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Leben

Positivistischer Zweifel zwingt zur Übernahme der radikal- oder gemäßigt-konstruktivistischen Auffassung, dass nur Bewusstseinsinhalte erlebt werden. Ihre Gesamtheit ist unsere empirische Wirklichkeit und daher die Welt jenseits des Bewusstseins eine nur vermutete, wenngleich nützliche weil vorhersagekräftige theoretische Wirklichkeit.

Der Befund ähnelt Ergebnissen der buddhistischen Philosophie und hilft vielleicht Leiden zu vermindern.

 1. Glaube, Zweifel und Erfahrung

Vor Jahren fragte mich der Studentenseelsorger meiner Universität, warum ich (spirituelle) Einsichten im fremden Milieu des Buddhismus suche und nicht im heimischen des Christentums. Die Antwort kam mir spontan: Weil ich im Christentum gelehrt bekomme, was zu glauben ist. Im Buddhismus hingegen lerne ich Methoden, mit denen ich das vermittels eigener Erfahrungen selbst herausfinden kann.

Eigene Erfahrung scheint in der Mystik aller Religionen eine zentrale Rolle zu spielen. Damit muss nicht schon die unmittelbare Gotteserfahrung oder in Religionen ohne Gottesvorstellung die Erfahrung des Absoluten gemeint sein, was immer darunter verstanden sein möge. Es können auch wichtige Erfahrungen auf der Suche danach sein. In den westlichen und mittelöstlichen Religionen jedoch ist die Rolle der Mystik widersprüchlich. Einerseits werden mystische Erfahrungen geschätzt, weil sie zur Weiterentwicklung und Intensivierung des spirituellen Lebens beitragen und damit zur Vermeidung der Erstarrung in Ritualen. Andererseits stehen Mystiker oft im Verdacht des Irrglaubens bis hin zur subtilen oder rabiaten Verfolgung durch Rechtgläubige, die grundlegende Texte (Thora, Bibel, Koran) mehr oder weniger wörtlich nehmen und persönlichen Erfahrungen misstrauen. In der Regel rangieren in diesen Religionen die Texte in der Auslegung der Lehre und Deutung des Lebens vor den Erfahrungen der Mystiker. Diese waren zu Lebzeiten in ihren Religionsgemeinschaften oft randständig und gefährdet und fanden erst später bei einigen, vielen oder allen Anhängern ihrer Religion Anerkennung und Verehrung. Tatsächlich dürfte es sinnvoll sein mystische Erfahrungen zu bezweifeln oder zumindest kritisch zu befragen um Schwärmerei zu vermeiden. Das gilt jedoch ebenso sehr für die Haltung der Rechtgläubigen, die bereit sind, lebendige Erfahrung der Erhaltung ihrer Lehrmeinungen oder Vorurteile zu opfern, welche bestenfalls früher einmal Erfahrungen ihrer Lehrer oder Propheten waren und möglicherweise zu wenig bezweifelte.

Meine eingangs genannte Antwort auf die Frage des Studentenseelsorgers dürfte einigermaßen typisch für einen Europäer gewesen sein, denn seit den Zeitaltern der Renaissance, Reformation und Aufklärung hat in den westlichen Kulturen zunehmend der (positivistische) Zweifel den Glauben als Grundlage der Erkenntnis abgelöst. Geglaubt wird, was nicht mehr zu bezweifeln ist. Für (Natur-)Wissenschaftler ist Zweifel zur Pflicht geworden. Von ihnen ist jede Sachaussage, Vermutung, Theorie oder Glaubenslehre zunächst zu bezweifeln, denn sie haben an Beispielen erfahren, dass noch so plausible Erinnerungen, Behauptungen, Meinungen oder Theorien falsch sein können, auch wenn sie mehrheitlich oder von jedermann anerkannt werden. Widerspruchsfreiheit ist eine zwar notwendige aber keineswegs hinreichende Bedingung für die Richtigkeit von Theorien oder Meinungen. Zweifel sind daher nur durch eigene Erfahrung zu beseitigen oder durch nachgeprüfte oder zumindest nachprüfbare Erfahrungsberichte. Dem Neopositivismus zufolge sind vorläufig auch Vorhersagen glaubhaft, die logisch aus einer Theorie folgen, aus denen früher schon genügend viele andere nicht-triviale Vorhersagen hergeleitet und in empirischen Prüfungen bestätigt worden sind. Manchmal lassen sich, nur aber immerhin, glaubhafte Wahrscheinlichkeitsaussagen begründen, die natürlich ebenfalls dem notwendigen Zweifel auszusetzen sind. Öfter als es Menschen mit geschlossenem Weltbild lieb ist, wird man jedoch Fragen offen lassen müssen, weil man nicht begründet zwischen ja, nein, sowohl als auch und weder noch entscheiden kann.

