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Warum reagiert der Mensch oft erst auf unsichtbare Gefahren, wenn es zu spät ist (Stichwort Klimawandel, Putin etc.)?

MoonHee beantwortet hier Fragen des alltäglichen Lebens oder Fragen, die ihr schon immer einmal stellen wolltet. In ihrem ersten Beitrag „Wie geht es dir heute? Danke, gut!“  findet ihr mehr Informationen dazu.

Antwort MoonHee:

Das Universum besteht zu 4,6 % aus sichtbarer Materie, zu 26,8 % aus nicht sichtbarer bzw. dunkler Materie und zu 68,3 % aus dunkler Energie.[1] Doch glauben wir Menschen mehr an das Sichtbare als an das Unsichtbare. Im Gegensatz zu diesen Fakten halten wir unbeirrt am Greifbaren fest und denken, dass wir so viel wüssten. Was sich hinter der dunklen Materie oder dunklen Energie verbirgt, wissen wir allerdings nicht. Der größte Teil des Universums liegt, wörtlich gesprochen, für uns im Dunklen. Das Verborgene, obwohl es uns Rätsel aufgibt, ist real. Das Sichtbare, wie wir selbst, ist nur aufgrund des Unsichtbaren.

Es scheint nicht nur so, es gibt tatsächlich mehr zwischen Himmel und Erde, als wir be-greifen. Greifbares und Nichtgreifbares bedingen einander. Weil das eine ist, ist auch das andere. Der Vorsokratiker Anaxagoras sagt: „Die sichtbaren Dinge bilden die Grundlagen der Erkenntnis des Unsichtbaren.“ Auch bei Laotse erhalten die Dinge aufgrund des Nichtseins ihre Brauchbarkeit.

Da wir stoffliche Wesen sind und uns mit unseren Körpern identifizieren, nehmen wir die Materie als gesetzt und das Immaterielle als nicht gesetzt an. Die moderne Physik weiß jedoch, dass Materie nicht aus Materie besteht. Wie Einstein feststellte: E = mc2. Energie und Masse sind äquivalent. Nicht Materie ist das Vorherrschende, primär ist Energie. Unser Universum ist nichts Starres, es schwingt. Elektronen sind zugleich Teilchen und Wellen. Für Quantenphysiker wie Werner Heisenberg oder Hans-Peter Dürr sind Elementarteilchen nichts Faktisches, sondern Möglichkeiten. „Und was da schwingt, ist NICHTS. Aber dieses Nichts hat eine Form“, so Dürr (betrachtet man das Universum im Ganzen, macht die sichtbare Materie nur 1 % der Materie insgesamt aus.).[2] Dass dieses Nichts Form sein kann, liegt daran, dass die Grundlage allen Seins etwas Spirituelles ist. Materie ist nur die vergröberte Form davon.

Im Gegensatz zu Dürr geht der Elementarteilchenphysiker Henning Genz davon aus, dass es so etwas wie Materie gibt, jedoch seien die Grenzen zwi­schen etwas und nichts, zwischen Materie und leerem Raum, genauso verschwommen wie die zwischen Subjekt und Objekt[3]: „Die Welt bildet ein nahtloses zusammenhängendes Ganzes. Kein Raum kann ganz leer sein und kei­nen kann Materie ganz erfüllen. Beide, Materie und leerer Raum, können zwar unterschieden werden, gehen aber ohne feste Grenzen ineinander über.“[4]

