschen, die etwas mit mir machen, ohne dass sie etwas tun.

Sie sind groß oder klein, jung oder alt, Frauen oder Männer. Sie lächeln meist auf eine besondere Art und auch wenn sie stehen oder gehen, wirkt es, als sitzen sie zurückgelehnt in sich und schauen liebevoll an, was um sie herum passiert. Diese Menschen haben ihr eigenes Tempo. Sie sind vielleicht erst 20, aber erinnern mich an Greise mit ihrer gelassenen Ruhe gegenüber dem Rauschen der Welt. Ich liebe diese Buddhas, weil sie ansteckend sind. Wir unterhalten uns kurz, wir gehen vielleicht ein Stück zusammen oder manchmal schaue ich einen fremden Buddha nur an, länger als ein üblicher Blick, und werde ruhig und gelassen dabei. Herrlich auch, wenn ich einem Buddha begegne, während ich mitten im Drama bin – Beziehungsthemen, Eifersucht, Geldangst oder Einsamkeit. Ich schildere das ganze Dilemma – und ernte ein Lachen. Oder ein Schweigen. Oder eine ganz andere Perspektive auf das ‚Problem'. Plötzlich ist es nur noch eine aufgeblasene Hülle und ich finde den Inhalt nicht mehr.

Erleichternd für mich, dass meine Buddhas selbst auch noch ‚Probleme' haben. Philipp müht sich mit konsequenter täglicher Praxis und mit der Ernüchterung in der Achtsamkeit. „Wie oft erlebe ich mich anhaften und mit alten Mustern anspringen." Für beide Themen helfe ihm Wohlwollen mit sich selbst. Der freiberufliche Filmautor braucht jede Minute, wenn ein Filmprojekt Hochphase hat. Dann dürfen auch mal nur zehn Minuten Sitzen am Morgen reichen, sagt er. Und was das Anhaften angeht: „Ich übe", sagt er und grinst.

Auch mein weiblicher Buddha kann an die Decke gehen. Die Tochter ist krank, der Haushalt ein Chaos, auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Reader fürs Studium, ihr Freund hat kurzfristig noch eine Prüfung angemeldet und fällt als Papa aus. „Mann!!!" Gesines rechte Hand fährt durch die Luft, als schlägt sie in ein imaginäres Kissen. Sie verzieht das Gesicht und schaut mich mit krauser Stirn an, als ob gleich die Welt untergeht. Dann bewegt sich die Haut um ihre Augen und die kleinen Fältchen, die ich so gut kenne, kommen wieder zum Vorschein. Sie schaut mich immer noch an und als ob sie es nicht stoppen kann, verzieht sich ihr Mund zu einem Grinsen. Sie atmet tief durch und nimmt mich fest in den Arm. Als sie mich wieder loslässt, strahlt sie mich an. „Schön, dass du da bist!" Zehn Minuten später stapfen wir durch den Wald. Buddhas wandern wohl gern?

Gesine hat das Kind warm ins Tragetuch gewickelt, Haushalt und Freund sich selbst überlassen und geht jetzt leichten Schrittes neben mir. Sie zeigt mir, wo sie im Frühjahr Bärlauch pflückt, sie begrüßt Spaziergänger, die uns begegnen, sie sorgt dafür, dass die kleine Daria ein Laubblatt zum Spielen hat, und sie hört mir zu. Kein Mensch, den ich kenne, hört so zu wie dieser Buddha. Was immer ich mitbringe, alles hat Platz. Still und aufmerksam folgt sie meinen Geschichten. Wenn ich dabei ihrem Blick begegne, sehen mich zwei grüne Augen liebevoll an. ‚Gütig' nenne ich diesen Blick – wie der einer uralten Frau mit warmen, runzligen Fingern, aus deren Gesicht Weisheit und Liebe lächeln. Die zarte Frau neben mir ist erst 28. Zügig geht sie die winterlichen Wege entlang, dass ich Mühe habe, Schritt zu halten. Trotzdem steht die Zeit still neben meinem Buddha. Manchmal sagt sie etwas, fragt oder schweigt nachdenklich. Ich könnte ewig so mit ihr gehen. Nach dem Spaziergang bin ich klar und leicht. Die Schwere im Herzen hat sich aufgelöst. Hungrig sitze ich bei meinem Buddha in der Küche und schaue ihr zu, wie sie Tee kocht und Kuchen schneidet. Neben Muttersein, Ethnologiestudium, der Arbeit bei einem jüdischen Kulturmagazin, Engagement in einer Food-Kooperative und Ehrenamt führt sie einen Bio-Haushalt. Alles ist selbst gekocht und gebacken, gepflückt, getrocknet oder eingelegt. „Bei uns bleibt niemand hungrig!" Sie lacht. Ob sie gläubig ist, frage ich. „Nicht so sehr. Ich gehe nicht in die Kirche. Aber ich glaube an eine höhere Macht, die uns beschützt, zu ihr bete ich abends." Auf die Frage nach dem Sinn ihres Lebens sagt sie, dass sie gern lebt und versucht, dort, wo sie ist, ein gutes Miteinander zu gestalten. „Die Erde zu einem schönen Ort machen." Und was ist ihr Ziel im Leben? „Dass es mir gelingt, aus dem Abhak-Modus ins Jetzt zu kommen und den Augenblick erfüllt zu leben und zu genießen." Sie schaut mich lächelnd an und beißt in ein Stück frischen Mohnkuchen.

