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Achtsamkeit & Meditation

Die bekannte amerikanische Meditationslehrerin Sharon Salzberg, strahlt Wohlwollen und Güte aus. Und das kommt nicht von ungefähr. Seit 1974 unterrichtet sie Metta-Meditation. Sie spricht über ihre schwere Kindheit, ihre Liebe zum Buddhismus, Kindererziehung und ihre Zukunft.

Wie war Ihre Kindheit?

Meine eigene Kindheit war voller Leiden, Streit und Verlust. Ich war sehr unglücklich. Meine Eltern trennten sich, als ich vier Jahre alt war, und meine Mutter starb, als ich neun war. Danach musste ich mit den unterschiedlichsten Familienkonstellationen zurechtkommen, das war nicht immer leicht für mich. Das Schlimmste war jedoch, dass niemand mit mir offen gesprochen hat. Nach dem Tod meiner Mutter lebte ich bei den Eltern meines Vaters – und das, obwohl ich sie kaum kannte. Vieles wurde tabuisiert, ich musste viele meiner Gedanken für mich behalten oder verstecken. Alles war sehr schmerzvoll für mich und ich wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen. 

Was führte Sie auf den Pfad der Spiritualität?

Als ich aufs College kam, belegte ich Asian Philosophy und Kurse über Buddhismus. Sofort war ich beeindruckt: Mir gefiel das laute Artikulieren des eigenen Leidens und der Gefühle. Der Buddhismus war wie eine Befreiung für mich, ist Teil meines Lebens. Endlich lernte ich Techniken kennen, die mir halfen, meinen inneren Schmerz zu verwandeln und meine Trauer aufzuarbeiten.

Hatten Sie irgendeinen spirituellen Background in der Familie?

Ich wurde von meinen Großeltern erzogen, sie waren zwar praktizierende Juden, dies hatte jedoch keine spirituelle Bedeutung für mich.

Gab es ein Ereignis, das Sie den Weg einer Lehrerin einschlagen ließ?

Ich habe nie beschlossen, Lehrerin zu werden. Während des Studiums verbrachte ich über ein Jahr in Indien. Ich war zwar nicht daran interessiert, Buddhistin zu werden und über Dogmen, buddhistische Philosophie oder den Dharma zu lernen, mein Interesse galt den Methoden. Im Jänner 1971 begann ich allerdings, meine erste echte Erfahrung in einem Retreat zu machen. Ich wollte alles lernen, alles entdecken. Auch das Gefühl, in einer Gemeinschaft zu sein, war wundervoll und damals entschloss ich mich, für immer in Indien zu bleiben – nach dem Motto: Das ist jetzt mein Leben, das ist das einzig Wahre.

Nach eineinhalb Jahren musste ich jedoch wieder in die USA zurück, um mein Studium abzuschließen. Als ich mich von meiner Lehrerin Munindra verabschiedete, sagte sie: „Wenn du zurück in die Staaten gehst, wirst du unterrichten.“ „Nein“, sagte ich und sie erwiderte: „Doch, du weißt wirklich, was es heißt zu leiden, deshalb kannst du auch unterrichten. Und: Du kannst alles tun, was du willst, wenn du daran glaubst.“ Als ich zurückkam, half ich zuerst Joseph Goldstein in seinen Kursen. Bis dahin dachte ich immer noch, dass es nur eine vorübergehende Aufgabe sei und ich früher oder später nach Indien zurückkehren würde. Heute ist es sehr inspirierend für mich zu unterrichten. Trotz der großen Anfangsschwierigkeiten bin ich mit meiner Arbeit glücklich. Lange Zeit war ein sicheres Einkommen ungewiss.

Wie leben Sie, wenn Sie nicht als Lehrerin tätig sind?

Heute unterrichte ich nicht mehr so viel und schreibe Bücher. Ich wohne in einem kleinen Appartement in New York City und unterrichte meistens nur noch abends.

Was ist Ihrer Meinung nach bei der Kindererziehung besonders wichtig?

Integrität. Man muss man selbst sein, alles andere ist Heuchelei. Ich habe eine elfjährige Patentochter, die mir sehr nahe steht. Sie zeigt mir jedes Mal, wenn ich mich verstelle, wenn ich mit mir nicht ganz ehrlich bin. Kinder spüren mehr als Erwachsene. Sie werden sicherer, wenn sie merken, dass jemand ehrlich handelt und lebt, was er oder sie verspricht.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit jungen Meditationsschülern?

