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Diskurs

Die politische und die ökonomische Welt befinden sich im Aufbruch. Wohin geht die Reise?

Ökonomisch haben sich die Finanzkrise 2008 und die Wirtschaftskrise 2009 als Meilenstein entpuppt. 2008 stand das globale Finanzsystem vor dem Kollaps. 2009 ist in vielen reichen Ländern erstmals seit 1945 die Wirtschaftsleistung, gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP), gesunken. Viele große Banken wurden mit Geldspritzen in Milliardenhöhe gerettet, manche Staatshaushalte hat das sehr belastet. 2009 wurde die Konjunktur mit den größten Konjunkturpaketen der Geschichte gestützt – am stärksten in Japan und in China. Seit dieser Zeit befindet sich das globale Wirtschaftssystem im Krisenmodus. In den Medien war ebenfalls jahrelang von ‚Krise‘ und ‚Rettung‘ die Rede. Im Euroraum liegt das BIP aktuell nur knapp über jenem von 2007. Wir leben in einer Phase, in der das Wirtschaftssystem stagniert – mit Ausnahme von Deutschland und Österreich, dort gab es Zuwächse.

Ein Teil der Bevölkerung glaubt, von traditionellen politischen Parteien nicht mehr repräsentiert zu sein.

Wenig Wachstum wird von manchen begrüßt, weil Wirtschaftswachstum oft mit einer zunehmenden Umweltzerstörung einhergeht. Ökonomen und Wirtschaftspolitikern wird ein Wachstumsfetischismus vorgeworfen. Das kann richtig sein. Aber solange wir kein anderes Wirtschaftssystem haben, hat fehlendes Wachstum gravierende Folgen. Vor allem die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, auf die Staatsfinanzen und auf die Politik sind in der Regel beachtlich. In vielen Ländern ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen, vor allem bei der Jugend. In Österreich und Deutschland war der Zuwachs an Arbeitslosigkeit weniger dramatisch. Fatal sind die Auswirkungen auf die Staatsfinanzen, denn geringe Wachstumszahlen bewirken meist direkt eine Steigerung der Staatsschulden, weil die Einkommen relativ sinken, die Ausgaben hingegen steigen. Die entscheidenden Auswirkungen hat das fehlende Wirtschaftswachstum jedoch auf den politischen Prozess selbst. Phasen, in denen die Wirtschaft sinkt oder stagniert, bewirken in der Regel eine stärkere politische Polarisierung, die Bevölkerung geht meist zugleich nach rechts und nach links. Insgesamt waren Wirtschaftskrisen in der Geschichte in der Regel von einem Rechtsruck begleitet. Genau dieser Prozess läuft zurzeit in den USA und in Europa ab.

Der Rechtsruck in Europa hat sich letztes Jahr an den Flüchtlingen entzündet und wird jetzt mit Kritik an der EU fortgesetzt. Man macht die EU generell für viele Fehlentwicklungen verantwortlich. In den USA wettert Donald Trump gegen die Globalisierung und ihre Auswirkungen auf das Land. Dieser Protest wird durch Entwicklungen gespeist, die als langsamer Trend seit Jahrzehnten ablaufen, aber von etablierten Parteien kaum thematisiert werden. Beispiele sind die zunehmende Ungleichheit von Vermögen und Einkommen oder schlechter werdende Arbeitsbedingungen. In den USA etwa stagnieren seit den 70er Jahren die realen Löhne. Viele Leute müssen mehrere Jobs ausüben, um über die Runden zu kommen. Diese prekären Arbeitsverhältnisse treffen immer mehr Menschen. Ein Teil der Bevölkerung in Europa und in den USA sieht für seine ökonomische Zukunft schwarz. Es droht auch eine Altersarmut, zum Beispiel für Personen, die keiner geregelten Beschäftigung nachgehen oder wenig verdienen – wie in Deutschland die meisten Hartz-IV-Empfänger.

Insgesamt waren Wirtschaftskrisen in der Geschichte in der Regel von einem Rechtsruck begleitet.

Weil die Politik diese Trends nicht anspricht und nichts aktiv dagegen unternimmt, fühlen sich manche von der Politik nicht mehr vertreten. Jahrelang wurde gesagt, es gäbe keine Alternativen – die Folge ist die ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD). Politologen sprechen von einer Krise der Repräsentation. Ein Teil der Bevölkerung glaubt, von traditionellen politischen Parteien nicht mehr repräsentiert zu sein. Sie gehen nicht mehr zur Wahl oder wählen Parteien, die sie als Protest gegen ‚die da oben‘ verstehen. Der Wahlkampf in den USA, der Aufstieg der AfD in Deutschland, die Bundespräsidentschaftswahlen in Österreich und der Brexit in England sind Zeichen einer Erosion von politischer Glaubwürdigkeit. Am Pranger stehen die ‚Eliten‘. Propagiert wird ein Rückzug in eine angeblich heile Welt von vorgestern.

