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Diskurs

Gemeinwohl statt Kapitalismus: Es gibt Utopien, die Wirklichkeit werden. Die Alternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft gibt es.

Zahlen sagen oft mehr als Worte. So erhob die deutsche Bertelsmann-Stiftung unlängst, dass sich 88 Prozent der Menschen in Deutschland eine neue Wirtschaftsordnung wünschen, in Österreich sind es sogar 90 Prozent. Demnach gibt es viele, die nicht zufrieden mit den herrschenden ökonomischen Strukturen sind. „Diese Wirtschaft tötet“, hat der Papst in Rom unlängst gesagt und damit einer wachsenden Zahl von Menschen aus der Seele gesprochen. Die gute Nachricht: Es gibt andere Entwürfe. Einer davon ist die Gemeinwohl-Ökonomie, eine vollständig alternative Wirtschaftsordnung, die 2010 gegründet wurde und seit damals ständig ausgebaut wird.

Für alle, die das Konzept nicht kennen: Die tragenden Säulen der Gemeinwohl-Ökonomie sind im Grunde genommen zeitlose Werte. Schon Aristoteles unterschied die Wirtschaftsweise der ‚oikonomia‘, in der Geld ein Mittel ist, von der ‚chrematistike‘, deren Ziel Gelderwerb ist. Diese Einstellung ist heute in vielen Verfassungen verankert, etwa in Bayern: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, steht dort geschrieben. Das Grundgesetz sieht vor, dass ‚Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll‘.

Gemeinwohl hingegen misst sich an Faktoren wie Gesundheit, Bildung, Teilhabe, sozialer Zusammenhalt, ökologische Stabilität, Sicherheit oder subjektives Wohlbefinden.

Eines der Grundprobleme dabei: Das Gemeinwohlziel wird heute in der realen Wirtschaft gar nicht gemessen. Es fehlen die geeigneten Instrumente, um die Erfolgsindikatoren sichtbar zu machen. Stattdessen geht es in den meisten Systemen ausschließlich um das Bruttoninlandsprodukt, den Finanzgewinn und die Finanzrendite als Indikatoren von Erfolg. Allerdings messen sie nur die Mittel sowie deren Akkumulation und können daher nichts Verlässliches über die Zielerreichung, nämlich das Wohl der Allgemeinheit, aussagen.

Gemeinwohl hingegen misst sich an Faktoren wie Gesundheit, Bildung, Teilhabe, sozialer Zusammenhalt, ökologische Stabilität, Sicherheit oder subjektives Wohlbefinden. Werden solche Ziele erreicht, kann eine Volkswirtschaft als erfolgreich bezeichnet werden und diejenigen, die darüber entscheiden, sind alle Mitglieder einer Bevölkerung, die in kommunalen Bürgerbeteiligungsprozessen ihre Ziele und Ergebnisse selbst definieren. Der Erfolg eines Unternehmens wird analog zur ‚Gemeinwohl-Bilanz‘ gemessen. Und diese wiederum ergibt sich aus gesellschaftlich aktuellen Bedürfnissen. Ein paar Beispiele: Wie sinnvoll ist ein Produkt? Wie sinnvoll eine Dienstleistung? Wird ökologisch produziert, vertrieben und entsorgt? Sind die Arbeitsbedingungen human? Werden Frauen und Männer gleichbehandelt und gleich bezahlt? Wie werden die Erträge verteilt? Wer trifft die Entscheidungen? Wie kooperativ verhält sich das Unternehmen auf dem Markt?

Um solche Faktoren messen zu können, werden Punkte vergeben. Maximal zu erreichen ist die 1.000-Punkte-Marke. Und theoretisch ließe sich daraus eine Art Gemeinwohl-Ampel entwickeln, die auf sämtlichen Produkten und Dienstleistungen transparent gemacht würde. Sie könnte Kaufentscheidungen erleichtern. Auch aus Unternehmenssicht könnten Vorteile erwachsen: etwa niedrige Steuern, weniger Zölle oder bessere Zinsen für all jene Betriebe, die im Sinne des Gemeinwohls agieren. Mithilfe marktwirtschaftlicher Anreizinstrumente würden ethische Produkte preisgünstiger und die ‚Gesetze des Marktes‘ würden mit den ‚Werten der Gesellschaft‘ übereinstimmen.

