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Diskurs

Die Ökonomie scheint mehr durch Egoismus als durch Altruismus bestimmt zu werden. Die Suche nach einer ‚Buddhistischen Wirtschaftslehre‘ als Gedankenexperiment.

Im Jahr 2009 meinte S.H. Dalai Lama nach einer Podiumsdiskussion in Frankfurt bei einem anschließenden Gespräch eher zweifelnd: „Einige behaupten ja, es gäbe so etwas wie eine buddhistische Ökonomie.“ Es gibt keine buddhistische Kosmologie oder buddhistische Physik. Ist es nun mit der Ökonomik nicht ebenso? Muss man über nüchterne Dinge wie Geld, Kapital, Zinsen oder etwa Arbeit nicht doch ebenso nüchtern sprechen wie über Atome oder Galaxien? Muss man die Wirtschaft nicht Experten – den Ökonomen – überlassen? Einige Ökonomen haben diesen Gedankengängen nachdrücklich widersprochen.

Buddha hat nicht das Streben nach Glück, sondern das Vermeiden von Leiden gelehrt. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Ernst Friedrich Schumacher skizzierte in einem berühmt gewordenen, später in seinem Buch ‚Small is beautiful‘ reproduzierten Aufsatz ‚Buddhist Economics‘, der zuerst 1966 erschienen ist, einige Grundgedanken zu einer alternativen Wirtschaftslehre. Später wurde dieser Impuls unter anderem von dem thailändischen Mönch Prayudh Payutto in einem Buch gleichen Titels aufgegriffen. Bekannt wurde das Experiment in Bhutan, wo die ökonomische Messgröße des Bruttosozialprodukts durch die Größe ‚Bruttonationalglück‘ ersetzt wurde. Bhutan begann 2008 aus einer vermeintlich buddhistischen Perspektive das ‚Glück‘ seiner Bevölkerung durch Fragebögen zu erfassen. Leider ist zu sagen, dass sich seit diesem Jahr die Handelsbilanz jährlich immer mehr verschlechtert hat und heute mit etwa 3,5 Milliarden mehr als 12 Prozent Defizit des traditionell gemessenen BIP beträgt. Glück als höchstes Ziel ist zudem keine originär buddhistische, sondern als ‚Eudaimonismus‘ eine europäische Morallehre, die in die Nutzenlehre der Ökonomie mündete. Buddha hat nicht das Streben nach Glück, sondern das Vermeiden von Leiden gelehrt. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Folgt aus den Erfahrungen in Bhutan, dass eine buddhistische Wirtschaftslehre sinnlos ist – wie eine buddhistische Physik? Man muss hier differenzieren. Viele Ökonomen betrachten die Wirtschaftslehre tatsächlich als eine Art ‚soziale Physik‘ mit ewigen Gesetzen. Sie verkennen, dass anders als Naturdinge die Wirtschaft von Menschen täglich neu hervorgebracht wird durch Arbeit, Geldverwendung, Investition und Verbrauch. Die Wirtschaft ist das Resultat wenigstens teilweise freier menschlicher Planungen und Entscheidungen, nicht eine unverrückbare Natur – weder objektiv in der Produktion noch subjektiv im Konsum. Ökonomische Lehren, die von Quasi-Naturgesetzen, wie etwa beim Konsum, ausgehen, verkennen, dass die Präferenzen der Menschen durch Werbung, Nachrichten und veränderliche Gewohnheiten immer wieder neu gebildet werden. Die Wirtschaft ist als Ergebnis menschlicher Entscheidungen deshalb nicht durch eine abstrakte Theorie, sondern nur durch eine Ethik korrekt zu beschreiben.

Die Wirtschaft vermehrt immer wieder durch Fehlentwicklungen das weltweite Leiden.

Nun kann eine buddhistische Wirtschaftsethik auf zwei Wegen formuliert werden, die man in der Philosophie ‚deskriptiv‘ versus ‚normativ‘ nennt. Eine deskriptive Ethik beschreibt, wie sich Menschen tatsächlich aufgrund welcher Motive oder Werte entscheiden. Zweifellos – und hier hat die traditionelle Ökonomik sicher recht – herrschen in Geldökonomien Motive wie Egoismus, Geldgier oder die Furcht vor Vermögensverlust vor. Doch diese Motive sind keine genetisch fixierten Eigenschaften. Man kann sie durchaus ethisch umformen. Das ist die Aufgabe einer ‚normativen Ethik‘. Und Vorschläge zu solch einer Ethik aus dem Geist des Buddhismus finden sich in Schumachers Entwurf, den Payutto aufgegriffen hat. Man stellt darin dem Egoismus eine Gemeinwohlorientierung, Mitgefühl, Bescheidenheit und andere Werte dem geldgleichen Nutzen entgegen. Das ist tatsächlich möglich, weil Menschen eben keine Naturdinge sind, die von unveränderlichen genetischen Gesetzen regiert werden. Menschen sind empfänglich für eine ethische Formung ihrer Motive. Zweifellos liegt hierin eine große, wenn auch nicht ganz einfach zu verwirklichende Anwendung der buddhistischen Ethik zur Formung einer gleichnamigen Ökonomie.