In vielen Ländern fangen Rechtspopulisten die Proteststimmung ein, in manchen Staaten gibt es auch neue starke Linksströmungen. Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen sprechen zum einen Ängste und Sorgen direkt an – ein Vorgang, der als solcher zu begrüßen ist und als Versuch verstanden werden kann, enttäuschte oder ausgegrenzte oder sich so empfindende Menschen wieder in das politische System einzubinden. Doch die Art, wie das geschieht, ist fatal und kann in letzter Konsequenz die Demokratie selbst zerstören. Rechtspopulisten ‚übersetzen‘ nämlich Sachprobleme immer in teils erfundene Personenprobleme. Sie sprechen Sachprobleme nicht als Sachprobleme an und reden kaum etwa über Strukturmängel der Wirtschaft, das überbordende Finanzsystem und seine Instabilitäten, den Bereich der nicht regulierten Schattenbanken oder warum es großen globalen Firmen leicht gemacht wird, keine Steuern zu zahlen. Stattdessen werden Ängste und schlechte Stimmungen mit allen Mitteln angeheizt und in ein fiktives Bild der Gesellschaft überführt. Diese besteht nämlich nur aus zwei Personengruppen, die – allen bestehenden Unterschieden zum Trotz – in sich gleichartig sind: die ‚Guten‘ = ‚das Volk‘, ‚unsere Kultur‘, ‚die Heimat‘ auf der einen und die ‚Bösen‘ = ‚das System‘, ‚die Politik‘ oder ‚die EU‘ auf der anderen Seite. Im rechtspopulistischen Bild der Gesellschaft befinden sich die ‚Guten‘ und die ‚Bösen‘ in einem permanenten Kampf. Die ‚Guten‘ leiden unter den ‚Bösen‘. Sie empfinden sich zu Recht als ‚Opfer‘ und haben als solche das Recht, sich zu ‚wehren‘ – in Deutschland dürfen dazu auch Flüchtlingsheime brennen.

Das Ziel muss eine Redemokratisierung der Gesellschaft sein.

Diese Denkweise begründet eine ‚Sündenbock-Politik‘: Anstelle einer sachlichen und lösungsorientierten Kritik werden Personen und ihre Vertreter als ‚Schuldige‘ genannt. ‚Die EU‘ oder ‚die Politiker‘, die ‚unser Volk‘ nicht ‚schützen‘ und nichts gegen ‚die Ausländer‘ oder ‚den Islam‘ unternehmen, werden an den Pranger gestellt, unterstützt mit einer hasserfüllten Sprache in den sozialen Medien. Eine solche Denkweise wird durch eine Politik gefördert, in der berechtigte Ängste nicht angesprochen werden. Wenn man zum Beispiel viele Flüchtlinge aufnimmt – was aus Menschenrechtsgründen angebracht ist – und dabei, wie das Angela Merkel getan hat, nicht zugleich die vielen Probleme nennt, die damit entstehen, dann befördert man dadurch eine Stimmung der Entfremdung von ‚der Politik‘. Ähnlich ist auch das Verhalten der EU-Spitzen nach der Brexit-Abstimmung: Eine neue EU-Politik ist nicht in Sicht.

Abhilfe kann nur eine menschenfreundliche Politik schaffen, die die Buddha-Natur in jeder Person erkennt und allen Würde und Anerkennung – so gut dies möglich ist – geben will. Hier gilt es zum einen, die fatale Denkweise des Rechtspopulismus zu bekämpfen, vor allem das spaltende und menschenverachtende Denken der ‚Anderen‘, denen man Menschenwürde abspricht und Rechte nehmen will. Ein solches Denken kann – wie berechtigt auch die angesprochenen Probleme sind – keine guten Entwicklungen beflügeln. Im Gegenteil: Wenn diese Personen Macht bekommen, schaffen sie noch tiefere Probleme. Der Rücktritt prominenter Brexit-Befürworter nach ihrem Erfolg bietet ein bezeichnendes Beispiel. Das Ziel muss eine Redemokratisierung der Gesellschaft sein, was kein leichtes Unterfangen und kein schneller Prozess sein wird. Menschenfreundliche Politik will Bedingungen für einen Frieden nach innen und nach außen herbeiführen. Aktuell droht die NATO jedoch mit einem Krieg mit Russland. Für eine solche Politik ist es auch notwendig, die ökonomischen Ursachen von Ängsten zu mildern, etwa bestehende Ungleichheiten zu reduzieren und den Fokus auf ein ‚gutes Leben‘ vieler und nicht nur einer reichen Minderheit zu richten. Dazu darf auch der Sozialstaat nicht weiter abgebaut werden.

Univ.-Prof. Dr. Walter O. Ötsch ist Ökonom und Kulturhistoriker. Seine Spezialität ist die Kulturgeschichte des Denkens über die Wirtschaft und dessen Wirkung auf die Gesellschaft. www.walteroetsch.at.

 

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