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Leben

Bereitet es Spaß, gesund zu leben, oder verdirbt pure Gesundheit die Laune? Untersuchungen an Schulkindern zeigen, dass sie über Risiken wie Rauchen, Alkohol, Unvorsichtigkeit im Straßenverkehr bestens aufgeklärt sind, was sie nicht im mindesten daran hindert, all diese Risiken einzugehen.

Ein Mann kommt zum Arzt und sagt: „Herr Doktor, ich möchte gern länger leben!"
„Kein Problem", meint der Arzt. „Sie müssen sofort mit dem Rauchen aufhören."
„Aber, Herr Doktor, ich habe noch nie in meinem Leben eine einzige Zigarette geraucht."
„OK – kein Alkohol."
„Aber, Herr Doktor, ich habe noch nie in meinem Leben einen einzigen Tropfen Alkohol getrunken!"
„Na gut, aber auch sexuelle Aktivitäten sollten Sie nicht in übertriebenem Maße ..."
„Aber, Herr Doktor, ich habe noch nie in meinem Leben ..."
„N-na ja – also dann wäre da noch ein regelmäßiger Lebenswandel."
„Herr Doktor, ich stehe jeden Tag um 6 Uhr 15 auf, mache dann Morgensport bis 6 Uhr 38, dann esse ich ein biologisches Vollwertmüsli zum Frühstück, dann ..."
„Warum wollen Sie länger leben?"

 

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Das Interessanteste an Witzen ist meistens die Frage: Was macht den Witz zum Witz? Was unterscheidet ihn vom Bericht? Leider führt die Analyse von Witzen häufig dazu, dass sie, kaum hat man sie analysiert, aufhören, lustig zu sein. In der obigen Geschichte schimmert anscheinend die weit verbreitete Ansicht durch, dass zu einem lebenswerten Leben auch ein bisschen was Ungesundes, vielleicht sogar etwas Unmoralisches dazugehört. Denn alles, was Spaß macht, ist bekanntlich entweder unmoralisch oder es macht dick. Wenn das eine Lebensregel ist, dann gehört das Brechen von Regeln offenbar auch zu den Regeln des Lebens. Irgendwie scheint jede Regel eine spontane Sehnsucht zu stimulieren, dagegen zu verstoßen. Das haben schon Adam und Eva so gehandhabt. Das Ergebnis war, vordergründig betrachtet, äußerst unerfreulich: Sie mussten arbeiten, haben sich geschämt, dass sie nackt waren, und haben Bekanntschaft mit Sünde, Krankheit und Mühsal gemacht. Allerdings haben sie auch eine sehr interessante, weil zwiespältige Erfahrung gemacht: Alles, was vorher geschenkt war, mussten sie sich nachher mühsam erarbeiten. Gar nicht lustig. Aber die Erfahrung, dass das Geschenkte in seinem Wert erst dann erkannt werden kann, wenn es nicht mehr geschenkt ist, war offenbar unausweichlich. Die Koketterie mit dem Versuch, die geschenkte Gesundheit aufs Spiel zu setzen, um sie dann mühsam, kostspielig und oft auch schmerzhaft mit ärztlicher Hilfe wieder einigermaßen zu retten, scheint uns seit der Vertreibung aus dem Paradies noch immer in den Knochen zu sitzen. Aber warum?

Denn alles, was Spaß macht, ist bekanntlich entweder unmoralisch oder es macht dick.


Untersuchungen zu Gesundheit und Lebensstil zeigen immer wieder, dass bestimmte Berufsgruppen, darunter Ärzte und Pflegepersonal, ganz besonders ungesund leben: stressreich, mit hohem Alkohol- und Nikotinkonsum, häufig in schwierigen Partnerschaften mit hohen Scheidungsraten. Untersuchungen an Schulkindern zeigen, dass sie über Risiken wie Rauchen, Alkohol, Unvorsichtigkeit im Straßenverkehr bestens aufgeklärt sind, was sie nicht im mindesten daran hindert, all diese Risiken einzugehen. Warum sie das tun? – Darüber gibt es viele Spekulationen. Zu den wahrscheinlich richtigen gehört: Sie machen es halt den Erwachsenen nach.
Die Gefährdung der eigenen Gesundheit ist ganz offensichtlich ein willentlicher Akt. Sie geschieht nicht aus Unwissenheit und nicht aus Zwang. Es kann nicht anders sein: Es muss Motive geben, die eigene Gesundheit zu gefährden, sonst täten wir es nicht. Aber warum tun wir es?

Die Gefährdung der eigenen Gesundheit ist ganz offensichtlich ein willentlicher Akt.