Zwar steht im Buddhismus die mündliche Überlieferung im Mittelpunkt der Lehre. Lehrer berufen sich auf eigene Erfahrungen und auf die Erfahrungen ihrer Lehrer oder deren Lehrer bis weit zurück in die Vergangenheit. Doch für den Schüler, der diese Erfahrungen (noch) nicht selbst gemacht hat, können das zunächst nicht mehr sein als behauptete Erfahrungen. Er kann sie glauben, bezweifeln oder lediglich vorläufig zur Erprobung übernehmen. Erfahrungsberichte von anerkannten Lehrern sind aufgezeichnet worden, darunter solche, die dem Buddha Shakyamuni zugeschrieben werden. Im Buddhismus finden sich daher Texte, von denen Gläubige unterstellen, dass sie zuverlässiges, aus Erfahrung gewonnenes Wissen wiedergeben. Positivisten können das mangels eigener Erfahrung bestenfalls als vorläufige Vermutung zur Erprobung übernehmen. Ebenso wie in der schriftlichen oder mündlichen Überlieferung westlicher Religionen finden sich in der des Buddhismus Aussagen, die der Prüfung an eigener Erfahrung standhalten dürften. Daneben finden sich jedoch teils mehr teils weniger plausible, heutzutage nicht mehr nachprüfbare Aussagen. Im Prinzip gilt das für alle Aussagen über vergangene Ereignisse, die im besten Falle mit den geisteswissenschaftlichen Methoden der Historiker einigermaßen glaubhaft gemacht werden können. Ebenso wie eine schwangere Jungfrau der Christen kann der Positivist einen lotusgeborenen Boddhisatva der Buddhisten als symbolische Vorstellung akzeptieren aber nicht wörtlich im üblichen Sinn nehmen. Selbst abergläubische Praktiken von zweifelhafter Wirksamkeit kommen im Buddhismus vor, wie etwa die buddhistischen Schriften zufolge vom Buddha Sakyamuni abgelehnte Wahrsagerei. Der Autor glaubt sich an Wahrsagestäbchen zu erinnern, die in japanischen buddhistischen (oder nur shintoistischen?) Tempeln gegen Spenden angeboten wurden. Auch hörte er von Bitten westlicher Buddhisten, ihre Lehrer mögen zukünftige Ereignisse oder Entwicklungen (einschließlich erfolgreicher Lottozahlen) vorhersehen, allerdings auch davon, dass diese solchen Bitten nur ungern und erst nach heftigem Drängen nachgaben. Selbst wenn man Wahrsagungen im Prinzip für möglich hält, weil man sich gedanklich in einem von Raum, Zeit und möglicherweise weiteren Dimensionen aufgespannten Bewusstseinsraum überall aufhalten kann, erfahrungsgemäß sind sie zumindest in ihrer übergroßen Mehrheit unzuverlässig. Da hilft nicht, dass Wahrsager meinen, die Unzuverlässigkeit gelte zwar oft oder in der Regel für die Wahrsagungen anderer aber selten oder nie für die eigenen.

Immerhin gilt meines Wissens im Buddhismus grundsätzlich die Positivisten vertraute Regel, dass die Aussagen und Belehrungen von noch so erleuchteten Lehrern an der eigenen Erfahrung zu prüfen sind. Ergänzt wird sie durch wohlbekannte Warnungen in buddhistischen Texten und Bildern vor Wölfen in der Mönchskutte (statt Schafspelz), die Irrtum oder Schaden verursachen. Der Autor hat selbst wohltuend erfahren, dass seine Zweifel an der Wiedergeburt von zumindest einem mehr oder weniger autorisierten Lehrer geteilt wurden. Wie zu erwarten, hielten andere die Wiedergeburt für eine unverzichtbare zentrale Vorstellung des Buddhismus. Die letztlich eigene Verantwortlichkeit des Schülers für seine Meinungen macht den Umgang mit buddhistischen Lehrern für einen europäischen Skeptiker einfacher als den mit jüdischen, christlichen oder muslimischen, die der Lehrautorität ihrer Religions- gemeinschaft unterliegen. Selbst mit (christlichen) Theologen, die einem ergebnisoffenen Dialog zugänglich sind und deren Zahl in Europa heutzutage offenbar zunimmt, kamen Gespräche des Autors gelegentlich zum Stillstand, weil sie die Lehren ihrer Religion nicht in Frage stellen konnten sondern bestenfalls deren Auslegungen.

