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Diskurs

Menschen sehen Kriege erstaunlicherweise meist als eine Art von Naturereignis an. Eine Übersicht über das Wesen unfriedlicher Gedanken. 

Wie schaffen wir Frieden? Eine interessante Frage. Und das Interessanteste daran ist vielleicht: Wieso stellt sie sich? Wieso muss Frieden erst geschaffen werden? Ist es nicht das Selbstverständlichste auf der Welt, dass die Menschen, die diese Welt bewohnen, gegenseitig aufeinander aufpassen, froh sind, dass die anderen da sind, und sich gegenseitig helfen, über die Runden zu kommen? Jeder möchte den Frieden und trotzdem gibt es immer irgendwo Krieg, gerade so, als ob der Krieg ein Naturereignis wäre, das unerwartet und unkontrollierbar über die Menschheit hereinbricht, gerade so, als ob es nicht dieselbe Menschheit wäre, die den Frieden will und die den Krieg macht. Der Krieg sei der Vater aller Dinge, meinen manche; Kriege habe es immer schon gegeben und werde es immer geben, sie seien so unvermeidlich wie physikalische Gesetze, sie gehören zum innersten Wesen des Menschen und der Menschheit und eine Welt ohne Kriege sei genauso unrealistisch und undenkbar wie eine Welt ohne Schwerkraft. Hoffentlich haben die nicht recht, die das meinen, denn falls doch, dann ist die Menschheit schlecht dran. Schauen wir uns doch den Gedanken einmal etwas näher an, der Krieg gehöre zum Erbe der Menschheit, das Kriegführen sei irgendwie in den Genen verankert oder so ähnlich.

„Der Krieg ist ein schreckliches Schicksal und es sind immer die anderen, die ihn anfangen.“ 

Also ganz von Anfang an: Dass Lebewesen andere Lebewesen verspeisen, das dürfte tatsächlich im Bauplan dessen verankert sein, was wir für gewöhnlich die ‚Natur‘ nennen und womit wir gewöhnlich alles meinen, was wir nicht selber gebastelt haben. Als diese ‚anderen‘, zu verspeisenden Lebewesen werden aber nur in Ausnahmefällen solche angesehen, die den Jägern sehr ähnlich sehen: Angehörige der eigenen Art. Bei sogenannten ‚höheren‘ Tieren, denen wir etwas mehr von dem zubilligen, das wir ‚Intelligenz‘ nennen und von dem wir uns selber, nämlich den Menschen, das allergrößte Ausmaß zuschreiben, bei diesen ‚höheren‘ Tieren also beobachten wir oft auch recht beachtliche Organisationsleistungen, zum Beispiel beim gemeinsamen Jagen. Die können natürlich nur funktionieren, wenn sichergestellt ist, dass ein solcher Jäger niemals Jagd auf einen anderen Jäger aus derselben Jagdgesellschaft macht. Bei uns Menschen nennen wir so etwas ‚Solidarität‘, bei Tieren einfach nur organisiertes Jagdverhalten. Diese tierische Solidarität, auch wenn wir sie meistens nicht so nennen, geht aber noch viel weiter: Jungtiere werden in der Mitte der Herde platziert, wo sie von Angreifern weniger leicht erwischt werden, Mütter stellen sich Angreifern entgegen, auch viel stärkeren, um ihre Jungen zu schützen, und vieles mehr. Tiere, die so etwas tun, bekommen aber keine Orden von den Anführern der Herde und sie lernen ein solches solidarisches Verhalten auch in keinem Ethikunterricht; sie werden damit geboren.

Bei Menschen, so scheint es, muss vieles, was Tiere schon mitbringen, erst mühsam erlernt werden – unter anderem auch Solidarität in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Lebensretter müssen mit Medaillen geschmückt werden, um allen klarzumachen, dass es etwas Feines ist, Leben zu retten. Philosophen müssen darüber nachdenken, was Ethik und Moral eigentlich sind und warum sie so schlecht funktionieren. So etwas wie autonom entstehende Friedensprozesse sind da wohl nicht zu erwarten. Aber deswegen gleich autonom entstehende kriegerische Eskalationen? – Es sagt ja keiner von sich selber, dass er eine Eskalation angezettelt hat. Es greift auch niemand an. Sondern es verteidigen sich immer nur alle: sich selbst, ihre Lieben, ihr Land, ihre Freiheit, ihren Glauben, ihre Ehre oder sonst etwas. Manchmal besteht die Verteidigung auch in Rache, manchmal auch in einem präventiven Erstschlag: Man rächt sich schon mal vorsorglich für die Gemeinheit, die einem der Gegner sicher noch antun wird. Wenn wir eine Umfrage unter egal welchen Bevölkerungen machten und fragten, ob ihnen ein Zustand von Frieden lieber ist oder ein Zustand von Krieg, dann ist ziemlich klar, wie die Antworten ausfallen würden. Der Krieg ist ein schreckliches Schicksal und es sind immer die anderen, die ihn anfangen. Jeder verteidigt sich immer nur gegen die bösen Anderen. Sogar die schrecklichen Aggressionen des sogenannten Islamischen Staates sind aus der Sicht oder jedenfalls in der Darstellung von deren Führern nur ein verzweifeltes Sich-Aufbäumen gegen den verderblichen Einfluss von globalisierter westlicher Dekadenz, Imperialismus und Aggression. Ein wirklich interessantes Phänomen: Krieg ist ganz offensichtlich von Menschen gemacht und scheint trotzdem so unausweichlich zu sein wie irgendwelche Naturereignisse. 

