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Diskurs

Die globale Umwelt- und Klimakrise ist im Kern eine Bewusstseinskrise. Eigeninteressen, Aggression und Engstirnigkeit vernebeln unser Bewusstsein.

Unser Wissen über die äußere Welt hat zwar enorme Fortschritte gemacht, was jedoch das Verständnis unserer selbst, unserer Innenwelt, angeht, so dämmert die Menschheit eher noch im Halbschlaf. Möglichst viele von uns sollten aufwachen, bevor es zu spät ist.

Bist du bewusst?
Vor einiger Zeit stellte Marie ihrer Freundin Simone eine seltsame Frage: „Bist du bewusst?“ Simone schaute etwas verwirrt und fragte zurück: „Was meinst du mit ‚bewusst‘? Meinst du umweltbewusst oder sozial bewusst, oder welche Art von Bewusstsein meinst du?“ Marie antwortete: „Nein, ich meine keine bestimmte Art von Bewusstsein. Ich meine, bist du dir bewusst, bewusst zu sein? Ich meine, Bewusstsein ganz ohne Inhalte.“ Simone runzelte zunächst unverständig die Stirn, und es dauerte einen Moment, bis sie die Bedeutung der Frage verstand. So etwas Merkwürdiges hatte sie noch niemand gefragt. Dann beschloss sie, sich darauf einzulassen. Für einen Augenblick wurde sie ganz still. Es war, als ob ihr Bewusstsein nach innen auf sich selbst blickte, und sie konnte Marie mit einem entschiedenen „Ja, bin ich bewusst“ antworten.

Diese kleine Frage beschäftigte Simone seitdem immer wieder und sie begann sie sich zwischendurch in ihrem Alltag immer wieder selbst zu stellen: „Simone, bist du bewusst?“ Beim Teetrinken, beim Spülen, an der Supermarktkasse oder wenn sie ins Auto eingestiegen war, kurz bevor sie den Anlasser drückte – immer wieder. Die kleine Frage war für sie wie ein Türöffner zu einem Teil ihres Bewusstseins, mit dem sie sich vorher noch nie beschäftigt hatte. Und sie bewirkte schrittweise eine Veränderung in ihrem Inneren und – etwas später – auch in ihrem Handeln. Jedes Mal, wenn sie sich die Frage stellte, wurde Simone für einige Zeit zur aufmerksamen und neutralen Beobachterin der Vorgänge ihres eigenen Geistes. Sie konnte erleben, wie der Filter, durch den sie äußere Ereignisse wahrnahm, für einen Moment transparenter wurde. Das fand sie spannend.

Nach einer Weile entdeckte sie, dass es in ihrem Geist zwei Zustände gab. Das hatte sie zuvor noch nie bemerkt, weil einer der Zustände ihr engstens vertraut war und stets allen Raum einzunehmen schien. Dieser Bewusstseinszustand war gewebt aus einem dichten unablässigen Strom von Gedanken und Sinneseindrücken. Simone war meistens völlig gefesselt in diesen Eindrücken – wie in einem Film. Man nennt diesen Teil das ‚psychologische Alltagsbewusstsein‘. Aber nun gelang es ihr, sich mithilfe der Frage „Bist du bewusst?“ zu besinnen und immer wieder für eine Weile herauszutreten aus ihrem eigenen Kino in einen weiten, offenen Raum. Das war der neu entdeckte Zustand des Bewusstseins.

Bewusstseins-Inhalte und Bewusstseins-Raum
Alle großen Weisheitstraditionen, egal, ob Christentum, Buddhismus, Sufismus, Judentum oder die indischen Upanishaden, lehren uns, dass dem Geist zwei untrennbare Aspekte innewohnen: der Bewusstseins-Raum und die Bewusstseins-Inhalte. Das hatte Simone nun aus eigener Erfahrung entdeckt. Als Bewusstseins-Inhalte werden unsere vielfältigen Erfahrungen des Alltags, egal, ob gedankliche, emotionale oder sinnlich erfahrene bezeichnet. Sie erscheinen in einem (fast) ununterbrochenen Strom, ähnlich einem Film, in unserem Geist.