Der Vorrang eigener Erkenntnis vor Belehrungen im Buddhismus wird nur zeitweilig dadurch beschränkt, dass die eigene Erfahrung als noch unzulänglich betrachtet wird und deswegen durch lehrergeleitete Übungen vorzubereiten ist. Das dafür notwendige Vertrauen in die Belehrungen und Anweisungen des Lehrers wird empfohlen und gefordert bis hin zur dauerhaften Wertschätzung des Lehrers. Das gilt für den Buddhismus in den fernöstlichen Kulturen mit Altersautorität mehr als in den autoritätskritischen westlichen Kulturen. Zumindest bei Verwendung autosuggestiver tantrischer Meditationen ist das Befolgen der Lehranweisungen insbesondere für instabile Persönlichkeiten vernünftig zur Vermeidung von Irrwegen der geistigen Entwicklung, bis hin zur Geisteskrankheit. Vertrauen wird jedoch nicht dauerhaft gefordert wie in westlichen Religionen der Glaube an gelehrte Wahrheiten oder Werte, sondern nur vorläufig bis zum Gewinn eigener Einsichten. Insofern ähnelt es dem oben besprochenen neo-positivistischen vorläufigen Vertrauen in bisher vorhersagekräftige Theorien oder der psychoanalytischen Übertragung, die als zeitweilig notwendig oder zumindest förderlich für die Therapie erachtet wird jedoch spätestens gegen deren Ende hin aufzulösen ist.

2. Die Welt als nützliche weil vorhersagekräftige theoretische Fiktion.

Ein europäischer Skeptiker kann natürlich nicht nur dem Buddhismus den Vorrang persönlicher Erfahrung vor Lehr- und (Aber-)Glaubenstraditionen abfordern. Er muss sich auch selbst befragen wie konsequent er den positivistischen Zweifel verfolgt. Wenn dieser ernst genommen wird, dann werden nämlich auch scheinbare Selbstverständlichkeiten fraglich. Das gilt z.B. für die von fast jedermann unterstellte Wirklichkeit einer dauerhaften und sich nur langsam verändernden Welt jenseits der flüchtigen Bewusstseinsinhalte. Diese wird allerdings schon seit Jahrhunderten bezweifelt, etwa von Plato, Berkeley, Hume und vielen anderen Philosophen. Neuerdings sind es vor allem die Radikalen Konstruktivisten, die die Welt für eine Gedankenkonstruktion halten, für ein subjektives Weltbild, dem eine objektive Welt entsprechen kann aber keineswegs muss. Schon an Babys und Kleinkindern lässt sich beobachten, wie sie ihr Weltbild im Spiel ähnlich wie Wissenschaftler eine Theorie mit Hilfe von Versuch und Irrtum als System von Regeln konstruieren, nach denen erlebte Bewusstseinsinhalte (mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit) aufeinander folgen. Das Wissen um diese Regeln erlaubt es zukünftige Erfahrungen, d.h. Bewusstseinsinhalte, zumindest mit Wahrscheinlichkeit vorherzusagen und in der Folge zu manipulieren. Auf diese Art und Weise lässt sich ein subjektives Weltbild als Modell einer Außenwelt jenseits des Bewusstseins konstruieren, ganz gleich ob die Welt tatsächlich vorhanden oder lediglich eingebildet ist. (Später werden die o. g. Regeln auch in Kommunikation mit Eltern, Lehrern und Gleichaltrigen erlernt, denn Nachahmungslernen erweist sich im Leben nicht immer aber oft oder meistens als nützlich und jedenfalls weniger aufwendig als eigenes Erfahrungslernen.)

Zugegeben: Empfindungen und insbesondere Wahrnehmungsgegenstände (percepts) als Kombinationen von Empfindungen und Gedächtnisinhalten werden gewöhnlich ALS Gegenstände der Außenwelt (objects) erlebt. Das liegt daran, dass sie der Wahrnehmungspsychologie zufolge schon in der sogenannten präattentionalen Phase des Wahrnehmungsprozesses bei der Integration von bottom-up sensorischer und top-down Gedächtnisinformation vollautomatisch als Gegenstände der Außenwelt aufgefasst werden, d.h. noch ehe sie bewusst werden. Schließlich wurden sie schon bei früheren Erlebnissen als Gegenstände der Außenwelt interpretiert und als solche im Gedächtnis abgespeichert. Wie oben schon gesagt, wurde die Gewohnheit Wahrnehmungsgegenstände (percepts) als Gegenstände (objects) aufzufassen seit frühester Kindheit überlernt und automatisiert. Deshalb muss man sich erst wieder mit einiger Aufmerksamkeitszuwendung klar machen, dass ein Unterschied besteht zwischen einem erlebten, möglicherweise mit Wahrnehmungsfehlern behafteten Wahrnehmungsgegenstand als flüchtigem Bewusstseinsinhalt und dem angeblich von ihm repräsentierten dauerhaften Gegenstand der Welt jenseits des Bewusstseins. Zwar gelten, wie schon gesagt, alle Empfindungen als von Außenreizen und alle Wahrnehmungsgegenstände als von Objekten der Außenwelt ausgelöst, doch dieser an der Erfahrung nicht nachprüfbare Zusammenhang muss bezweifelt werden, sobald die Wirklichkeit der lediglich vermuteten Welt bezweifelt wird und damit notwendigerweise auch die Wirklichkeit ihrer Reize, Gegenstände, Ereignisse etc.