Fragen, die uns selbst betreffen, gehören bekanntlich zu den schwierigsten. Introspektion tut weh. Nirgendwo weiß man das besser als in Wien, wo die Legende vom Basilisken herstammt, ein scheußliches Vieh, das erst besiegt wurde, als ein findiger Bäckerlehrling ihm einen Spiegel vor die Nase hielt und es am eigenen Anblick zugrunde ging. Auch der Widerstand, der seinerzeit Sigmund Freud entgegengebracht wurde, als er mit seiner Idee daherkam, die eigenen geheimen Wünsche zu beobachten und bewusstzumachen, hat gezeigt: Spiegel sind gefährlich.

Probieren wir es trotzdem. Ich schlage zwei Wege vor, auf denen wir nach möglichen Motiven suchen könnten, die eigene Gesundheit zu beschädigen.
Erstens: der Bilanzierungsansatz. Jede Entscheidung kann immer auch als Bilanzierungsproblem gesehen werden. Was sind die Bilanzierungsposten, die stärker wiegen als die Gesundheit? Bei Suchtkrankheiten dürfte es ein körperlich manifester Prozess sein, bei dem die nicht mehr beherrschbare Gier nach dem Suchtmittel alle anderen Bilanzierungsposten hoffnungslos übertönt. Aber bei Jugendlichen, die zur ersten Zigarette greifen, wissend, dass sie ihnen schadet, und bemerkend, dass sie nicht einmal angenehm schmeckt? Der von Psychologen (und solchen, die es gerne wären) gern bemühte Gruppendruck geht mir auf die Nerven. Gruppen tun alles Mögliche, aber drücken tun sie nicht. Lieber verweise ich, wie auch schon oft an anderer Stelle, in anderen Beiträgen dieser Zeitschrift, auf die Tatsache, dass wir Menschen das bisschen Instinkt, das wir noch haben, in den vielen Zehntausenden Jahren angezüchtet bekommen haben, während derer wir uns als kleine Stammesgesellschaften durch irgendwelche kargen Steppen gequält haben. In dieser Zeit war Zugehörigkeit zum Stamm überlebenswichtig. Ausschluss war ein Todesurteil und somit sehr viel mehr als nur ungesund. So und nur so erklären sich auch die vielen, zum Teil äußerst ungesunden Rituale, die Stammesangehörige über sich ergehen ließen, um sicherzustellen, dass sie dazugehören. Die Initiation war ein Zeitpunkt im Leben der Heranwachsenden, zu dem solche Rituale besonders gehäuft über sie hereinbrachen. Übrig geblieben ist die Firmung, mit Kirche, Kuchen und Kakao. Den Backenstreich als Symbol des Geschlagenwerdens gibt es noch, aber sehr viel härter trifft es das Schlagobers. Dass so etwas als Manifestation von Rollenwechsel und Zugehörigkeit zum Erwachsenenstatus ausreichen soll, das soll man einem Heranwachsenden erst einmal begreiflich machen. Wenn uns Soziologen wie Niklas Luhmann erklären, dass soziale Systeme aus Kommunikation bestehen, dann wird vielleicht klar, dass symbolhaftes Handeln, das als Kommunikation gedeutet werden kann, wohl sehr viel mehr wiegen muss als Gesundheit: Denn nur wer kommuniziert, manifestiert Zugehörigkeit in sozialen Systemen, ‚funktioniert' in sozialen Systemen – und das ist lebenswichtig, mehr noch: Das Leben besteht darin.

 

Gesundheit

 

Und auch in anderen Situationen als denen des Heranwachsens sind gesundheitliche Risiken wie Rauchen, Trinken, risikoreiches Autofahren oder abenteuerliche Sportarten Symbole des Dazugehörens, der Selbstdarstellung, des Identitätsgewinns und somit viel wichtiger als Gesundheit, weil sie das Leben selbst manifestieren. Wer nicht gesund ist, lebt schlechter, wer nicht kommuniziert, lebt gar nicht. Somit scheinen die Bilanzierungsposten klar zu sein.