Schumacher beginnt seinen berühmten Aufsatz zur buddhistischen Ökonomie mit dem Gedanken, dass es beim ‚Edlen Achtfachen Pfad‘, der ursprünglichen Morallehre des Buddha, das Element der ‚rechten Lebensführung‘ gibt, und meint daran anknüpfend, dass ‚es mithin auch so etwas wie eine buddhistische Ökonomie geben müsse‘. Er verankert also seinen Entwurf ausschließlich in einer normativen Morallehre.

Buddhismus ist nicht nur eine Ethik, sondern auch eine Philosophie, eine Methode der Analyse, wie sie vor allem von dem Mādhyamaka-Philosophen Nāgārjuna entwickelt wurde. Was ist der Kern dieser Methode? Die Diagnose des Buddha lautete, dass das für jedermann erfahrbare Leiden in einer grundlegenden Unwissenheit über das Wesen der Welt beruht. Die buddhistische Ethik versucht, wie Payutto dies für seine Ökonomie fordert, nun nicht, den Nutzen oder sonst eine Geldgröße – Profit – zu maximieren, sondern das Leiden zu minimieren. Das ist zweifellos eine völlige Umkehrung der traditionellen Ökonomik. Doch auch Payutto verbleibt im Horizont einer bloß normativen Ethik. Wenn man, wie in Bhutan, an die Stelle des Geldes die Maximierung des ‚Glücks‘ setzt, so vertauscht man nur zwei leere Abstraktionen. Der Gedanke ist zudem naiv, so lange man dennoch von der weltweiten Geldökonomie abhängig bleibt. Mit Glück lassen sich keine lebensnotwendigen Güter einkaufen – kein Wunder, dass die Handelsbilanz Bhutans immer negativer geworden ist.

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Die Gründe liegen offenbar tiefer. An ethische Werte kann man glauben oder dies aus anderen Motiven heraus, etwa der Geldgier, auch einfach ignorieren. Mithilfe von Nāgārjunas kritischer Methode kann man aber viel mehr. Da das Leiden der Menschen, ihr Unglück faktisch aus einem Nicht-Wissen hervorgeht, gilt es vor allem, dieses Nicht-Wissen zuerst durch Wissen, durch Erkenntnis aufzulösen. Wenn man klar versteht, weshalb Menschen leiden, kann man der herrschenden Wirtschaftslehre gezielte Argumente entgegensetzen. Buddhismus im Sinn von Nāgārjuna ist immer auch Kritik der irrenden Denkformen. Und die Wirtschaftswissenschaft, die vielfach ökonomische Institutionen berät und so auch staatliche Gesetze mitgestaltet, leidet an einem grundlegenden Mangel. Es ist ihr nicht gelungen, das weltweite Elend, den Hunger, die wachsende Ungleichheit der Vermögen und Einkommen auch nur zu mindern. Etwas ist also fundamental falsch an dieser Wissenschaft. Sie will objektiv sein, ist aber letztlich doch nur eine verborgene Morallehre zur Entschuldigung der Geldgier und Gewinnmaximierung, die als ‚Theorie‘ in ihren Prognosen vielfältig scheitert.

Was lässt sich aus der buddhistischen Analyse für diese Frage entwickeln? Der Kern des Irrtums liegt in den Voraussetzungen. Ludwig von Mises, der eigentliche Vater des Neoliberalismus, hat diesen Kern in seinem Hauptwerk ‚Nationalökonomie‘ sehr klar ausgesprochen: „Das Ich ist die Einheit des handelnden Menschen. Es ist fraglos gegeben und kann durch kein Denken aufgelöst werden.“ Nun ist genau dies die zentrale Illusion, die Buddha und seine Nachfolger entzaubert haben. Herzstück jeder Form der buddhistischen Philosophie ist die Lehre vom An-Atman, vom Nicht-Ich. Anders gesagt: Das Ich wird durch systematische Analyse als Illusion nachgewiesen. Die neoliberalen Ökonomen, die heute weitgehend das Feld dominieren, stellen das Ich als Träger von Entscheidungen, Nutzen- oder Geldstreben und dem Festhalten von Eigentum in den Mittelpunkt. Die Folge ihrer Beratung: Die Wirtschaft vermehrt immer wieder durch Fehlentwicklungen das weltweite Leiden.

