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Leben

Keiner will leiden. Wirklich niemand. Doch wie kommt es, dass wir auch Jahrtausende nach dem Ende der Steinzeit noch um jeden Moment des Glückes ringen und kaum ein Tag ohne Leiden vergeht? Hat die Politik versagt? Oder haben Philosophie, spirituelle Praxis und die Religionen uns in die Irre geführt?

Fast 70 Jahre nachdem die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet hat, gehört Leid noch immer zum Alltag auf der ganzen Welt – sei es durch Verfolgung, Terrorakte, Bürgerkriege, Umweltzerstörung, Ausbeutung und Gewalt oder durch Burn-out, Konflikte, Depressionen und Einsamkeit. Ist es passend, sich Gedanken über Glück zu machen, während rund um das Mittelmeer (unweit unserer beliebten Urlaubsziele) Hunderttausende von Menschen auf der Flucht sind aus einer apokalyptischen Hölle, die einmal ihre Heimat war? Setzen wir uns damit nicht der berechtigten Kritik aus, in dem Kokon allzu satter, blinder Selbstbezogenheit zu leben? Wie können wir über Glück sinnieren, während es für viele dieser entwurzelten, erschöpften Mitmenschen täglich um das nackte Überleben geht? Trotz dieser wichtigen Bedenken scheint es mir überhaupt nicht hilfreich, das Thema Glück als zweitrangig zu deklassieren. Denn die Suche nach Frieden, Glück und Harmonie treibt alle Menschen an. Sie ist ein natürliches, ernstzunehmendes Motiv des menschlichen Handelns. Das Maß an Glück, das wir erfahren, wirkt sich spürbar auf unsere Lebensqualität aus, ebenso wie das Maß an Leiden. Auch für Menschen auf der Flucht geht es gerade nicht nur um das Überleben, sondern auch darum, glücklich und in Frieden zu leben und ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Ein trostloses Leben ist ihnen mehr als bekannt.

 

Die Suche nach Frieden, Glück und Harmonie treibt alle Menschen an.

 

Es ist noch keine hundert Jahre her, dass auch Europa wiederholt im Chaos versunken ist und ein extremes Ausmaß an Gewalt und Vertreibung erlebt hat. Diese kollektiven Erfahrungen haben bis heute einen gewissen Einfluss auf unser Lebensgefühl, unser Verhalten, die Kindererziehung, unsere Ängste und (Alb-)Träume und auf unsere Vorstellung von Glück. Viele Familien tun sich noch immer schwer, Beziehungen auf den tragfähigen Kräften von Wärme, Nähe, Fürsorge oder Trost aufzubauen. Geglückte Beziehungen sind daher für manche Menschen ein echtes Kunststück. Insbesondere der liebevolle und fürsorgliche Umgang mit sich selbst ist für sie nicht immer leicht. Viele Menschen fühlen sich daher trotz der relativen Ruhe und Sicherheit in Europa nicht wirklich glücklich, sondern eher getrieben, gestresst, depressiv oder einsam und leiden unter mehr oder weniger starken Ängsten. Ist Glücklichsein wirklich so schwer? Vielleicht ringen wir auch so sehr mit dem Thema, weil wir nicht recht wissen, wie sich tief empfundenes Glück erkennen und diese Erkenntnis stabilisieren lässt. Kann es sein, dass wir in unserem Leben eher planlos und spontan herumexperimentieren und dabei hoffen, irgendwie glücklich zu werden?

Geglückte Beziehungen sind daher für manche Menschen ein echtes Kunststück.

