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Diskurs

Über die Entstehung von Rassismus. Können Tiere rassistisch sein? Eine reizvolle Frage, weil dabei zentrale und aktuelle Probleme unserer Gesellschaft sichtbar werden. 

Was eine kompakte Antwort aber auch schwierig macht, denn die Idee des Rassismus ist ganz wesentlich mit der menschlichen Zivilisationsgeschichte verbunden. Jetzt könnte man spitzfindig anmerken, dass die eingangs gestellte Frage einen Zirkelschluss beinhaltet. Denn wenn Rassismus ein menschliches Konstrukt darstellt, dann können Tiere eben nicht davon betroffen sein. Dahinter lugt jedoch eine Alltagsbeobachtung hervor, die überraschend oft in Webforen diskutiert wird: Ist mein Hund rassistisch, weil er immer dann bellt, wenn ‚Ausländer‘ an der Wohnung vorbeigehen?

Schon die antiken griechischen Philosophen beschäftigten sich damit, wie eine Rangordnung in der menschlichen Gesellschaft zu begründen wäre. Sokrates riet, die Bürger einer Republik in drei Klassen einzuteilen: Herrscher, Wächter und Arbeiter. Alle hätten sich ihrem Status zu fügen und den der anderen zu respektieren. Begründet wird dieser Rang aber allein aufgrund der Abstammung des Menschen. Heute bezeichnen wir so eine Argumentationslinie als biologischen Determinismus. Nach dieser These wird der Mensch überwiegend von seiner ‚Natur‘ bestimmt. Diese ererbten Unterschiede wären damit typisch für bestimmte Rassen. Die Gesellschaft ist demzufolge nur ein Spiegelbild der Biologie des Lebewesens.
Diese Vorstellung zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte und wird auch heute noch von mancher Seite vertreten. Es wird aber nicht mehr von der ‚Natur‘ gesprochen, sondern von Genen, die für die soziale und ökonomische Rolle der Menschen verantwortlich seien.

Die Idee des Rassismus ist ganz wesentlich mit der menschlichen Zivilisationsgeschichte verbunden.

Im historischen Rückblick ist es immer wieder überraschend – um nicht zu sagen erschreckend –, wie weit verbreitet diese Ansichten selbst bei aufgeklärten Zeitgenossen waren. Thomas Jefferson, Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und einer der einflussreichsten Staatstheoretiker der USA, schrieb 1751 über die afrikanischen Sklaven:
„Und während wir unseren Planeten säubern, indem wir Amerika von Wäldern befreien und diese Seite des Erdballs in den Augen der Bewohner von Mars oder Venus heller erscheinen lassen, warum sollen wir seine Menschen dunkler werden lassen? Warum die Söhne Afrikas vermehren, indem wir sie nach Amerika verpflanzen, wo wir eine so schöne Gelegenheit haben, das liebliche Weiß durch Ausschluss aller Schwarzen und Mischlinge zu vermehren.“
Interessanterweise wurden damals vor allem ästhetische Begründungen für die Unterschiedlichkeit der Menschen herangezogen. Der deutsche Zoologe und Begründer der Anthropologie – die im 19. Jahrhundert noch Rassenkunde genannt wurde –, Johann Friedrich Blumenbach, relativierte dieses Argument der absoluten Schönheit, indem er meinte, dass Kröten andere Kröten ebenfalls als wunderschön empfinden würden. Seine Meinung konnte die gängige Weltsicht nicht beeinflussen.
Der moderne, wissenschaftlich begründete Rassismus wurde durch drei Faktoren gestützt. Zum einen befeuerte, geradezu paradoxerweise, die Aufklärung die Ansicht, dass eben nicht Religion oder göttlicher Wille für die Rolle des Menschen verantwortlich seien, sondern eben nur seine biologischen Voraussetzungen. Andererseits kamen andere Ethnien durch den Imperialismus stärker ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit und Darwins Evolutionstheorie wurde missbräuchlich auf diese anderen Kulturen angewendet.
Der französische Arzt Jules Virey hielt im Jahr 1841 an der Académie de Médecine in Paris einen viel beachteten Vortrag über die ‚biologischen Ursachen der Zivilisation‘. Er teilte dabei die Welt in zwei Gruppen: Weiße, die ein Stadium perfekter Zivilisation erreicht hätten, und jene Rassen mit anderer Hautfarbe wie Afrikaner, Asiaten und Indianer, die ihren unvollkommenen Zustand nie überwinden könnten. Seine Argumente, die auch schon damals als widerlegt galten: Domestizierte – quasi kultivierte – Tiere wie Rinder hätten unter ihrem Fell ein weißes Fleisch, während Wildtiere wie Rehe nur dunkles Fleisch zeigen würden.

