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Leben

Unser Kräuterdoktor Georg Weidinger über die Ursprünge der traditionellen chinesischen Medizin.

Bevor ich unseren Plan fortsetze, Sie sanft weiter in die Geheimnisse der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) einzuführen, möchte ich noch etwas ansprechen, das mir am Herzen liegt: Sie fragen sich vielleicht, zumindest würde ich mich das fragen, was Artikel über Chinesische Medizin und damit indirekt über China in einer buddhistisch orientierten Zeitschrift verloren haben, zumal wir um die Tibet-Politik Chinas wissen, zumal wir über die Menschenrechtsverletzungen des heutigen China wissen. Dazu möchte ich ein bisschen ausholen und dabei sind wir schon wieder bei unserem Vorhaben, der Chinesischen Medizin näherzukommen.

Die TCM und das heutige China können Sie vergleichen mit dem antiken Griechenland mit seiner Sprache und Philosophie und dem heutigen Griechenland in seiner Krise. Wie geht das zusammen? Die Traditionelle Chinesische Medizin wurde über Jahrtausende in China praktiziert, und für die Chinesen war sie das Selbstverständlichste der Welt. Mit den Kulturen rundherum hatte man Kontakt vor allem durch den Handel mit Waren und durch Kriege. Die Chinesen waren Meister darin, sich Fremdes anzusehen und dann in ihre Kultur, in ihr Wissen und Denken zu integrieren. So war es mit dem Wissen über die fünf Elemente, welches das eigene traditionelle Denksystem von Yin und Yang bereichert hat. Und so war es dann auch mit dem Kontakt zu unserer westlichen Welt, vor allem ab dem 19. Jahrhundert. Aber irgendetwas war anders.

Der Westen hat China viel einschneidender verändert als der Kontakt mit verwandten Kulturen in den Jahrtausenden davor. Der Westen hat den ‚Keim der Veränderung’ in der ganzen Welt gepflanzt, auch in China. Auf einmal hatte die altbewährte Tradition auch in China keine Bedeutung mehr. Viel mehr noch, auf einmal war das Altbewährte verboten. So war es auch mit der Traditionellen Chinesischen Medizin. Anfang des 20. Jahrhunderts war es auf einmal verboten, die alte Medizin zu praktizieren. Die neue Medizin, die aus dem Westen kam, so wie die neue Mode aus dem Westen und das neue Denken aus dem Westen, war viel interessanter, viel besser. Und Sie wissen, und das ist nur allzu menschlich, wir wollen immer das, was die anderen haben. So war es auch in China. China wollte die Veränderung, wollte westlich werden und dabei sich gleich des Hemmschuhs der Tradition entledigen. Das ist die Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert. Was daraus entstanden ist, wissen Sie.

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts kam Mao Zedong und versprach dem Volk, es mit Ärzten, derer es zu dieser Zeit viel zu wenige gab, zu versorgen. Mao hätte am liebsten lauter westliche Ärzte gehabt. Er selbst hielt nichts von der alten Chinesischen Medizin. Aber aus der Not heraus entsandte er seine Soldaten in das große Land, um all jene alten Meister der Chinesischen Medizin ausfindig zu machen. Die, die er fand, steckte er in eine Universität und wies ihnen die Aufgabe zu, innerhalb von sechs Monaten Ärzte auszubilden. Die Zeit war viel zu knapp. Wie gut kann man innerhalb von sechs Monaten Durchschnittsmenschen zu Ärzten machen? Unser Medizinstudium dauert sechs Jahre, und dann geht’s erst los mit der Praxis, dem Üben …! Das Volk nannte diese Ärzte dann ‚die Bloßfüßigen’ und ihre schlechte Ausbildung bezahlten sicher viele Menschen mit dem Leben. Dieses ‚Wiederbeleben’ der alten Chinesischen Medizin war aus der Not heraus, schnell Ärzte hervorzubringen, eine totale Vereinfachung des alten Wissens und hatte nur in Ansätzen etwas mit dem großen alten Wissen der Chinesischen Medizin zu tun. Aber dieses vereinfachte Wissen ist das, was dann ab den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts bei uns im Westen als ‚Chinesische Medizin’ bekannt wurde. Und erst seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts kommt es zu einem Wiederentdecken und Wiederbeleben des alten chinesischen Wissens hier bei uns, abhängig von guten Übersetzungen aus dem Chinesischen vor allem ins Englische. Was ich damit sagen möchte, ist, dass auch die TCM im 20. Jahrhundert in China gelitten hat und erst mit dessen Ende eine vermehrte Rückbesinnung auf die Tradition stattfindet, wahrscheinlich aber – fast typisch chinesisch – sehr ‚westlich motiviert’ und das heißt profitorientiert.

