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Ich bin auf dieses Buch ganz zufällig gestoßen. Habe davor noch nie etwas über Gerard Donovan gehört beziehungsweise etwas von ihm gelesen. Was sich als großer Fehler herausstellte.

Winter in Maine ist eines der wenigen Bücher, die ich auf einen Sitz durchgelesen habe, weil mich die Geschichte so gefesselt hat. Es geht um einen Mann, der alleine in einer Hütte mitten in den Wäldern von Maine lebt. Seine einzigen Bezugspunkte sind seine 3.000 Bücher und sein Hund. Eines Tages wird der Hund allerdings von einem Jäger aus nächster Nähe und vorsätzlich erschossen. Daraufhin beginnt der Mann die Jäger als Freiwild zu betrachten und räumt sprichwörtlich im Wald auf.
Ich habe mich beim Lesen immer wieder ertappt, wie sehr ich auf der Seite des Mörders war und wie sehr ich seine Handlungen verstehen konnte. Man kämpft beim Lesen wahnsinnig mit seinem Gewissen. Der erste Mord passiert beiläufig und beinahe emotionslos, als wäre es das Normalste auf der Welt.

„Ich legte das Gewehr an die Schulter, schoss aus meinen achtzig Metern Entfernung, und die Kugel traf ihn in die Halsfalten. Er griff danach, als wäre es ein Insekt, drehte sich mit weit aufgerissenen Augen halb um und fragte sich, was passiert war.“

Das Ganze hört sich jetzt vielleicht nach einer gewöhnlichen Motiv-Rache-Story an, ‚Winter in Maine‘ ist aber dafür viel zu komplex und gibt der Hauptfigur eine menschliche Tiefe, die sich vor allem im Umgang mit Büchern zeigt. Der Protagonist Julius Winsome besitzt 3.000 Bücher, die er alle gelesen hat. In ihnen findet er Zuflucht vor den Banalitäten des Alltags, fast möchte man meinen, dass er in seinen Büchern lebe. Liebevoll ergötzt er sich an einzelnen Zeilen und wirkt nahezu kindlich, wenn er zu rezitieren beginnt. Wie eine imaginäre Käseglocke stülpen sich die Bücher über Julius und lassen ihn dadurch vogelfrei erscheinen. Zumeist auch von Erinnerungen an seinen Vater geplagt, verbringt er nur wenig Zeit mit anderen Menschen. Die Welt ist ihm fremd geworden, wie auch die Menschen, die in ihr leben. Die hinreißenden Beschreibungen seines Hundes lassen diesen wie sein Kind wirken, das ihn als einziges Wesen verstehen will. Als dann das Morden beginnt, folgt man einem Menschen, dessen Käseglocke mutwillig zerstört wurde. Einem, der keiner Fliege etwas zuleide getan hätte, einem, von dem man später sagen würde: „Er war immer unauffällig und sehr verschlossen.“ Als er den Verlust seines ‚Kindes‘ realisiert und ganz gemach nach seinem Gewehr greift, möchte man ihm als Leser zurufen: „Räche dich!“ Plötzlich werden urmenschliche Instinkte geweckt. „Lass die da nicht davonkommen“, denkt man sich. Als Julius die Hütte verlässt und sich in den Wald begibt, spätestens dann wird einem klar: Er macht es wirklich.

Sehr zu empfehlen ist auch Donovans Debütroman ‚Ein bitterkalter Nachmittag‘. Auch bei dieser Geschichte muss man sich als Leser für eine Seite entscheiden, wobei immer offenbleibt, welche tatsächlich die gute ist. Aber gibt es überhaupt eine gute und eine böse Seite?

Thomas Stipsits, geboren 1983, ist ein österreichischer Kabarettist und Schauspieler.

 

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