 

Das eigene Ich wird nicht einmal als Wahrnehmungsgegenstand (percept), geschweige denn ein Gegenstand der Außenwelt (object) erlebt sondern als der den erlebten Bewusstseinsinhalten hinzugedachter Gedanke eines Erlebers, manchmal als mehr oder weniger prägnantes gedankliches Selbstbild ausgeprägt, mit oder ohne gleichzeitig erlebte Vorstellung des eigenen Körperbildes. Die Descart'sche „cogito ergo sum"-Folgerung, dass Gedanken einen Denker oder Erlebnisse einen Erleber erfordern, hält der Autor nicht für zwingend. Er hält das Hinzudenken eines Denkers oder Erlebers lediglich für eine Denkgewohnheit. Gedanken erfordern keinen Denker, Erlebnisse keinen Erleber, zumindest keinen bestimmten, bekannten und/oder wirklichen. Wie sie zustande kommen, kann oder muss offen bleiben. Meist wird Bewusstseinsinhalten, die wir als andere Menschen bezeichnen, ebenfalls ein erlebendes Ich hinzugedacht, manchmal auch Tieren, selten Pflanzen.

Halten wir als zentrale Erkenntnis fest: Da niemals Gegenstände der Welt sondern stets Bewusstseinsinhalte, unter ihnen Wahrnehmungsgegenstände, erlebt werden, ist die Gesamtheit der Bewusstseinsinhalte unsere empirische Wirklichkeit. Die vermutete Welt jenseits des Bewusstseins mit ihren Reizen, Gegenständen und Ereignissen, einschließlich unseres eigenen Körpers, ist daher eine lediglich vermutete, d.h. theoretische Wirklichkeit.

Der Zweck jeder Theorie sind ihre Vorhersagen, die es uns ermöglichen Erlebnisse zu erwarten, uns auf sie einzustellen und so in Grenzen erfreuliche herbeizuführen und unerfreuliche zu vermeiden (wenn wir einmal die weiter unten mit Grund bezweifelte Willensfreiheit unterstellen). Das gilt, ganz besonders für die Theorie einer einigermaßen beständigen Welt jenseits unseres Bewusstseins. Tatsächlich gelingt es uns mit Hilfe ihrer Vorhersagen Ziele erfolgreich anzustreben und, bildlich gesprochen, nicht ständig mit der Nase gegen eine Wand zu stoßen, buchstäblich und im übertragenen Sinn. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von den Theorien der Informatik, mit deren Hilfe die fiktiven oder virtuellen, weil lediglich programmierten interaktiven Scheinwelten konstruiert werden, in denen wir am Computer mehr oder weniger erfolgreich agieren können. Die Theorie einer einigermaßen beständigen Außenwelt ist wegen ihrer unzähligen erfolgreichen Vorhersagen höchst nützlich und erlaubt es uns mit Erfolg zu agieren. Daran ändert nichts, dass viele ihrer Regeln oder Gesetze (noch) unbekannt sind und daher viele Vorhersagen (noch) unmöglich. Für das alltägliche Leben liefert sie uns mit ihren physikalischen, biologischen, psychologischen, soziologischen, wirtschaftlichen, u. a. Gesetzmäßigkeiten genügend Regeln um uns im Leben zurechtzufinden und zu behaupten. Betonen die radikalen Konstruktivisten die Fiktivität der Theorie einer Welt jenseits des Bewusstseins, so betonen gemäßigte Konstruktivisten ebenso deren Vorhersagenutzen.