 

Beeinflusst von der Gedankenwelt einer bis in den Privatbereich ökonomisierten Gesellschaft verlagern wir unsere Suche nach dem Glück darauf, uns Zufriedenheit zu verschaffen, indem wir versuchen, uns möglichst viele Wünsche zu erfüllen. Denn für einen kurzen Moment fühlt sich dies fast wie echtes Glück an. (Die glücklich lachenden Gesichter in den Werbespots machen es vor.) Jeder neue Besitz, jede neue Position, jede neue Errungenschaft lösen einen kleinen Erfolgsrausch aus: mein Titel, meine Position, meine Partnerin/mein Partner, meine Kinder, mein Haus, mein Auto, mein Geld, meine Meditation und sogar meine Religion. Es ist so, als ob sich durch das, was wir haben, unsere Existenz spürbar bestätigt: Wir fühlen uns lebendiger. Unmerklich treibt uns das Verlangen immer weiter an: Wenn ich erst einmal habe, was ich will, dann werde ich glücklich sein ... Auf emotionaler Ebene tritt tatsächlich so etwas wie ein kurzes Glücksgefühl ein, wenn wir bekommen, was wir wollen. Eine positive hormonelle Flutwelle im Gehirn ist die Belohnung für den Erfolg. Doch dieser angenehme kurze Rauschzustand wandelt sich natürlich. Er löst sich auf wie ein Traum und nach kurzer Zeit stellt sich die Frage: Was mache ich als Nächstes, damit ich mich wieder gut fühle? Bald laufen die Gedanken wieder auf Hochtouren: Ich sollte ... Dazu muss ich unbedingt ... Ich brauche mehr ... Es kommt gar nicht darauf an, wie viel wir bekommen. Das Verlangen wird immer nur für kurze Zeit gestillt. Selbst nicht, wenn es Gold regnet, findet das Verlangen Befriedigung. Ruhe findet man nicht, indem man sein Verlangen stillt. Denn Angst schleicht sich ein: Was man hat, kann man auch wieder verlieren. Dieser Gedanke bringt uns dann auf die Idee, uns abzusichern. Es ist natürlich ein berechtigtes Anliegen, sich gegen Störungen und Bedrohungen zu wehren, aber bisweilen treibt die Sorge um die Besitzsicherung doch peinlich selbstsüchtige Blüten. Alles, was von außen kommt und fremd ist, erscheint plötzlich als Bedrohung für das eigene Glück.

 Glücklich sein in einer unglücklichen Welt

Die Notwendigkeit des Loslassens steht in unserer Welt des ständigen Wandels nicht zur Verhandlung. Doch wenn größere Veränderungen anstehen, nehmen wir es manchmal sehr persönlich und klammern uns lange an unsere Sachen. Wandel scheint dann dieses fragile Glück zu bedrohen. Es kann sehr schwer sein, loszulassen von dem, womit man sich identifiziert und was man als meins betrachtet. Besonders in Beziehungen fällt es uns oft sehr schwer –meine Kinder, meine Mutter, mein Mann. Tief sitzt die Angst, dabei einen Teil der eigenen Identität zu verlieren. Etwas zu verlieren, kann sich anfühlen wie ein kleiner Tod. Dass in jedem Loslassen auch die Chance für etwas Neues, Frisches, Zartes liegt, sehen wir erst später. Wie also können wir wirklich glücklich sein? Tief empfundenes Glück ist ein geistiger Zustand, ruhend in der Stille des Geistes, beheimatet in der Kraft der Liebe. Dieser Zustand lässt sich kultivieren mit geeigneten geistigen und meditativen Übungen. Glücklichsein ist kein Zufall oder die Erfüllung all unserer Wünsche. Tief empfundenes Glück liegt in der Natur des menschlichen Herzens. Den Zugang dazu kann man mit Übung und Selbsterkenntnis wiederentdecken.

 

Glücklich sein in einer unglücklichen Welt?