Dieser Gedankenstrom ist besonders intensiv, wenn die geistige Aufmerksamkeit nicht durch äußere Aktivitäten gefordert ist. Die meisten Menschen können das schon morgens bei einer Routinetätigkeit wie dem Duschen gut beobachten: Es geht dort in der Duschkabine schon recht lebhaft zu und es herrscht – sinnbildlich gesprochen – ein großes Gedrängel verschiedener Menschen, mit denen wir über anstehende oder zurückliegende Herausforderungen des Alltags diskutieren. Alles spielt sich in unserer Fantasie ab, erscheint aber ganz lebendig vor unserem inneren Auge und nimmt uns gefangen. Der wohlbekannte Duschablauf, der wenig Aufmerksamkeit fordert, erlaubt dieses Abdriften in einen inneren Film, einen Strom innerer Bilder, Gedanken und Gefühle. Er wird meist erst in der letzten Duschphase jäh unterbrochen. Dann, wenn kaltes Wasser auf die Haut prasselt und der Körper wieder Aufmerksamkeit fordert und uns für ein paar Momente aus den Gedanken reißt.

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Nun berichten uns die Weisen aus tiefer Innenschau, dass alle unsere Erfahrungen (Bewusstseins-Inhalte) sich in einem Bewusstseins-Raum entfalten, den wir meist nicht sehen. Als traditionelle Veranschaulichung der Beziehung von Bewusstseins-Raum und -Inhalten wird oft der weite Himmel verwendet. Am Himmel entstehen und vergehen die Bewusstseins-Inhalte wie Wolken. Ihr Vorüberziehen verändert das Wesen des Himmels nicht sowie auch unsere Gedanken, Gefühle und Empfindungen, wie auch immer sie sein mögen, den Bewusstseins-Raum nicht verändern.

Und diesen Bewusstseins-Raum betritt nun Simone immer häufiger. Er ist weit und klar. Es ist, als würde sie innerlich zurücktreten und durch eine Lücke zwischen sich und ihren Gedanken in diesen weiten Raum gelangen. Hier fühlte sie sich nicht mehr verwickelt in ihre eigenen Dramen, sondern im Gegenteil: Sie entdeckt ein spontanes Gefühl von Zufriedenheit und tiefer Verbundenheit mit der Welt. Es fühlt sich an wie ein inneres Lächeln. Niemals wäre Simone auf die Idee gekommen, dass das, was sie da tat, Geistestraining oder Meditation genannt werden könnte. Und doch ist es Meditation im tiefsten Sinne. Ohne jemals davon gehört zu haben, übt Simone sich in einer tiefen Dimension von Achtsamkeit, sogenannter müheloser Achtsamkeit.

Mühelose Achtsamkeit und spontane Spiritualität
Die Fähigkeit zur Achtsamkeit, einer besonderen Form der Aufmerksamkeit, ist allen Menschen angeboren. Sie ermöglicht es, mit klarem Bewusstsein innere und äußere Erfahrungen ohne Bewertung zu beobachten. Da das Bewusstsein der meisten Menschen jedoch fortwährend randgefüllt mit Alltagsgeschäften ist, fristet die wunderbare Fähigkeit zur Achtsamkeit oft ein eher kümmerliches Dasein. Selbst wenn wir ahnen und sogar gelegentlich spüren, dass da eine tiefere geistige Dimension in uns ist, wird sie überblendet von diesem alltäglichen Denken und Tun.

Um den Geist zu trainieren, wird deshalb Achtsamkeitstraining empfohlen. In äußerer Ruhe, sitzend auf einem Stuhl oder Meditationskissen, lernen wir, den Geist von Gedanken und Gefühlen zu lösen und uns auf ein Objekt zu konzentrieren. Der Atemvorgang wird als Meditationsobjekt empfohlen. Man lenkt die Achtsamkeit auf das Ein- und Ausatmen, indem man zum Beispiel die Empfindungen beobachtet, wenn der Atem an den Nasenlöchern ein- und ausströmt. Die Übung besteht darin, den Geist, wenn er vom Atem abschweift, immer wieder freundlich zurück auf den Atem zu lenken. Das trainiert den geistigen ‚Achtsamkeitsmuskel‘ und macht ihn mit der Zeit immer stärker und folgsamer. Jeder, der sich schon einmal in Achtsamkeitsmeditation geübt hat, weiß allerdings, wie mühselig und frustrierend es gerade zu Beginn sein kann. Die Krux ist unsere Sehnsucht nach bald eintretender Ruhe und Entspannung, die für viele Menschen ja gerade die Motivation ist, überhaupt mit Achtsamkeitsmeditation zu beginnen. Sie haben in der Presse von allerlei Wunderwirkungen gelesen. Stattdessen merken sie nun, wie wild die Gedanken hin- und herspringen und nicht zur Ruhe kommen. Statt das nun mit klarem Bewusstsein urteilsfrei zu beobachten, wie das der Übung entspräche, erschrecken sich viele Menschen und hören wieder auf. Diese Form der Meditation arbeitet mit der Ebene des psychologischen Alltagsgeistes und dieser kann nicht anders, als immer wieder abzuschweifen, es ist seine Natur. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn immer wieder neue Bewusstseins-Inhalte wie Gedanken und Bilder auftauchen. Man sollte lernen, sich nicht mit ihnen zu identifizieren, dann wird der Geist mit der Zeit ruhiger und klarer. In vielen wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass regelmäßige Achtsamkeitsmeditation effektiv hilft, unsere Unruhe und Ängste zu moderieren und inneren Stress abzubauen.