„Danke, ich ess' kein Fleisch." Buddha Nummer 3 lehnt ab, als ich ihm meine Hühnersuppe zum Probieren anbiete. Es ist kalt, draußen schneit es und die warme Suppe duftet. „Nicht, weil es mir nicht schmeckt, einfach aus Mitleid mit den Tieren." Jan ist seit zwölf Jahren Buddhist. Als ich ihm erzähle, dass er einer meiner Buddhas ist, freut er sich und zögert zugleich. „Ich höre so was öfter und empfinde es als Kompliment, dass es mir gelingt, diese Qualitäten ein Stück weit zu leben." Aber es beschäme ihn auch, sagt er. „Das sind große Fußstapfen!" Leser, die in Buddha einen Gott sehen, könnten es als größenwahnsinnig und anmaßend verstehen. Wir sitzen in einem Café und fallen wahrscheinlich niemandem hier als größenwahnsinnig auf. Der junge Mann mir gegenüber im hellen Wollpulli spricht leise, die feingliedrigen Finger liegen ruhig in seinem Schoß. Neben ihm seine Tasche mit Yoga-Klamotten – eine Überraschung für mich. Ich kenne Jan erst seit kurzem und baue Satz um Satz von ihm wie Puzzleteile zu einem Bild zusammen.

Mit 18 Jahren hat Jan Thich Nhat Hanhs Schriften gelesen und sich für den vietnamesischen Mönch begeistert. „Ich habe seine Bücher verschlungen!" Eine Woche im französischen Zentrum des Mönchs und eine Meditationsgruppe, die Jan in Wien mitorganisiert hat, waren der Weg ins regelmäßige Sitzen. Was er macht, macht der 32-jährige Energiemanager ernsthaft. Im Beruf optimiert er Energieanlagen, im Privaten optimiert er Bewusstsein. Mit klarem Blick schaut er mich an, während er von seiner Auseinandersetzung mit dem Buddhismus, mit philosophischen und spirituellen Richtungen erzählt. „Deshalb auch das Yoga. Durch meine Beschäftigung mit der integralen Lebenspraxis nach Ken Wilber ist mir deutlich geworden, dass es mir wichtig ist, den Körper mit einzubeziehen und in Schwung zu halten." Jan erzählt von seinem Entwicklungsweg. Ruhig, beobachtend und wenig emotional sei er schon als Junge daheim im ländlichen Umfeld gewesen. Als dem Jugendlichen diese Qualitäten im Buddhismus begegnet sind, war er begeistert von der Idee, sie zu perfektionieren. Heute distanziert er sich wieder. „Im Buddhismus wird das ja mancherorts idealisiert. Aber mittlerweile ist es für mich nur ein Teil meines Ziels. Ich will genauso aktiv sein und positiv emotional. Ich will mich so richtig mitfreuen können mit anderen." Seiner langen Übung in Präsenz und Wahrnehmungsbeobachtung habe er zwar ein intensiveres Sinnes-Erleben zu verdanken. Gleichzeitig empfinde er heute aber kaum Ärger oder große Freude. ‚Spiritual Bypassing' – sich vor seinen Emotionen verschließen, passiv sein –, das will er verhindern. „Die buddhistische Praxis ist aber eine super Basis für meine Suche nach der Fülle des Lebens." Jan erprobt die Fülle an irdischen Möglichkeiten. Am Wochenende fährt er mit seiner Lebensgefährtin zur Klausur der Baugruppe. 30 Menschen realisieren ein Gemeinschaftswohnprojekt auf der grünen Wiese am Rande Wiens. Jan, mittendrin, gestaltet den Gruppenprozess mit und erklärt mir verschiedene Modelle zur Entscheidungsfindung, die dabei helfen. Ich stelle mir vor, dass die Baugruppe froh ist, meinen Buddha dabeizuhaben, mit seinem wachen Verstand, seiner überlegten Ruhe. Er ist mein Buddha des klaren Geistes. Ein Gesprächspartner, der mich wach macht und achtsam für meine Gedanken und Worte. Wir verlassen das Café und mein Geist ist klar wie der blaue Himmel, von dem sich die Schneewolken verzogen haben.

Ich gehe zur U-Bahn und genieße meine langsamen Schritte zwischen den Menschen, die nach Büroschluss an mir vorbeihasten. „Nur zwei fünfzig!", sagt eine Stimme neben dem Ticketautomaten. Zwei dunkle Augen schauen mich an. Ich bleibe stehen. Wir lächeln beide. Zwischen uns laufen die Menschen vorbei. Er lässt seine Hand mit der Straßenzeitung sinken. Wir blicken uns an und grinsen. Ein Zwinkern. Dann gehe ich weiter.

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Franziska Fink

Franziska Fink

Franziska Fink, ist systemische Organisationsberaterin (Beratergruppe Neuwaldegg) und beobachtet in ihrer Arbeit mit Unternehmen, welche Strömungen Wirtschaft und Gesellschaft kurzfristig und langfristig verändern.
Kommentare  
# Larissa Mugl 2018-04-11 09:39
Die Idee, drei Porträts ganz verschiedener Buddha-Persönlichkeiten zu machen finde ich spannend.
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# Malte 2020-02-06 02:12
Sehr beruhigende Schreibweise
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