In meinem Kinder-Curriculum ging es nicht nur um Buddhismus. Wir versuchen vor allem, Werte zu vermitteln und Dinge aus dem Alltag konkret anzusprechen wie: „Denk an einen Freund in der Schule, mit dem du dich gestritten hast. Kannst du dir vorstellen, mit ihm wieder befreundet zu sein? Wann fühlst du dich glücklich? Stell dir vor, wie sich jemand anderer in deiner Situation fühlt.“

Ein Beispiel aus meinem engeren Familienkreis: Als meine Patentochter Willow vier Jahre alt war, verkündete sie ihrer Mutter, dass ich jetzt ihre Patentante sei. Ihre Mutter sagte: „Du musst sie doch fragen!“, worauf Willow antwortete: „Du kannst sie fragen, aber sie ist es!“ Ich fühlte mich geehrt und freute mich sehr, wir haben ein tolles Verhältnis. In ihrer Schule haben sie so etwas wie ‚silent periods’, also zeigte ich ihr, wie man meditiert. Als sie acht oder neun Jahre alt war, fragte sie mich in einem E-Mail, ob ich ihr sagen könnte, woher das Universum und der Weltraum kommen, woher die Liebe kommt und ob Liebe und Weltraum etwas miteinander zu tun haben. Zuerst war ich etwas perplex, aber zum Glück gibt es ein Zitat von Buddha selbst: „Entwickle einen Geist, der mit Liebe erfüllt ist.“ – Er gleicht dann einem Weltraum, der nicht übermalt oder zerstört werden kann. Ich habe Willow das geschrieben. Wenn jemand in der Schule etwas sagt, das dich verletzt, hast du zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Dein Geist kann so groß sein wie der Himmel und deine Gefühle können, ähnlich wie Wolken, über diesen Himmel wandern, da dein Geist groß und offen ist. Die zweite Möglichkeit ist, wie ein Schwamm zu sein, der alles aufsaugt, den ganzen Schmerz in sich hineinsaugt. Nachdem ich dies Willow geschrieben hatte, erzählte mir ihre Mutter einen Monat später, dass Willow einen Streit mit ihrer kleinen Schwester gehabt hatte. Sie ging ums Haus und sagte: „Ich bin wie der Himmel, ich bin kein Schwamm.“ Schön ist es, wenn Kinder Dinge in die Praxis umsetzen.

Sind Familie und Kinder hinderlich oder förderlich für die spirituelle Praxis?

Ich denke, dass beides zutrifft. Viele Kollegen mit Kindern sagen mir, dass plötzlich die Zeit für die Meditation fehlt – selbst wenige Minuten am Tag aufzutreiben sei schwierig. Ich habe aber gesehen, dass diese Menschen auf der anderen Seite so viel Liebe in sich tragen und ein solch tiefes Bedürfnis haben, ihre spirituellen Werte auch wegen der Kinder zu leben. Also bekommen sie durch die Situation auch eine große Kraft. Der Zen-Lehrer Norman Fischer, mit dem ich einmal gemeinsam unterrichtete, hat mit seiner Frau Zwillinge, die heute schon erwachsen sind. Im Kurs sagte jemand: „Jetzt, wo ich Kinder habe, finde ich keine Zeit mehr zu meditieren.“ Norman sagte: „Du musst die Zeit finden, zum Beispiel wenn die Kinder schlafen.“ Ich dachte zuerst, dass das etwas hart wäre, aber dann dachte ich: „Wenn du in einer herausfordernden Situation bist, musst du Zeit finden. Du bist gezwungen, es zu tun, es ist gleichzeitig herausfordernd und wundervoll. Man muss jede Minute des Tages nutzen.“


Worin liegt die Bedeutung der Metta-Meditation?

Ich denke, sie funktioniert sowohl auf einer psychologischen als auch auf der spirituellen Ebene. Wichtig ist, dass die Motivation, warum wir meditieren wollen, angesprochen wird. Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft und der Psychologie. Viele beginnen mit der Meditation durch die Triebfeder Angst. Ein Gefühl, das aber wirklich motiviert, ist jedoch ein Gefühl von Verbindung. Metta-Meditation ist so eine Art transformierende Meditation. Auf den ersten Blick ist das vielleicht nicht sichtbar. Gehen wir aber in die Welt hinaus, zu unserer Familie, zu unseren Kindern, bemerken wir plötzlich, dass wir anders reagieren: geduldiger sind, die Fähigkeit haben, uns anzunehmen – auch dann, wenn wir Fehler machen. Außerdem können wir mit Enttäuschungen besser umgehen, vielleicht auch besser zuhören, uns besser in andere Menschen hineinhören. Große Veränderungen machen sich nicht während des Sitzens auf dem Meditationskissen bemerkbar, sondern im täglichen Leben. Die Ursache des eigenen Handelns wird uns klarer und wir beginnen, uns besser zu verstehen.

Geht es darum, die innere Haltung zu sich selbst zu verändern?