Achtsamkeitsmeditation stellt eine ideale Vorbereitung für die Entdeckung müheloser Achtsamkeit und inneren Gewahrseins in unserem Geist dar, was auch Simone entdeckt hatte. Die mühelose Achtsamkeit unterscheidet sich in ihrer Qualität nicht von der ‚normalen‘ Achtsamkeit, sie wird aber insofern ‚mühelos‘, als sie sich statt auf ein Meditationsobjekt auf inneres Gewahrsein beziehungsweise innere Bewusstheit richtet. Das innere Gewahrsein erlebt das, was gerade ist, direkt – ohne den Filter unserer Gedanken, Meinungen und Urteile. Es besteht aus lebendiger Weisheit jenseits von Gedanken und Konzepten. Man ist sich dann bewusst, dass man bewusst ist, und der Geist erreicht eine tiefere Ebene, von der er nicht mehr so leicht abschweift. Inneres Gewahrsein lebt in unser aller Bewusstseins-Raum und ist aus sich heraus klar und wissend – ohne jegliche Mühe und ohne irgendwelche Hilfsmittel. Einmal erkannt, kann die Leuchtkraft dieses Gewahrseins jederzeit wieder angefacht werden, wie Feuer aus einem fortwährenden glimmenden Funken. Ist der Geist im bewussten Kontakt mit ihm, breitet sich eine tiefe Freude im Leben eines Menschen aus, gänzlich unabhängig von äußeren Umständen. Es ist Quelle großer innerer Zufriedenheit ohne äußeren Anlass. Man kann seine Entdeckung leider nicht forcieren, sie passiert spontan, wenn der geistige Boden bereitet ist. Aber man kann günstige Bedingungen dafür schaffen und den Geist vorbereiten mit Achtsamkeitsmeditation und der Frage: Bist du bewusst? Hat man erst einen Zugang, kann die Wahrnehmung jederzeit und überall geübt und stabilisiert werden. Dafür sind dann weder Meditationskissen noch eine besondere Stimmung, Religion, Intelligenz oder Bildung notwendig.

Inneres Gewahrsein ist pures lebendiges Sein und wirkt wie ein Katalysator für die Entwicklung tiefer spiritueller Einsicht und Transformation. Je lebendiger und selbstverständlicher diese Erfahrung in uns wird, desto tiefer können wir uns mit dem, was gerade ist, auf natürliche Art und Weise entspannen, fühlen uns auf elementare Art mit der Natur und allen Wesen verbunden und können unser mitfühlendes Herz öffnen – und das ganz ohne Mühe. Im Kontakt mit diesem inneren Gewahrsein lebt sich Spiritualität ganz spontan.

Transformation von innen und außen
Die globale Umwelt- und Klimakrise ist im Kern eine Bewusstseinskrise. Wie kann uns eine lebendige Spiritualität in der Überwindung der Bewusstseinskrise helfen und welche Rolle spielt sie?

In einer mit Informationen, Meinungen, Erregung, Angst, Lärm und Gleichzeitigkeit übervollen Welt fühlen sich viele Menschen inzwischen heillos überfordert und haben Angst vor der Zukunft. Der Angst wird häufig entgegengewirkt durch Konsum. Der Güter- und Ressourcenverbrauch wird immer mehr angetrieben. Warnende Worte kommen von allen Seiten. Auch Papst Franziskus wollte uns aufrütteln, als er vor einer Gesellschaft warnte, die ‚trunken ist von Konsum und Vergnügen, von Überfluss und Luxus, von Augenschein und Eigenliebe‘. Um den Überfluss und Luxus fortzusetzen, beuten wir die Ressourcen der Erde gnadenlos aus. „Die Klimakrise bringt unseren Planeten ans Limit. Sie verdorrt die Erde, versauert die Meere, bringt die Gletscher zum Schmelzen und drängt zahlreiche Tier- und Pflanzenarten an den Rand des Aussterbens“, schreibt der WWF. Klimaforscher rufen uns seit Jahren verzweifelt auf, umzusteuern, bevor wir einen unumkehrbaren Prozess der Klimaerwärmung auslösen. Sie finden wenig Gehör. Und doch wissen viele von uns: So darf es nicht weitergehen und so geht es nicht mehr lange weiter. Eine Kursänderung müsste auf vielen Ebenen stattfinden. Ich betrachte das Thema hier aus einer spirituellen Perspektive. Denn der einzige Weg zu einer nachhaltigen Transformation der Gesellschaft besteht letztlich in der Transformation des Bewusstseins der Menschen, die in der Gesellschaft leben. Die Welt und unser Handeln in der Welt sind ja ganz entscheidend von diesem Bewusstsein abhängig.