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Nun könnte man argumentieren, dass man lediglich einen Streit um Worte ausficht, wenn man einerseits auf der Leere oder Fiktivität der als theoretische Wirklichkeit ausgedachten Welt jenseits unserer erfahrbaren flüchtigen Bewusstseinsinhalte besteht, aber andererseits so tut oder so lebt, als ob es die permanente Welt wirklich gäbe. Das tun selbst radikale Konstruktivisten. Tatsächlich wird kaum jemand auf diese nützliche Theorie in seinem aktiven Leben verzichten, enthält sie doch alle Gesetze und Regeln, die bewusst oder automatisch zu beachten sind, wenn man für das eigene „Er-Leben" plant oder handelt. Eigene Planungen und Handlungen mögen nur scheinbar möglich sein und in Wirklichkeit lediglich die Identifikation mit unbewusst getroffenen Entscheidungen (von wem?) widerspiegeln. Das legen neuere Forschungen zur Willensfreiheit nahe, die zeigen, dass andere Personen schon eher wissen können als man selbst, wie man sich entscheiden wird, wenn sie mit geeigneten Mitteln zur Beobachtung von Gehirnvorgängen ausgestattet sind. Andererseits ermöglichen erfahrungsgemäß die Meinung und das Gefühl, die Ereignisse der Welt weitgehend genug vorhersagen und durch eigene Planung und Aktivität beherrschen zu können, ein Leben mit mehr Zufriedenheit und Freude als das Gefühl abhängig vom Geschick oder Zufällen zu sein, insbesondere von anderen Personen oder gesellschaftlichen Verhältnissen. Eigentlich spricht nichts dagegen, eine mit ihren Vorhersagen nachweislich erfolgreiche wenn auch fiktive Theorie wie die der permanenten Welt jenseits des Bewusstseins als Theorie zu benutzen ohne an die Wirklichkeit der Welt, ihrer Gegenstände, Personen und Ereignisse zu glauben (oder sie zu leugnen). Man kann schliesslich mit einem Modell hantieren ohne den modellierten Gegenstand zu kennen. Außerdem werden wir unten Situationen kennen lernen, in denen die Theorie selbst als Theorie verzichtbar ist. (Der Leser wird daher dem Autor nachsehen, dass er der einfacheren Formulierung und Verständigung halber weiter wie bisher in gewohnter Weise von sich und anderen Personen wie Lesern, Kindern, Wissenschaftlern etc. oder auch von „man" spricht, obwohl er damit so tut, als ob seinen Wahrnehmungen oder Vorstellungen von Personen tatsächlich Personen jenseits des Bewusstseins entsprechen, deren Existenz er als Positivist zu bezweifeln hat.)

Natürlich empfiehlt es sich zur Vermeidung der Einweisung in ein Irrenhaus wegen lebensgefährlicher Verwechslung von Einbildung und (angeblicher) Wirklichkeit auch für radikale oder gemäßigte Konstruktivisten in jedem Fall sorgfältig zwei Teilmengen der Bewusstseinsinhalte zu unterscheiden. Das sind die Empfindungen und Wahrnehmungsgegenstände (percepts) auf der einen Seite und Gedanken, Vorstellungen (einschließlich Halluzinationen), Gefühle

u. a. auf der anderen. Die Bewusstseinsinhalte der ersten Teilmenge gehorchen nämlich im Gegensatz zu denen der zweiten erfahrungsgemäß nicht nur psychologischen sondern indirekt auch physikalischen Gesetzmäßigkeiten, ganz gleich ob man die sie angeblich auslösenden Reize oder Dinge der Außenwelt für wirklich oder ausgedacht hält.