zu spät

Obwohl der Materialismus wissenschaftlich widerlegt wurde, verorten wir das Geistige immer noch im Bereich des Religiösen. Das Spirituelle ist aber weder eine Glaubensfrage noch eine Geschmacksache – es ist das Primäre in unserem Kosmos. Solange wir jedoch dem Materiellen den Vorzug geben, sehen wir die Wirklichkeit nicht so, wie sie ist, sondern nehmen sie durch den Schleier der Quantität wahr. Das Ergebnis ist eine Welt der Dinge, die wir als Realität (lat. res = Ding) annehmen. Dadurch ist unser Leben von einem Mehr und Haben bestimmt und nicht, wie es sollte, von dem, was wesentlich ist. Die Haltung Quantität statt Qualität verstellt die Sicht auf das Wahre, auf das, was wirklich zählt. So halten wir nur das für wirklich, was sich greifen lässt. Das gilt für das Physische sowie für das Mentale. Doch Realität ist nicht Wirklichkeit. Realität bildet die Welt der Dinge, der Teile ab. So denkt der Realist in Teilen, Begrenzungen und Gegensätzen. In Wirklichkeit ist aber Einheit. Etwas in sich Isoliertes gibt es nicht – alles ist Energie, die Übergänge sind fließend. Das Anhaften am Falschen bzw. am Festen führt zu Trennungen und Ablehnungen. Die reale oder materielle Welt ist die Welt des Kampfs und des Sich-Behauptens. Denn hier wird das eine geliebt und begehrt, das andere gehasst und abgelehnt. Unabhängig davon, ob das Gewollte richtig ist oder nicht, halten wir unnachgiebig daran fest. Das, was wir nicht sehen wollen, sehen wir nicht. Das, was wir nicht wollen, verdrängen wir.

Aber wer nicht hören will, muss fühlen. Unschöne Tatsachen, nur weil wir sie nicht mögen, lösen sich nicht einfach in Luft auf. Da hilft alles Abwarten nicht. Aus Irrtum kann niemals Wahrheit werden; aus Falschem nie etwas Richtiges. Wie der Philosoph Theodor W. Adorno sagt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Solange wir das Grundlegende negieren, negieren wir auch alles andere. Selbst wenn wir Ja sagen, meinen wir eigentlich Nein. Das moderne Leben weist stark nihilistische Züge auf. Gleichgültigkeit, Sinnlosigkeit, Unverbindlichkeit und Werteverfall durchseuchen unsere Gesellschaft. Alles ist relativ geworden, in dem Sinne, dass alles erlaubt ist. Keep cool: Was du morgen kannst besorgen, das verschiebe getrost auf übermorgen. Wurstigkeit ist nicht Gelassenheit! Ganz im Gegenteil nehmen Unvernünftigkeiten und Ängste überhand. Einerseits wittern wir in allem eine Gefahr (Verschwörungstheorien erfreuen sich einer immer größeren Beliebtheit) und andererseits wollen wir sie, wenn sie real vor uns steht, nicht wahrhaben.

Das reale und quantitative Leben ist in Widersprüchen gefangen und der Mensch in ihm ist zerrissen. In seiner Hin- und Hergeworfenheit hinkt der Realist der Wirklichkeit und somit der Zeit hinterher. Die Physik lehrt: Körperliche Objekte haben eine Masse und sind von Natur aus träge. Der Verwirklichte, der um das Ursächliche weiß, ist nicht an die Welt der Dinge und Objekte gebunden. Ganz anders als der Realist, der seine Welt durch Vorlieben und Abneigungen konstruiert, sieht dieser die Wirklichkeit so, wie sie ist. Er sieht das Sichtbare und achtet das Unsichtbare. Wirklichkeit ist dort, wo das Ganze erblickt wird, und nicht nur Teile. Das Erkennen des Ganzen setzt einen klaren und wachen Geist voraus. Nicht der Intellekt weiß um eventuelle Gefahren; allein das liebende und mitfühlende Herz weiß darum. Trotzdem ist das Herz kein Ort der Sentimentalität; es ist der Ort des Ganz-Wach-Seins. Umso wacher und präsenter wir sind, desto mehr handeln wir ohne Verzögerung – für alle – der Situation angemessen.

 

Weitere Fragen & Antworten von MoonHee Fischer finden Sie hier.

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Bilder Teaser und Text© Pexel
Bild Header © Sigurd Döppel 


[1] Vgl. Max-Planck-Gesellschaft (https://www.mpg.de/7696088/mpik_jb_2013, 12.7.23, Zeit: 9.58).

[2] Vgl. Henning Genz 1994, 356.

[3] Ebd., 361.

[4] Ebd.

Dr. phil. MoonHee Fischer

Dr. phil. MoonHee Fischer

„Was eines ist, ist eines. Was nicht eines ist, ist ebenfalls eines.“ (Zhuangzi) Jenseits eines dualistischen Denkens, im Nichtgeist, gibt es weder das Eine noch ein Anderes. Wo das Eine sich von einem Zweiten abgrenzt, ist keine Einheit, sondern Zweiheit. Die Erfah-rung des Einen – ich bin al...
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