Tendenziell bilden politisches und spirituelles Commitment scheinbare Gegensätze. Während das eine auf die Veränderung äußerer Umstände und auf Tun zielt, beschäftigt sich das andere eher mit individuellem Wachstum in der Annahme, dass das Sein zurück in die Gesellschaft wirkt. Politisch interessierte Menschen bleiben gegenüber dem Thema Spiritualität oft eher skeptisch und halten spirituelle Menschen tendenziell für naive, auf sich bezogene Traumtänzer. Politische und spirituelle Arbeit gehören meines Erachtens jedoch im Idealfall zusammen, sind zwei Seiten einer Medaille. Ich möchte politisch engagierte Menschen einladen, sich zu öffnen und neugierig auf ihren inneren Bewusstseins-Raum zu werden – und nicht ‚nur‘ bei der Bearbeitung der Bewusstseins-Inhalte stehenzubleiben. Denn umwelt- und gesellschaftspolitisches Engagement beruhte oft auf einer inneren Abwehr- und Empörungshaltung, speiste sich im schlimmsten Fall aus Aggression, Misstrauen, Angst und Verzweiflung. Die Motivation einer Handlung ist aber entscheidend für die Frucht, die diese Handlung letztlich hervorbringt. Eine ablehnende, geringschätzige Einstellung ist nicht geeignet, um Dinge zum Guten zu wenden. Sollten wir uns nicht wünschen, dass möglichst viele Menschen den Blick nach innen richten, um durch die Augen des Gewahrseins auf die Welt zu schauen? Sollten wir uns nicht wünschen, dass viele Menschen ihr essenzielles mitfühlendes Wesen entdecken und entwickeln und diese Sichtweise aktiv in Wege zur Lösung der gegenwärtigen Weltkrise einbringen? Wie wunderbar wäre es, wenn sich politische Arbeit eher aus tiefem angeborenen Gefühl der Verbundenheit und Mitgefühl nährte als aus Ablehnung und Wut. Eine Praxis der Achtsamkeit wäre ein geeigneter Weg zur Vertiefung eines natürlichen tiefen Verantwortungs- und Verbundenheitsgefühls mit der Welt, aus dem heraus heilsame Handlungsentscheidungen erwachsen können.

Ich möchte aber auch spirituelle Menschen ermutigen, die Werte von Mitgefühl und Weisheit aktiver in ökologische, gesellschaftliche und politische Belange der Welt einzubringen. So entscheidend eigene innere Wandlung durch spirituelle Übung ist – ein neues Gesellschaftsmodell wird nicht aus dem alten, rein auf Materialismus gegründeten Bewusstsein erwachsen –, so wenig sollte man sich darauf verlassen, dass spirituelle Übung allein ein Wundermittel gegen ökologische und politische Krisen sein werde. Lebendiges inneres Gewahrsein sollte auch Ansporn für ein Handeln in der Welt sein. Wir können uns nicht leisten, zuzuschauen, wie unsere Gesellschaft die Grenzen des Handelns und des Sagbaren immer mehr in Richtung Hass und Hetze verschiebt. Wir können uns nicht leisten, zuzuschauen, wie Klimakrise, Krieg, Rassismus und Populismus um sich greifen und die Welt bedrohlich ins Schlingern bringen. So gilt für uns alle: Bist du bewusst?

Dr. Adriane Kobusch, Master of Chinese Medicine, Gesundheitswissenschaftlerin, Achtsamkeitstrainerin, arbeitet in eigener Praxis in Bielefeld und leitet regelmäßig Kurse "Vom Stressmaagment zum Geistestraining" auf Lanzarote. Mehr erfahren Sie unter: www.dr-kobusch.de und www.the-essence-ama.net
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