Ursprünge

Wenn wir heute im Westen TCM, die wahre alte Chinesische Medizin, anwenden, machen wir das im Geiste einer Rückbesinnung auf alte Werte, die es einmal in China gegeben hat und die auch die großartige alte Philosophie Chinas hervorgebracht haben. Wenn wir heute alte chinesische Werte schätzen und hochhalten, zeigen wir dem heutigen China, das sich unter dem Einfluss des Westens und vor allem der Philosophie des Kommunismus und später des Kapitalismus im letzten Jahrhundert so dramatisch verändert hat, friedlich, wie großartig China einmal war und wie großartig es auch in seinem alten Geiste wieder sein könnte. Und hier schließt sich der Kreis. Und darum steht etwas über TCM in dieser Zeitschrift. Und das ist der friedvolle, achtsame und wertschätzende Geist des Buddhismus …!

Zurück zum ‚alten China’: Stellen Sie sich vor, wir sind jetzt in einem kleinen chinesischen Dorf vor etwa 3500 Jahren. In diesem Dorf lebt ein Schamane, ein Medizinmann, der dafür sorgt, dass die Menschen im Dorf gesund bleiben, sowohl geistig als auch körperlich. Der Schamane weiß um Krankheiten und er stellt sich diese als böse Geister vor, die von außen in den Körper eindringen wollen. So hat er es von seinem Vater gelernt und dieser wiederum von seinem Vater. Und was macht man, wenn ein böser Geist in den Körper eingedrungen ist? Man lässt ihn wieder heraus! Und da gibt es mehrere Möglichkeiten. Der Schamane kann chirurgisch vorgehen, indem er einfach ein Loch in den Körper macht, und das macht er zum Beispiel mit einem Stein, einem Dorn oder einem Holzstück. Diese Methode nennen wir heute Akupunktur. Und er hat von seinem Vater gelernt, dass es optimale Stellen gibt für dieses Löchermachen und weniger optimale. Die optimalen Löcher führen dazu, dass der böse Geist den Körper verlässt und der Dorfbewohner wieder gesund wird. Die weniger optimalen Löcher führen dazu, dass der Dorfbewohner stirbt …

Zum Glück weiß unser Schamane um die optimalen Stellen für die Löcher, und das sind jene Stellen, unter denen sich keine großen Gefäße befinden, keine lebenswichtigen Organe und kein Gehirn. Die optimalen Stellen sind zum Beispiel an Händen und Füßen. Der Schamane kann aber auch internistisch vorgehen, indem er einem vom bösen Geist Befallenen etwas zu essen oder zu trinken gibt, das den bösen Geist dazu veranlasst, fluchtartig diesen Körper zu verlassen. Diese Methode nennen wir heute Kräutermedizin. Das Verabreichte können verschiedenste Pflanzenteile wie Wurzeln oder Früchte sein, aber auch Tierteile wie zerriebene Knochen oder Gallenflüssigkeit. Was immer, es muss dazu führen, dass der Geist verschwindet. So gesundet der Dorfbewohner und das wird er unserem Schamanen sicher danken, indem er ihm sein Leben etwas schöner macht.

Eines Tages bekommt einer der Schützlinge unseres Schamanen viel Hitze, also Fieber, aber dieses Fieber ist irgendwie anders, als es der Schamane bisher gesehen hat. Er probiert seine Methoden wie Akupunktur und Kräuter aus, aber nichts hilft. Im Gegenteil, alles wird schlechter. Was macht er? Er kramt in seinem Gedächtnis, versucht, sich an die Worte des Vaters zu erinnern. Und dann fällt ihm etwas ein: Er hat einmal ein Reh beobachtet, welches alle Anzeichen von viel Hitze (also Fieber) hatte, glasige Augen, unsicherer Gang, ein vom Schwitzen nasses Fell. Und dieses Reh hat dann bei einem bestimmten Strauch die Erde aufgekratzt, dessen Wurzeln freigelegt und die Wurzeln gefressen. Unser Schamane hat dem damals nicht viel Bedeutung beigemessen. Aber ein paar Tage danach sah er dasselbe Reh wieder putzmunter wegrennen … Und so geht der Schamane zu dem Strauch und gräbt ein paar Wurzeln aus, kocht sie gut aus, damit in dem Kochwasser dann alles drin ist, was vorher in der Wurzel war, und flößt dem Fiebernden dieses Dekokt, diese Wurzelsuppe, ein. Und siehe da, nach ein paar Tagen springt der Dorfbewohner wieder so herum wie zuvor das Reh … Und das merkt sich der Schamane und er erzählt es seinem Sohn. Und dieser wendet später dieses Wissen an, mehr noch, er schreibt es auf. Und so wie er schreiben viele, viele Söhne und sicher auch Töchter von Schamanen und auch Schamanen selbst ihr Wissen und das ihrer Vorfahren auf. Das ist Traditionelle Medizin! Ausprobieren und schauen, was passiert – und dann aufschreiben! Und China ist und war immer groß, und so gibt es viel Wissen aufzuschreiben, viel Wissen weiterzugeben.