Rassismus

Auf diesem pseudowissenschaftlichen Substrat wuchsen immer krudere Theorien. Der Arzt und Schriftsteller Max Nordau publizierte 1892 das zweibändige Werk ‚Entartung‘, in welchem er den Begriff der ‚rassischen Degeneration‘ auf die Werke von Künstlern und auf Stilrichtungen anwandte. Er postulierte darin den völligen geistigen Verfall der westlichen Welt. So war für ihn etwa die Malerei des Impressionismus die Folge eines degenerativen Augenlidkrampfes, von dem die verschwommene, unscharfe Malerei herrührte. Über solche Äußerungen von Autoritäten ihrer Zeit können wir uns heute mit ausreichender zeitlicher Distanz belustigen, doch damals führten diese Ideen über die Erbgesundheitslehre zur nationalsozialistischen Rassenhygiene und zu den Gräueln des Völkermordes.
Hinter all diesen Auswüchsen stand ursprünglich der Versuch, die Welt und ihre Lebewesen zu beschreiben. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts gab es keine verbindlichen Regelungen, wie Tier- und Pflanzenarten zu beschreiben und zu benennen wären. Aristoteles ordnete die ihm bekannten Lebewesen in einer Stufenleiter nach dem Grad ihrer Perfektion, also von primitiven zu höher entwickelten. Dabei wurde auch die Wuchsform oder die Lebensweise als Einteilungskriterium verwendet. Das führte mitunter zu langen, unpraktikablen Namensgebungen. Ein Moos wurde folgendermaßen beschrieben: Goldenes Moos mit zurückgebogenen, birnenförmigen Köpfchen, rechteckiger Wurzelhaube und zahlreichen kugelförmigen Blättern.

Hinter all den rassistischen Auswüchsen stand ursprünglich der Versuch, die Welt und ihre Lebewesen zu beschreiben.

Erst der schwedische Naturforscher Carl von Linné führte in seinen Werken ab 1753 eine praktikable zweiteilige Namensgebung zur Benennung der Arten ein. Ein Gattungsname, wie etwa Apis – Biene, wurde von einer Artbezeichnung ergänzt: mellifera – honigtragend. Diese konnte dann von nahe verwandten Arten wie der Asiatischen Honigbiene – Apis cerana klar unterschieden werden.
Diese starre Abgrenzung einzelner Gruppen von Lebewesen passte gut zur Vorstellung der biblischen Schöpfungsgeschichte, in der Gott zwischen dem dritten und sechsten Tag alle Pflanzen- und Tierarten erschuf. Dieses finale und undynamische Konzept der Lebensformen verhinderte lange Zeit auch die breitere Anerkennung von Darwins Evolutionstheorie. Die Vorstellung, dass sich Arten ohne göttliches Zutun eigenständig aus anderen Arten neu entwickelt haben könnten, erschien vielen nicht nur häretisch, sondern auch völlig unmöglich. Die vorherrschende Lehrmeinung war bis Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Lebewesen eine ‚unveränderliche Essenz‘ besäßen. Somit gehörten all jene, denen dieselbe Essenz gemeinsam ist, auch derselben Art an.
Diese willkürliche, nicht durch Fakten belegte Einstufung passte gut zur damaligen menschlichen Rassenlehre. Dieser Haltung entsprach auch der legendäre Ausspruch des antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger: „Wer ein Jud’ ist, bestimme ich!“

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschränkte man sich zunehmend darauf, den Begriff der Rasse nur mehr zur Beschreibung von Tier- und Pflanzenarten zu verwenden. Mit den Fortschritten der Genetik wurde immer deutlicher, dass der Begriff einer menschlichen Rasse nur ein soziales Konstrukt ohne biologischen Beleg darstellt. Populationsgenetische Studien ergaben, dass etwa 85 Prozent der genetischen Unterschiede innerhalb einer scheinbar homogenen Menschengruppe, wie der der Franzosen, zu finden sind. Die aufgrund ihrer Hautfarbe, Haarstruktur oder Nasenform im Alltag als ‚Rassen‘ empfundenen Bevölkerungsgruppen unterscheiden sich dagegen genetisch mit etwa 6 bis 10 Prozent vergleichsweise nur geringfügig voneinander.
1995 hielten achtzehn international renommierte Humanbiologen und Genetiker im Anschluss an eine UNESCO-Konferenz fest, dass der Begriff der Rasse in seiner Anwendung auf die menschliche Vielfalt ‚völlig obsolet geworden‘ sei, und riefen dazu auf, ihn durch ‚genetische Vielfalt‘ zu ersetzen.
Wie hilft diese Erkenntnis bei der Beantwortung der eingangs gestellten Frage? Nicht Tiere sind rassistisch, sondern manche Menschen sind es. Haustiere wie Hunde nehmen diese – oft feindlichen – Reaktionen ihrer Besitzer wahr und reagieren ebenso ablehnend. Diese Gleichschaltung gibt es nur bei Rudeltieren. Oder haben Sie schon einmal eine rassistische Katze gesehen?


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 97: „Meditieren, aber richtig"

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Peter Iwaniewicz ist Biologe und Journalist. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissen-schaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.

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Dr. Peter Iwaniewicz

Dr. Peter Iwaniewicz

Peter Iwaniewicz ist Biologe, Journalist und Kulturökologe. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissenschaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.
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