Im Gegensatz zu naiven Realisten geben die meisten (Natur)Wissenschaftler als kritische Realisten, spätestens nach kurzem Nachdenken, zu, dass die radikalen Konstruktivisten eigentlich recht haben mit ihrer Auffassung, dass immer nur flüchtige Bewusstseinsinhalte und nie Reize oder Gegenstände der Außenwelt erlebt werden und daher die Welt jenseits des Bewusstseins nicht erfahren sondern nur vermutet wird. Kritische Realisten halten es jedoch aus pragmatischen Gründen für notwendig, an die Wirklichkeit der lediglich vermuteten Außenwelt zu glauben und die nicht nachprüfbare Annahme zu machen, dass Empfindungen stets von Außenreizen, einschließlich körpereigener Reize, und percepts stets von objects der Welt ausgelöst werden. Diese Annahme sei zwar zugegebenermaßen mangels direkter Erfahrung der Außenwelt weder zu verifizieren noch zu falsifizieren, doch ohne sie versinke man in der Beliebigkeit des subjektiven Solipsismus. Es gäbe keine Objektivität, denn die lässt sich nur durch interpersonalen Vergleich von Erlebnissen sichern. Ein solcher Erfahrungsaustausch sei jedoch den kritischen Realisten zufolge ebenso sinnlos wie jede mündliche oder gar schriftliche Kommunikation mit anderen Personen, wenn es sich bei denen um nichts weiter handeln würde als um Wahrnehmungs- oder Vorstellungsgegenstände, also um eigene Bewusstseinsinhalte ohne eigenständige Entsprechungen in der zu vermutenden Welt jenseits des Bewusstseins. Dieser Auffassung schließt sich die überwältigende Mehrheit der Naturwissenschaftler an, die sich als Positivisten verstehen. Da auch radikale Konstruktivisten sich so verhalten als gäbe es die Außenwelt, spricht das Kriterium der Einfachheit von Theorien dafür an die oben genannte theoretische Wirklichkeit der Außenwelt zu glauben weil man sonst mühsam erklären muss warum man sie für eingebildet hält und sich dennoch so verhält als gäbe es sie. Dabei handelt es sich jedoch um eine Vereinfachung deren Zulässigkeit fraglich und sicher nicht notwendig ist. Zudem, selbst wenn man diese Sicht der kritischen Realisten übernimmt, müsste man ihnen vorhalten, dass sie die Welt jenseits des Bewusstseins mit ihren Personen, Gegenständen und Ereignissen als empirische Wirklichkeit betrachten und bezeichnen. Das ist ein gedanklicher Fehler, denn er widerspricht ihrem Zugeständnis, die Welt werde nicht erlebt sondern nur vermutet. Empirische Wirklichkeit ist schließlich nur eine andere Bezeichnung für erlebte Wirklichkeit. 

Sobald man eine kontemplative oder meditative Haltung einnimmt und nichts erreichen oder vermeiden will, kann man selbst auf die Theorie einer permanenten Welt jenseits des Bewusstseins als Gedankenkonstruktion und Vorhersageinstrument verzichten und sich erlauben das zu erleben was einzig erlebbar ist, nämlich aufeinander folgende Bewusstseinsinhalte. Das geht auch ohne die „Brille" eines Vorurteils oder einer nicht nachprüfbaren Theorie vorzuschalten, die aus percepts scheinbare objects macht. Man kann in der Meditation mehr die von Zeitpunkt zu Zeitpunkt wechselnde Abfolge der Bewusstseinsinhalte samt deren Regeln beachten oder sich auf die Leere der Abwesenheit von Bewusstseinsinhalten konzentrieren oder auf die Leere sich möglicherweise aufdrängenden Bewusstseinsinhalte. In beiden Fällen setzt man sich ohne einzugreifen nur mit dem auseinander, was tatsächlich erlebt und erfahren wird. Dazu benötigt man die Theorie einer Welt jenseits des Bewusstseins nicht.

Um sich eine Vorstellung davon zu bilden, was im vorangegangenen Absatz mit der Leere der Bewusstseinsinhalte gemeint ist, möge man an holographische Scherzpostkarten denken, die aus einer bestimmten Richtung betrachtet im Raum vor der Postkarte deutlich, dreidimensional und farblich einen Gegenstand erscheinen lassen, z.B. ein Gesicht, manchmal sogar mit Bewegung (Blinzeln). Das Bild verschwindet, sobald man die Blickrichtung geringfügig ändert. Man erlebt also ein deutliches Bild (percept) vor der Postkarte ohne dass es einen abgebildeten Gegenstand (object) gibt, nicht einmal ein Bild auf der Postkarte. Man muss sich dieses Phänomen allerdings auf alle Sinnesorgane ausgedehnt denken, damit man nicht dem üblichen Argument erliegt, was anzufassen ist müsse wirklich sein. Auch den Tastempfindungen können aber müssen nicht betastete Gegenstände entsprechen ebenso wenig wie den Bildeindrücken gesehene Gegenstände.

3. Positivismus und Buddhismus

Bisher wurden die Überlegungen dieses Artikels ausschließlich vom positivistischen Zweifel eines Europäers angetrieben und gesteuert, nicht von traditionellen buddhistischen Gedanken oder Vorstellungen. Nachdem wir alles nicht Erfahrbare weggezweifelt haben, sind unsere leeren und flüchtigen Bewusstseinsinhalte übrig geblieben, die kommen und gehen. Ihre Gesamtheit können wir als Bewusstsein bezeichnen.