Und zweitens: der archäologische Ansatz. Hinter jedem Motiv steht ein weiteres, das ein bisschen weniger bewusst ist als das vordergründige, hinter jenem wieder eines, noch weniger bewusst, und so weiter. Der Versuch, in dieser Schichtung von Motiven ein Stück weiter nach hinten zu gelangen, hat etwas von archäologischer Ausgrabungstechnik. Vielleicht ist es ja noch dramatischer, als es bisher geklungen hat. Vielleicht ist der Verlust von Gesundheit nicht nur in Kauf genommener Preis fürs Dazugehören (= Leben), vielleicht ist er sogar selbst ein Motiv für sich. Vielleicht kann es sogar erstrebenswert sein (oder scheinen), ein Stück in Richtung Tod zu marschieren. Eine gewagte These, die zu großem Widerspruch reizt. Das Leben muss das ultimative Ziel allen Handelns sein, und wer etwas anderes behauptet, macht sich verdächtig. Der Widerstand, der in der medizinischen Fachwelt des angehenden 20. Jahrhunderts gegen die Behauptung Sigmund Freuds entstand, es gebe so etwas wie einen ‚Todestrieb', hat sich bis heute erhalten: Ich behaupte sogar, dass einige – sogar prominente – Vertreter dieser Fachwelt nicht so ganz verstanden haben dürften, was mit diesem ‚Todestrieb' wirklich gemeint war. Zu den klassischen Missverständnissen gehört die Verwechslung dieses ‚Triebes' mit Aggressionstrieb und/oder mit Tötungstrieb. Gemeint war aber etwas ganz anderes, etwas, das Freud an anderer Stelle auch als ‚Nirwanaprinzip' bezeichnet hat: Ein Lustgewinn, der aus dem Verzicht auf Lebensmanifestationen kommt. Ein Prinzip des Rückzugs. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es jemals einen klaren Beweis für die Existenz eines solchen Motivbündels geben wird. Es handelt sich um eine persönliche Erfahrung, ähnlich einer Glaubenserfahrung. Wer sie einmal gemacht hat, braucht keinen Beweis, wer sie nie gemacht hat, glaubt keinem Beweis. Allerdings: Wer am Rande des Kraters spielt, lernt dabei, mit der Gefahr des Herunterfallens umzugehen, und wird sich deshalb von seiner Angst möglicherweise weniger bedroht fühlen als jemand, der den Krater ängstlich meidet. So könnte der Versuch, die Angst vor dem Tod in den Griff zu kriegen, vielleicht auch ein Motiv sein, die Nähe des Todes aufzusuchen: auszuprobieren, wie es sich anfühlt, loszulassen.

Dass Gesundheit das höchste aller Güter ist, stimmt wahrscheinlich nur für die, die nicht sehr gesund sind.

Fazit: Wir werden uns wahrscheinlich mit der Tatsache abfinden müssen, dass trotz aller Bekenntnisse hochrangiger Politiker zum Wert von Gesundheit
1.) erstaunlich viele Menschen in ihrem alltäglichen Leben ihre Gesundheit gegen andere Güter, die ihnen wichtiger sind, eintauschen – wohl auch oft eintauschen müssen, wenn wir etwa an Schichtarbeiter denken, die, um überleben zu können, zwei Schichten hintereinander arbeiten, und
2.) bei genauerem Hinschauen alle möglichen Verhaltensweisen zu beobachten sind, die sich kaum anders als ein mehr oder weniger aktives Aufsuchen todesnaher Erfahrungen deuten lassen.

Der Hedonismus unserer postmodernen Konsumgesellschaften ist in Wirklichkeit, so befürchte ich, gut fürs Geschäft, aber er hat mit der Realität nicht besonders viel zu tun.
Und dass Gesundheit das höchste aller Güter ist, stimmt wahrscheinlich nur für die, die nicht sehr gesund sind. Für die, die sich um ihre Gesundheit (noch) nicht kümmern (müssen), ist Gesundheit ein Gut, das im Wettbewerb mit anderen Gütern steht, allen voran – Mitspielen in der Gesellschaft.

Es gibt nur eines, das mit absoluter Sicherheit zum Tod führt, und das ist das Leben.

Was folgt daraus?
Solange Mitspielen in der Gesellschaft ungesunde Verhaltensweisen erfordert, werden diese auch gesetzt werden. Erst wenn es nicht mehr zu den Spielregeln des Erfolgs gehört, zu rauchen, die Umwelt mit PS-starken Autos zu verpesten, sich als extrem stressbelastet – weil wichtig und verantwortungsvoll – darzustellen, seine sexuelle Potenz ständig unter Beweis stellen zu müssen und noch viele andere Verrücktheiten, erst dann wird ein gesundes Leben auch mit einem glücklichen Leben (was immer das sein mag, aber das wäre schon wieder ein anderer Beitrag) vereinbar sein. Solange aber das Risiko, die Spitzenleistung, das sklavische Abarbeiten aller Zugehörigkeitssymbole zu den Erfordernissen des Mitspielens in der Gesellschaft gehört, wird Gesundheit auch weiterhin in krassem Gegensatz zu einer erfolgreichen Lebensgestaltung gesehen werden. Diese Sichtweise wird zwar auch weiterhin falsch, aber trotzdem wirksam sein. Falsch unter anderem deshalb, weil sowohl das deutsche Wort ‚Heilung' als auch das englische Wort ‚health' sprachgeschichtlich mit der Bedeutung von ‚ganz', ‚unversehrt' belegt sind. Gesundheit heißt also so viel wie Ganzheit. Krampfhafte und ausschließliche Fokussierung auf irgendetwas, und wäre es auch die Gesundheit, unter Aussparung alles anderen, ist ein Verlust von Ganzheit und nach diesem Konzept ungesund. Ein Jammer. Höchstens mit dieser tröstlichen Erkenntnis können wir uns behelfen: Es gibt nur eines, das mit absoluter Sicherheit zum Tod führt, und das ist das Leben. Deshalb wird es wahrscheinlich auch bald von der EU verboten werden.

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
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