 

In der Lebensgeschichte des Prinzen Siddharta gibt es eine Episode aus seiner Zeit als suchender Wanderer. Er hatte sich damals einem kleinen Trupp strenger Wanderasketen angeschlossen. Siddharta hungerte seinen Körper dabei extrem aus. Abgemagert und heruntergekommen brach er schließlich entkräftet zusammen und blieb wie betäubt am Boden liegen. Er wäre wahrscheinlich gestorben, wenn nicht eine junge Frau aus dem nahe gelegenen Dorf vorbeigekommen wäre. Sie sah den ohnmächtigen, ausgemergelten Mann, dessen Mahlzeiten nur aus wenigen Reiskörnern am Tag bestanden hatten. Sein radikaler Verzicht auf Nahrung hatte ihn in einen erbärmlichen Zustand versetzt. Ruhig und mit großem Mitgefühl setzte sie sich und reichte ihm süßen Milchreis.

Glücklichsein ist kein Zufall oder die Erfüllung all unserer Wünsche.


Diese Geschichte erinnert daran, dass alles aus dem Gleichgewicht kommt, wenn wir ohne Mitgefühl und Fürsorglichkeit handeln. Was nährt uns wirklich? Was stärkt uns? Niemand kann nur von ein paar Reiskörnern am Tag leben. Die junge Frau hat Siddharta dies auf ihre uneitle, hilfsbereite Art gezeigt, indem sie das Naheliegende tat und handelte. Auch Menschen in Not und auf der Flucht brauchen mehr als ein paar Reiskörner. Vor allem brauchen sie unsere Menschlichkeit und mitfühlendes Handeln, um eine Chance zu haben, jemals wieder glücklich zu sein.

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Tineke Osterloh

Tineke Osterloh

Tineke Osterloh lebt in Hamburg und unterrichtet seit mehr als 15 Jahren buddhistische Meditation und Weisheitslehren. Sie hat übers 25 Jahre Vipassana-, Metta-, und Zen-Meditation praktiziert und hat in dieser Zeit vier Jahre in buddhistischen Meditationshäusern in England und Südafrika gelebt. ...
Kommentare  
# Elke Spiess 2016-04-26 11:25
Mir sind die beschriebenen Arten, Glück zu illusionieren, vertraut. Es ist so, dass diese Vorschriften, zu Glück zu kommen, in die tägliche Vorstellungswelt so eingeprägt werden, dass man sich beinahe nicht mehr absentieren kann: die je gerade aktuellen wirtschaftlichen Überlegungen berieseln manipulativ und der funktionierende Mensch soll den vorgestellten Verführungen wie ein Pawlowscher Hund hinterherlaufen, bis zum angenehmen Tod.
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# Elke Spiess 2016-04-26 11:25
So, gut abtrainiert, fürchtet er etwa, einen gewissen gesellschaftlichen Status nicht erfüllen zu können, und geniert sich dann noch, dass er keine smarte Wohnung hat, keine digitalen Geräte, keine hochrangigen Urlaubstendenzen, kein Auto, weil er dieses Ziel gar nicht anstrebt. Am besten kann man das bemerken bei der armseligen Frage: Äh, Sie haben also kein Geld dafür? Auf die Idee, dass jemand andere Ziele oder besser keine dieser Art hat, kommen Fragesteller dieser Art nicht. Man schmuggle sich einmal ein in diese Wertewelt, wissend, dass man wohl das Geld hätte, aber nicht für den Wert, also gar nicht den Erwerb wirklich wolle. Dennoch wird man rot und hitzig im Gesicht, denn das Gegenüber sieht den armen Pudel in Dir, eventuell Aussteiger, Versager oder Earth-Schuh-Gutmenschen.
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# Elke Spiess 2016-04-26 11:25
Mein Glück ist, das zu sehen, dennoch ist es schwer, danach noch an sein eigenes gewolltes Glück glauben zu können, ohne es ständig glaubhaft machen zu wollen. Denn unbewusst kämpft man sein ganzes Leben um die Anerkennung in dieser Wertewelt, beginnt auch im Bereich der Titelwelt, ein Mag. oder Dr. ist für den Privatgelehrten ein Muss. Meint der arme Studienabbrecher. Dafür aber hin und wieder zufrieden sein, eine andere Art von Glück.
Elke Spiess
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