Auf diese Weise bliebe also die Finanzbilanz erhalten, doch das Gewinnstreben könnte differenziert werden. Einerseits könnten nach wie vor Gewinne für soziale und ökologisch wertvolle Investitionen, Kreditrückzahlungen, begrenzte Ausschüttungen an die Mitarbeitenden oder Rückstellungen verwendet werden, andererseits wären feindliche Übernahmen, Investitionen auf Finanzmärkten, Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen arbeiten, nicht mehr möglich.

UW101 Felber Gemeinwohl

Um die Konzentration von Kapital und Macht und die damit einhergehende übermäßige Ungleichheit zu verhindern, könnten ‚negative Rückkoppelungen‘ bei Einkommen, Vermögen und Unternehmensgröße eingebaut werden. Während der Start ins Wirtschaftsleben unterstützt wird, würde mit zunehmendem Reicher-, Größer- und Mächtigerwerden das weitere Reicher- und Größerwerden immer schwieriger. Die erste Million wäre leicht, jede weitere immer schwerer zu erwirtschaften bis zum gesetzlich festgelegten Maximum von Ungleichheit. Warum diese Staffelung? Die Begrenzung der Ungleichheit dient der Verhinderung einer Überkonzentration von Macht – in ökonomischer und politischer Hinsicht.

Deshalb ist Gemeinwohl-Ökonomie nicht nur eine ethische, sondern auch eine tatsächlich liberale Marktwirtschaft. Sie schützt die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen für alle und ist ‚liberale Marktwirtschaft‘ ohne Kapitalismus.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 101: „So schaffen wir Frieden"

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Es gibt noch ein weiteres wichtiges Charakteristikum: In der Gemeinwohl-Ökonomie ist Kooperation ein zentraler Wert. So sollen Anreize für Unternehmen geschaffen werden, sich gegenseitig zu helfen, Ressourcen zu teilen und umfassend miteinander zu arbeiten. Wenn ein Unternehmen hingegen mit Ellenbogentechnik agiert, würde sich dessen Gemeinwohl-Bilanzergebnis verschlechtern – sogar eine ‚ethische Insolvenz‘ wäre denkmöglich. Wenn Kooperation ein Wert ist, wird darüber hinaus verhindert, dass Wettbewerb Ängste auslöst, Beziehungen oder Selbstwertgefühl untergraben werden und Kulturen – im äußersten Fall – sich für den Krieg rüsten. Dahinter steht die Überzeugung, dass Kooperation ein stärkerer Motivator als Konkurrenz sein kann. Auf diese Weise leistet die Gemeinwohl-Ökonomie einen zutiefst grundlegenden Beitrag zum Weltfrieden.

Mag. Christian Felber, geboren 1972, unterrichtet an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist zeitgenössischer Tänzer, internationaler Referent, Autor von 15 Büchern und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie sowie des Projekts Bank für Gemeinwohl in Österreich. www.christian-felber.at
 
Tipp zur Vertiefung: Christian Felber, Ethischer Welthandel. Deuticke Verlag 2017

Bilder © pixabay

Kommentare  
# Uwe Meisenbacher 2019-04-12 20:14
Hallo Herr Felber,

Ihr Artikel ist ein zutreffender Aufklärungsbeitrag, und das nicht nur für Buddhisten. Danke dafür!

Die Gemeinwohl-Wirtschaft, ist eine realistische, praktizierbare Alternative.
Die Realität ist in der Vergangenheit und in der Gegenwart, dass die herrschenden Finanz-, Wirtschaft-, und Politikeliten eine auf Gemeinwohl basierte, soziale und umweltverträgliche Ökonomie verhindern. Durch ihre Gier nach Profitmaximierung ist ihnen Ethik, Moral und Gemeinwohl scheißegal. Sie machen Reiche reicher und Arme ärmer und zerstören die für uns Lebensnotwendige natürliche Umwelt ( Ökosysteme).

Mit freundlichen, aberglaubensfreien, achtsamen, frei von Gier nach Profitmaximierung, heilsamen, buddhistischen Grüßen, auf eine bessere Zukunft.
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