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Leben

Wie gelingt es uns, die Gedanken auszuschalten, damit wir unseren Körper wirklich spüren?

Für eine erfüllende Sexualität ist Achtsamkeit enorm wichtig. Sie hilft uns, uns selbst kennenzulernen, uns zu spüren und unsere Bedürfnisse wahrzunehmen. Denn erst, wenn wir uns und unsere eigenen Bedürfnisse kennen, können wir sie jemandem mitteilen und für uns selbst eintreten. Das Wissen um unsere Bedürfnisse führt dazu, dass wir unser Leben und unsere Sexualität so gestalten können, dass wir sie als erfüllend empfinden. Nur mit einem guten Kontakt zu uns selbst haben wir schließlich die Möglichkeit, auch unseren Partner, unsere Partnerin wahrzunehmen.

Wir können eine erfüllte Sexualität nur dann erfahren, wenn wir bereit sind, uns und unseren Körper zu spüren, absichtslos, forschend und neugierig. Das hört sich banal an, doch was uns im Schmerz meist leichtfällt, gelingt uns bei neutralen und positiven Wahrnehmungen in der Regel weniger gut. Denn wenn alles gut läuft, leben wir eher kopfgesteuert und achten darauf, gut zu funktionieren und wahrzunehmen, was der andere braucht. Wir sind dann vermeintlich anpassungs- und leistungsfähiger, spüren unsere eigenen Bedürfnisse und Gefühle jedoch kaum.

Folgerichtig finden sich – nach dem beglückenden ersten Rausch des Verliebtseins, in dem alles wie von selbst läuft – häufig Partner im Bett, die gar nicht wirklich wissen, was sie selbst brauchen. Sie haben wenig Kontakt zu ihrem Körper und ihren Genitalien. Ihr Kopf ist angefüllt mit ungenauem Halbwissen darüber, was Mann oder was Frau beim Sex haben will. Vielleicht sind sie sogar mit negativen, scham- und schmerzvollen Erfahrungen aus der Vergangenheit belastet. Auf dieser Basis versucht jeder, dem anderen Gutes zu tun, häufig unsicher und zielgerichtet auf den Orgasmus. Keiner kann dem anderen Anleitung geben und sagen, was er oder sie wirklich braucht.
Es ist natürlich nützlich, neben der eigenen Wahrnehmungsschulung anwendbares Wissen darüber zu erhalten, wie Frau und Mann in der Sexualität funktionieren. Dadurch gewinnen beide an Sicherheit und setzen sich ganz bewusst mit dem Thema auseinander. Hierzu gibt es unendlich viel gute Literatur, allen voran Barry Long und sein Buch ‚Sexuelle Liebe auf göttliche Weise‘. Auf seinen Lehren basiert die Arbeit von Diana Richardson, der Autorin von ‚Slow Sex‘, die derzeit viele Menschen erreicht. Es gibt inzwischen zahlreiche seriöse Anbieter, die sich mit einer ganzheitlichen Wissensvermittlung und Schulung zum Thema ‚Achtsame Sexualität‘ beschäftigen, ob in Form von Seminaren oder Einzelbegleitungen.

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Auf dem Weg zu einer achtsamen und erfüllten Sexualität geht es aber im Kern nicht um Wissen und schon gar nicht um Leistung, sondern um einen bewussteren Kontakt zu unserem ganzen Körper, als Frau wie als Mann. Wir brauchen Vertrauen zu uns selbst. Wir sollen lauschen, zunächst zu uns hin und erst in einem zweiten Schritt zu unserem Partner, unserer Partnerin. Den Rest machen unsere Körper und unsere Geister dann quasi ganz allein. Nur leider ist uns dabei oft unser Kopf im Weg. Denn in unserem Gehirn sind all die leistungs- und zielorientierten Ideen gespeichert: Wie funktioniert Sexualität? Was sollten wir tun und wie sollten wir sein? Welche Technik sollten wir anwenden? Wie sollten wir aussehen? Was sollten wir alles können?

Unsere Gewohnheit, das Unangenehme zu vermeiden, kommt auch in der Sexualität zum Tragen. Wir sind darauf gepolt, reibungslos zu funktionieren, und nicht, tiefer zu spüren und zu fühlen. Damit stehen wir uns aber selbst im Weg, wir tun lieber so ‚als ob‘, statt Taubheit, Langeweile, Ängste, Ekel und Unlust ehrlich zu benennen. Doch erst dann können wir echte Lust sowie Lebensfreude erfahren.
Die Achtsamkeit, die Absichtslosigkeit, die Bereitschaft, alle Facetten, alle Ängste und Freuden zu spüren, können uns befreien, auch in der Sexualität. Jede Art von Meditation und Achtsamkeitsschulung, die uns liegt und Freude bereitet, kann uns dabei unterstützen, unseren ständig umherschweifenden Geist zu beruhigen, in der Gegenwart zu sein und zu uns hin zu lauschen. Wir dürfen aufhören zu machen, was wir immer wieder denken, machen zu müssen. Die Bereitschaft, diese alte Platte in uns leiser zu drehen und wirklich in den Augenblick, ins Jetzt zu fühlen, befreit uns auf allen Ebenen. Dazu gehört, dass wir auch unseren Ängsten, unseren Schmerzen, unseren Abspaltungen ehrlich, selbstverzeihend und liebevoll entgegentreten. Immer und immer wieder. JETZT!


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 100: „Sexualität und Achtsamkeit"

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Susanne Dicken, geboren 1963, ist Heilpraktikerin, Psychotherapeutin sowie Paar- und Sexualtherapeutin. Sie entwickelte eine ganz eigene Art der achtsamkeitsbasierten Körper- und Psychotherapie. www.susanne-dicken.de
 
Tipp zur Vertiefung: Susanne Dicken, Liebe, Lust und Achtsamkeit – Sexualität bewusst genießen. Scorpio Verlag 2016

Header und Teaser © Pixabay

Illustration im Text © Francesco Ciccolella

 

Kommentare  
# Anna 2020-07-24 10:57
Vielen Dank für diesen Text!
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# Anna 2020-07-24 10:59
Dieser Teil ist so wichtig:
"Dazu gehört, dass wir auch unseren Ängsten, unseren Schmerzen, unseren Abspaltungen ehrlich, selbstverzeihend und liebevoll entgegentreten. Immer und immer wieder. JETZT!"
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# Anna 2020-07-24 10:59
Auch dieser Teil ist wichtig:
"Wir brauchen Vertrauen zu uns selbst. Wir sollen lauschen, zunächst zu uns hin und erst in einem zweiten Schritt zu unserem Partner, unserer Partnerin. Den Rest machen unsere Körper und unsere Geister dann quasi ganz allein. Nur leider ist uns dabei oft unser Kopf im Weg. "
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