Manche Menschen haben die Angewohnheit, am Ende des Tages eine Art Tagesbilanz zu ziehen und legen ihr Augenmerk oft nur auf das Negative. Im Vordergrund stehen das eigene Versagen, die Fehler, die Verluste und so weiter. So entwickeln sie über kurz oder lang ein negatives Selbstbild. Durch die Metta-Meditation ist es möglich, ein realistischeres und objektiveres Selbstbild zu entwickeln. Sie öffnet und weitet unseren Blick auf uns selbst. Unsere Fehler werden dabei nicht ausgeblendet, aber sie sind nicht das Einzige, woran wir uns messen. Wir lernen, uns auch an das Gute eines Tages zu erinnern.
Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass wir unsere Aufmerksamkeit schulen und trainieren. Michelle Obama zum Beispiel kennt den Namen jeder Person im Weißen Haus: vom Koch angefangen bis zu den Empfangsdamen und dem Reinigungspersonal. Sie sorgt auch dafür, dass ihre Kinder die Namen kennen. Was ich damit sagen möchte: Wir sehen jeden Tag durch so viele Menschen hindurch, ob beim Einkaufen im Supermarkt oder in der Bank beim Einzahlen von Rechnungen. Metta heißt auch, diesen Menschen Aufmerksamkeit schenken zu können. Außerdem werden wir durch die Metta-Übung experimentierfreudiger. Habe ich die Gewohnheit, Leute aus meiner Vergangenheit zu ignorieren, probiere ich einmal das genaue Gegenteil aus und schenke nun gerade diesen meine Aufmerksamkeit.

Sie haben Lehrer aus der Theravada-Tradition und aus dem tibetischen Buddhismus. Finden Sie dieses Kombinieren empfehlenswert?

Eigentlich nicht. Die Suche nach dem richtigen Lehrer und der ‚richtigen’ Tradition ist sehr individuell. Meine Lehrer suchte ich mir danach aus, ob es zwischen uns ‚gefunkt’ hat, ob wir miteinander konnten. Der Unterricht hängt immer von der jeweiligen Lehrperson ab und ist sehr individuell. Manche Theravada-Lehrer zum Beispiel sind sehr streng und diszipliniert, andere wieder nicht. Ich hatte verschiedene Lehrer, die alle sehr unterschiedlich waren – von jedem habe ich etwas gelernt und mitgenommen. Für mich gibt es nicht nur einen Stil, eine Tradition, einen Weg. Für mich ist alles richtig, solange es zu mir passt.

Wie sehen Sie die Chancen für die Entwicklung des Buddhismus im Westen?

Buddha unterrichtete nicht Buddhismus, sondern eine Lebensart, einen ‚way of life’. Buddhismus umfasst viele Dinge. Manche Leute meditieren, andere wiederum sind nur an der Lehre interessiert. Buddhismus hat viel zu bieten und für sehr viele Menschen im Westen ist da etwas dabei.

Was wünschen Sie sich für Ihre persönliche Zukunft?

Wenn ich in der Stadt unterrichte, weiß ich nie, welche Schüler kommen werden. Das finde ich sehr spannend. Menschen kommen aus verschiedenen Beweggründen und Interessen zu mir – das ist einfach furchtbar spannend. Dabei geht es selten um das Nirvana, meistens um die persönliche Befreiung. Auch das liebe ich. Ich möchte also weiter unterrichten.

Metta-Meditation:
Metta wird übersetzt als ‚liebende Güte’ (‚Lovingkindness’). Dieser Begriff aus dem Theravada-Buddhismus zählt zu den ‚zehn transzendenten Tugenden’ (pāramī) und den ‚vier himmlischen Verweilzuständen’ (brahmavihāra). Metta-Meditation bedeutet die Kultivierung von wohlwollenden Gedanken für sich und alle anderen Lebewesen. Oberstes Ziel ist die Empfindung von selbstloser, nicht anhaftender Liebe.

 

Sharon Salzberg wurde 1952 in New York geboren. 1969 belegte sie Kurse für asiatische Philosophie an der State University of New York, Buffalo. Auf ihrer Indienreise 1970 besuchte sie Meditationskurse bei angesehenen buddhistischen Lehrmeistern. Nach ihrer Rückkehr in die USA 1974 begann sie, selbst Vipassana-Meditation zu unterrichten. 1976 gründete sie gemeinsam mit Joseph Goldstein und Jack Kornfield das weltbekannte Meditationszentrum Insight Meditation Society (IMS). 1989 war sie Co-Gründerin des Barre Center for Buddhist Studies (BCBS).
Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter ‚The Kindness Handbook’, ‚Faith and Lovingkindness’. Sharon lebt in Barre/Massachusetts und New York City."
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