Nun ist die Lehre vom Nicht-Ich nicht nur eine einfache Gegenthese, sondern das Resultat einer systematischen Untersuchung, die argumentative und meditative Elemente vereint. Was bei Mises einfach als dogmatische Voraussetzung erscheint, entpuppt sich als Prozess der Illusion. Das Ich ist kein ‚Sein‘, nichts Festes. Das kann jeder im Laufe seines Lebens im eigenen Geist bemerken. Menschen sind mit fünf Jahren völlig andere als die erwachsenen Personen, die in reiferen Jahren den Wandel ihrer Identität oft schmerzhaft, schließlich todsicher erfahren müssen. Keine Spur eines dauerhaften, gar ‚ewigen Ich‘. Was wir beobachten, auch jeder für sich selber, ist eine einfache Wahrheit der buddhistischen Philosophie: Alle Phänomene sind verschränkt, sind gegenseitig abhängig. Deshalb ist alles vergänglich, ohne festen Halt. Wenn wir nun ein Ich als Illusion, als Ich-Gedanke aufrechterhalten, so entgleitet uns früher oder später das, was wir festzuhalten versuchen. Weil wir es aber festhalten wollen, erfahren wir Frustration und Leiden. Folglich: Alles ist vergänglich, alles ist deshalb leidhaft und nichts hat ein bleibendes Ich, eine bleibende Identität. Je das Gegenteil zu glauben, nennt man im Buddhismus die drei Geistesgifte: Die Unwissenheit, der Ich-Wahn. Daraus sich ergebend das Festhalten- und Ergreifenwollen: die Gier. Und da dies scheitert und vielfach anderen zugeschrieben wird: die Aggression, der Hass.

 


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 103: „Buddha und die Arbeit"

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Wie zeigt sich dies nun in der Wirtschaft? Die gegenseitige Abhängigkeit aller Menschen organisieren wir hier über das Geld. Das Geld scheint ein Ding zu sein, gleichgültig, ob Gold-, Papier- oder Kryptowährung, das man erfassen, mit dem man rechnen kann. Dies, dass das Geld unsere gegenseitige Abhängigkeit organisiert, ist an seiner äußeren Form vergessen und getilgt. Im Geld erscheint die fundamentale soziale Form der Unwissenheit. Wir alle sind in der Wirtschaft auch ohne Absicht ‚Geldsubjekte‘, die als Käufer oder Unternehmer ‚Ich‘ zu sich sagen. Wir handeln und entscheiden nicht mit allen anderen gemeinsam im Rahmen einer gemeinsam bewohnten Erde, sondern jeweils vereinzelt durch die Geldrechnung. Die Gier, die aus dem Festhaltenwollen und der Vergänglichkeit täglich neu erwächst, entpuppt sich als Geldgier: Profitstreben, institutionalisiert in Banken als Zins. Und in der Konkurrenz entfaltet sich die wiederum daraus immer neu entstehende Aggression bis zum Hass oder auf staatlicher Ebene im Imperialismus und Krieg.

Im Geld erscheint die fundamentale soziale Form der Unwissenheit.

Man kann also die Bausteine der modernen Wirtschaft auf ganz anderen Wegen als den vielfach gescheiterten der traditionellen ‚Wirtschaftswissenschaften‘ entwickeln und gelangt so nicht nur zu einem realistischeren Bild. Man kann auch sehr genau sagen, wo eine buddhistische Ethik anzusetzen hat. Sie muss die Quelle des Leidens, den illusionären Glauben an ein stabiles Ich, entzaubern und die tatsächliche, die gegenseitige Abhängigkeit in den Mittelpunkt stellen. Dadurch lässt sich dann – umzusetzen in Politik, Schulen, Universitäten oder anderen Institutionen – ganz rational das Mitgefühl als alternative, Leiden vermeidende Tugend in den Vordergrund rücken. Wo Mitgefühl an die Stelle von Egoismus, Wachstum und Geldgier tritt, wird Leiden minimiert – auch das Leiden anderer Lebensformen. Aus solcher Bescheidenheit erwächst dann auch Glück.

Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen, u.a. ‚Buddhistische Wirtschaftsethik‘ (2. Auflage, 2011); ‚Die Herrschaft des Geldes‘ (2. Auflage, 2012); ‚Säkulare Ethik‘ (2015).

 

Illustrationen © Francesco Ciccolella

Bilder © Pixabay

Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen,...
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