Der hier verwendete Begriff des Bewusstseins unterscheidet sich vom buddhistischen Begriff des Geistes, der als immerwährend bestehend verstanden wird und anscheinend eher die leere Menge als die Gesamtmenge der leeren Bewusstseinsinhalte bezeichnet. Der Geist ist buddhistischer Lehre zufolge nach ausreichender Meditationspraxis bei Abwesenheit aller Bewusstseinsinhalte konkret erlebbar. Als Menge aller denkbaren Bewusstseinsinhalte ist das Bewusstsein niemals erlebbar sondern nur als Gedanke oder abstrakte Vorstellung, etwa bei der Verwendung des Begriffs. Die Begriffe Geist und Bewusstsein haben jedoch gemeinsam, dass sie eng mit der Vorstellung von Leere und Nicht-Sein (Nirvana) assoziiert sind. Bei der Leere aller Erscheinungen handelt es sich um eine zentrale Vorstellung des Buddhismus. Ebenso ist die Leere neben der Flüchtigkeit das wichtigste Merkmal, das die erlebbaren Bewusstseinsinhalte von den Gegenständen der Welt jenseits des Bewusstseins zumindest in ihrer Mehrheit unterscheidet, wenn man diese für wirklich hält. Die Leere gilt in geeigneter Weise sowohl für die einzelnen Bewusstseinsinhalte als auch für den Gedanken ihrer Gesamtmenge und den ihrer leeren Menge.

Der radikale Konstruktivismus, der als zwingendes Ergebnis des positivistischen Zweifels die Welt jenseits des Bewusstseins in Frage stellt, ähnelt mit seinem Zweifel an der Welt jenseits des Bewusstseins der Lehre der Chittamatra Schule des Mahayana Buddhismus von der Unwirklichkeit der Welt mit ihren Gegenständen und Ereignissen. Nur leugnet er die Existenz der Welt nicht explizit sondern lässt die Frage ihrer Wirklichkeit und Unwirklichkeit offen. Der gemäßigte Konstruktivismus entspricht eher der Lehre der Madhyamika Schule des Mahayana. Wo die die Madhyamika Schule absichtlich mehrdeutig davon spricht, dass die Welt jenseits des Bewusstseins weder wirklich noch unwirklich ist, präzisiert der gemäßigte Konstruktivismus, dass es sich bei ihr um eine sowohl lediglich vermutete und daher fiktive oder unwirkliche als auch um eine nützliche weil vorhersagekräftige theoretische Wirklichkeit handelt. Damit liefert der positivistische Zweifel letztlich dieselben oder zumindest ähnliche Erkenntnisse wie die buddhistische Philosophie. Wo der Buddhismus von der Leerheit der sogenannten absoluten Wirklichkeit des Dahrmakaya spricht, sprechen der radikale oder gemäßigte Konstruktivismus von der Leere der Bewusstseinsinhalte als gemeinsames Merkmal ihrer empirischen Wirklichkeit. Wo der Buddhismus von der relativen Wirklichkeit der Erscheinungen im Samboghakaya und insbesondere im Nirmanakaya spricht, sprechen der radikale oder gemäßigte Konstruktivismus von der Verschiedenheit und Flüchtigkeit der Bewusstseinsinhalte in der empirischen Wirklichkeit, einschließlich derer der Wahrnehmungsgegenstände, und insbesondere von der Fiktivität der den Wahrnehmungsgegenständen (percepts) entsprechenden Gegenstände (objects) in der lediglich theoretischen Wirklichkeit der Welt jenseits des Bewusstseins.

Die aus erkenntnistheoretischen Überlegungen gewonnene Einsicht, dass nie etwas anderes als leere Bewusstseinsinhalte erlebt werden, hat natürlich noch nicht das Erleben der Wahrnehmungsgegenstände als Bewusstseinsinhalte zur Folge. So leicht lässt sich die lebenslang erworbene und automatisierte Gewohnheit nicht löschen, percepts als objects zu interpretieren, als objects interpretiert im Gedächtnis abzuspeichern und daher beim Wiederabruf aus dem Gedächtnis als objects zu erleben, sei es in der Wahrnehmung oder in der Vorstellung. Das gelingt vielleicht mit einer eher mehr als weniger lang andauernden Übungspraxis, d. h. sich immer wieder vor Augen zu halten, dass alle momentan erlebte Wahrnehmungsgegenstände Bewusstseinsinhalte sind und nicht Gegenstände einer Welt, ganz gleich ob diese jenseits des Bewusstseins existiert, oder nur gedanklich konstruiert ist oder vermutet wird. Im Buddhismus wurden Techniken der Meditation entwickelt, mit deren Hilfe das Erleben der Wahrnehmungsgegenstände als Bewusstseinsinhalte möglicherweise schneller erreicht werden kann als mit der vorgenannten Übungspraxis. Vielleicht sind zu diesem Zweck härtere autosuggestive Tantra-Praktiken der Identifikation mit visuell vorgestellten Wesenheiten hilfreich. Der Autor hat in Buddhistischen Meditationszentren schon erfahren, dass z.B die Meditation auf Boddhisatvas keine Art von Anbetung ist sondern pragmatische Ziele verfolgt, wie etwa die Modifikation des kognitiven Verhaltens. Es ist nicht sicher aber denkbar, dass in Zukunft mit Hilfe wissenschaftlicher Prinzipien und Prüfungen noch effektivere Verfahren entwickelt werden, die einmal traditionelle Meditationstechniken ablösen oder optimieren, ebenso wie sich evidenzbasierte Heilverfahren in der Medizin oft durchgesetzt haben.