Mein Lehrer François Ramakers hat gesagt, dass der Zeitpunkt der Entstehung der Traditionellen Chinesischen Medizin jener war, an dem man erkannte, dass Krankheiten nicht nur von außen, also quasi als böse Geister, so wie es die Vorstellung heute noch im Schamanismus gibt, sondern auch von innen, also hausgemacht, kommen können. Und das ist auch der Zeitpunkt, da die Selbstverantwortung des Patienten ins Spiel kommt. Man delegiert die Verantwortung nicht an einen Arzt oder Schamanen, der den bösen Geist rausholt, sondern man sorgt selbst dafür, dass man gesund bleibt, indem man gesund lebt, und das ist unsere tägliche Lebensführung, die Art, wie wir täglich leben.

Das Besondere an der TCM ist, dass man das alte Wissen nie vergessen hat. Es hat zwar immer ‚neuere’ Methoden gegeben, aber die alten Methoden behielten ihre Gültigkeit, im großen Gegensatz zum westlichen Keim der Veränderung. Bei uns gilt das Neueste immer als das Beste: „Ich habe hier die neueste Pille für Sie. Ihnen wird es gleich viel besser gehen.“ Wenn wir zurückdenken hier im Westen an unsere Medizin, und wir denken nur ein paar Jahre zurück, greifen wir uns oft an den Kopf: „Wie konnte man nur vor 30 Jahren das und das geben …?“ Was sind 30 Jahre in der Chinesischen Medizin? Gar nichts! Und das können wir wieder von den alten Chinesen lernen. Bewahre das Alte und erinnere dich im rechten Moment daran!

Und zu guter Letzt gibt’s wieder eine Hausübung (Sie erinnern sich vielleicht an meinen Ausspruch in der letzten Ausgabe U&W: „TCM ist 80 Prozent Lebensführung, 10 Prozent Akupunktur, 10 Prozent Kräutermedizin“; ich erzähle Ihnen etwas und Sie arbeiten an Ihrer Lebensführung …). Die letzte Hausübung war, ‚täglich ein warmes gekochtes Frühstück essen’. War es schwer auszuführen, in den Alltag einzubauen? Hat es etwas verändert? Denken Sie an den Schamanen und das Reh: Wenn es etwas verändert hat, dann merken Sie sich’s! Aber Sie können nur dann wissen, ob und was es verändert, wenn Sie es einmal eine Zeit lang konsequent tun, zum Beispiel einen Monat lang. Und das gilt auch für die heutige Übung: Bitte bewegen Sie sich täglich bewusst! Nutzen Sie einen Teil Ihres Arbeitsweges, um sich zu bewegen. Bauen Sie kreativ Bewegung täglich in Ihren Alltag ein. Wenn Bewegung einmal Teil Ihres Alltages ist, brauchen Sie sich nicht mehr zu überlegen, ob Sie sich heute schon bewegt haben oder ob es sich überhaupt ausgeht, sich heute zu bewegen. Sie haben es dann eh schon gemacht! Daher täglich. Dann fallen auch die Fragen wie „Ist heute Montag oder Dienstag?“ oder „Bewege ich mich heute auch?“ und die Ausreden wie „Heute habe ich eigentlich keine Lust!“ oder „Ich bin gerade heute noch so müde …“ oder (und ich schaue gerade zum Fenster hinaus) „Es regnet!“ weg, weil Sie es ja ohnehin täglich tun!
Weihnachten steht vor der Tür und mit den Worten des Dalai Lama, unsere Ursprungsreligion nie zu vergessen (und deren Feste …!), wünsche ich Ihnen von Herzen eine wunderbare Zeit – friedvoll, achtsam und wertschätzend!


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 78: „Der Spirit der Alten"

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Georg Weidinger geboren 1968 in Wien, studierte Medizin an der Universität Wien, Doktorat 1995, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur (unter anderem bei Dr. François Ramakers, Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena, Dr. Gunter R. Neeb), Diplom 2003, klassisches Klavier und Komposition am Konservatorium der Stadt Wien, Computermusik und Elektronische Medien an der Universität für Musik Wien, Diplom mit Auszeichnung 1999. Seit 2002 betreibt Georg Weidinger eine Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur in Wien. Daneben hält er regelmäßig Vorträge, Seminare und Manager-Schulungen über die Themen Burnout-Prävention, Arbeitsenergie, Traditionelle Chinesische Medizin und Yoga und schreibt Artikel für verschiedene Zeitschriften. Als Musiker (Pianist und Komponist) konzertiert er seit 1991 regelmäßig mit eigenen Werken sowie mit Werken des Jazz, der Klassik und der experimentellen Musik. Neun Solo-CDs, vor allem mit eigenen Kompositionen, erschienen bei Extraplatte, ORF/Ö1 sowie im eigenen Label klaviermusik.

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Dr. Georg Weidinger

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Georg Weidinger geboren 1968 in Wien, studierte Medizin an der Universität Wien, Doktorat 1995, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur (unter anderem bei Dr. François Ramakers, Prof. Dr. med. et Mag. phil. Gertrude Kubiena, Dr. Gunter R. Neeb), Diplom 2003, klassisches Klavier und Kompos...
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