„Krieg ist ganz offensichtlich von Menschen gemacht und scheint trotzdem unausweichlich zu sein.“

In der Tierwelt beobachten wir das Phänomen, dass viele Tiere gemeinsam Leistungen zustande bringen, zu denen ein einzelnes Tier nicht imstande wäre – und das allein aufgrund der Tatsache, dass jedes einzelne Tier ganz genau definierte Regeln befolgt. Dazu gehören zum Beispiel die Minimierung des Luftwiderstandes beim koordinierten Flug der Vögel im Schwarm, die Optimierung des Weges zur Futterquelle bei Ameisen, die koordinierte Jagd bei Walen und vieles mehr. Bei all diesen Phänomenen gibt es keinen tierischen Anführer, der sich all dies ausgedacht hätte und Rollen und Aufgaben verteilt. Die Regeln, nach denen das Verhalten abläuft, sind genetisch im Rahmen von Mutation und Selektion erworben. Man nennt solche Leistungen, die im Kollektiv erbracht und doch keinem einzelnen Individuum zugeschrieben werden können, auch ‚verteilte Intelligenz‘. Wir Menschen, von denen einzelne Individuen mitunter Relativitätstheorien entwickeln und Symphonien schreiben können, befolgen im Kollektiv auch Regeln und die führen immer wieder zu kriegerischen Handlungen, Tod und Zerstörung. Wie soll man so etwas wohl nennen? Verteilte Dummheit? Ähnlich wie bei den Tieren erscheinen uns die Regeln, die wir wie automatisiert befolgen, als ‚natürlich‘, als ‚selbstverständlich‘, als etwas, dem man sich nicht wirklich entziehen kann. Kann man denn wirklich nicht? Wie also schaffen wir Frieden? Die Regeln, deren automatisierte Befolgung uns immer wieder aufs Neue Kriege beschert, sind – und das ist die große Hoffnung – bei uns Menschen vielleicht ein bisschen weniger biologisch determiniert als bei den meisten Tieren. Vieles von dem, was uns ‚natürlich‘ erscheint, gehört überwunden. Dazu gehören:


• Die Idee, dass jede Verletzung von Territorium, persönlichem Status, Ehre, Religion und noch vielem anderen mit einer mindestens ebenso großen Verletzung des Verletzers vergolten werden muss. Wir nennen diese Tendenz zur Vergeltung auch gern ‚Gerechtigkeit‘. Dahinter scheint die absurde Idee zu stecken, dass eine erlittene Verletzung dadurch besser wird, dass wir unsererseits auch verletzen.

• Die Idee, dass wir es fertigbringen, die Zugehörigkeit zur eigenen Art mehr oder weniger willkürlich zu definieren. Kein Wolf käme je auf die Idee, zum Nachbarwolf zu sagen: „Du hast die falsche Religion, du gehörst nicht dazu, darum habe ich das Recht, dich zu töten.“ Menschen tun so etwas.

• Die Idee, dass Reichtum grundsätzlich vermehrt werden muss, egal, auf welchem Niveau man sich gerade befindet. „Ich habe genug zu essen und wohne bequem, ich tue jetzt nur mehr, was mir Spaß macht“ ist ein Satz, der von manchen ‚Aussteigern‘ mitunter zu hören ist – aber die gehören immer noch zu einer eher verdächtigen Minderheit. Sie tragen nix bei zum Bruttosozialprodukt, und das ist schädlich. Die meisten ordentlichen Menschen verbringen immer noch wesentliche Teile ihres Lebens damit, darüber nachzudenken, wie sie noch ein bisschen reicher werden könnten; egal, auf wessen Kosten.

Und noch ein paar andere Ideen, die so fatal ‚natürlich‘ erscheinen, dass es nur Spinner und Außenseiter schaffen, sich davon zu lösen. Ein solcher Spinner dürfte Gautama Buddha gewesen sein, ein anderer war Jesus Christus. Beide – und noch einige wenige andere – haben den Entwurf einer friedlichen Weltgesellschaft gesehen und gelebt. Ob spätere Generationen es schaffen werden, diese Entwürfe zu verwirklichen, das wird sich zeigen. Wir jedenfalls haben es leider nicht geschafft.

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Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
Kommentare  
# Elisen Spies 2019-05-19 19:53
Höllischer Kreislauf- auszubrechen sich lohnt.
Als Einzelperson fange ich an, eine Zigarette bei gleichzeitiger Aufreizung durch Lesen sämtlicher Medien.
Zigarette weg ( reduziert nebst Schauernachrichten die Gehirndurchblutung- akuter Körperschock...)
und stattdessen
Rundgang durch das Zimmer und Hand auf Körpermitte. Atmung auf Körpermitte empfinden.
Dies so lange bis Körper und Geist geerdet.
Siehe da: Agitationswille überhaupt vergessen.
Zuerst eigenartige Leere wegen
Vergessen
von angeratzter Wut.
Wenn das alle Kriegsführer wie Politiker befolgen,
tritt Friede ein
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