Zweifellos will der Buddhismus mehr erreichen als die sachgemäße Auffassung von Wahrnehmungsgegenständen als Bewusstseinsinhalte oder, besser noch, die Fähigkeit wie bei einem Vexierbild nach Belieben zwischen dieser sachgemäßen Auffassung und der falschen aber nützlichen und gewohnten Auffassung von Wahrnehmungsgegenständen als Gegenstände der Außenwelt hin und her zu wechseln. In der Tradition des Yoga arbeiten manche seiner Schulen auch mit mentalen Energien und alle bemühen sich um positives Karma und arbeiten zu diesem Zweck mit den erfahrungsgemäß geltenden Regeln des verlässlichen oder wahrscheinlichen Aufeinanderfolgens von Bewusstseinsinhalten. Im Westen nennt man diese Regeln üblicherweise kausale Gesetzmäßigkeiten, die lediglich Aussagen über Fakten machen. Im Osten spricht man eher von Karma, ein Begriff, der Fakten und Werte vermischt indem er gewöhnlich Aussagen über bewertete Fakten macht.Letztlich gilt die Aufhebung des Leidens und das Glück für die Praktizierenden und/oder. alle Lebewesen als Ziel des Buddhismus. Leid und Glück sind Werte oder zumindest bewertete Tatsachen, nicht nur Tatsachen wie die Natur der Wahrnehmungsgegenstände. Sie betreffen deswegen innerhalb der westlichen Philosophie eher die Ethik als die Erkenntnistheorie oder eher die Kant'sche praktische Vernunft als seine reine Vernunft. Der Autor ist in diesem Leben nicht dazu gekommen, sich mit Ethik zu beschäftigen und überlässt es sowieso jedermann seine Werte selbst zu bestimmen oder in seinen Bezugsgruppen oder -gesellschaften auszuhandeln. Er benötigte seine Lebenszeit, um sich vorher erkenntnistheoretisch einigermaßen Klarheit über Tatsachen zu verschaffen.

Immerhin heißt es im Buddhismus, dass Gier, Hass und in deren Folge Leiden zumindest teilweise auf Nichtwissen zurückzuführen sind. Die gewohnheitsmäßige Missinterpretation der Wahrnehmungsgegenstände als Gegenstände der Außenwelt anstelle von Bewusstseinsinhalten ist zweifellos eine Quelle des Nichtwissens. Zumindest könnte man sich vorstellen, dass Beeinträchtigungen des Selbstgefühls (und vielleicht sogar körperliche Leiden) reduziert werden, wenn Ego (und Körper) sachgemäß als theoretische Konstrukte und damit als Gedanken oder flüchtige Bewusstseinsinhalte erlebt werden, und nicht als beständige Dinge in der Welt. Zugegeben, ganz so einfach wird das nicht sein, weil das Ego und der eigene Körper besonders oft als Wahrnehmungs- oder Vorstellungsgegenstand mit mehr oder weniger gleichbleibenden Eigenschaften assoziiert im Bewusstsein wiederkehren. Doch das Wissen um die Leerheit und Flüchtigkeit aller Erlebnisse und erlebten Bewusstseinsinhalte reduziert vielleicht manches Leiden an, und vor allem Angst vor negativen Erlebnissen in Gegenwart und Zukunft, auch wenn deren Wiederkehr zu erwarten ist. Das öffnet möglicherweise Platz für Glücksgefühle oder Gleichmut. Auf diese Weise führt der Weg des positivistischen Zweifels nicht nur zu ähnlichen Ergebnissen wie die buddhistische Philosophie sondern in der Folge auch zur Vermeidung von unnötigen Leiden.

Proff.em. Dr. Hans Christoph Micko studierte Psychologie in Wien und arbeitete an mehreren Forschungsinstituten und Universitäten, zuletzt an der TU Braunschweig. Privat beschäftigte er sich seit Jahren mit Hinayana-, Zen-, oder Vajrajana-meditation.

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