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Das Schöne am Älterwerden ist ja, dass man sich daran gewöhnt hat, sich selbst zu überraschen. Das mag jetzt ein Widerspruch sein, allerdings nicht in meiner Welt. Schließlich gehe ich ja auch davon aus, dass nur eines berechenbar ist: die Unberechenbarkeit.

Wenn das Jahr fortschreitet und auf Weihnachten zugeht, stocke ich meinen Vorrat an Taschentüchern schon einmal auf. Denn es stehen die BrieferIn an meine Lieben an, bei denen kein Auge trocken bleibt – zumindest bei mir. Noch ist es heuer nicht so weit, aber der Tag kommt bestimmt. Oder vielleicht nicht? Möglicherweise bleibe ich heuer trocken und lache dabei – wer weiß das schon. Nur weil es die vergangenen Jahrzehnte so war, muss das ja nicht immer so bleiben. Ich halte mich für einen beständigen Menschen, der es sich gut überlegt, bevor er Bestände schafft. Doch ist die Entscheidung gefallen, kann die Transsibirische Eisenbahn drüber fahren.

Die es so eigentlich nicht gibt, aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall: Immer häufiger bemerke ich an mir, dass ich Bestände aufgebe. Ich miste seit kurzem unglaublich gerne aus. Und nein, ich habe den Bestseller von der japanischen Aufräumberühmtheit Marie Condo nicht gelesen – mir geht das Zuviel einfach nur so auf die Nerven. Das betrifft auch die emotionalen Angelegenheiten. Wer mich zu viel Kraft kostet, ständig in Beschwere-Tiraden über sein unlösbares Dasein versinkt oder einfach nur über andere herzieht, bekommt ein Minimum an Aufmerksamkeit. Wenn ich Energie habe. Zeit habe ich sowieso kaum. Für nix, manchmal nicht einmal fürs Meditieren. Das ist vielleicht ein Fehler, aber ich arbeite daran. Sie merken, ich versuche, mein Leben zu vereinfachen.

Damit mehr Luft darin ist, mehr Raum für die wirklich wichtigen Dinge. Oft merke ich allerdings, dass der Rest der Menschheit und ich eine völlig andere Auffassung von diesen wirklich wichtigen Dingen haben. Und ich fühle mich dann wie ein Alien, der aus der Zeit gefallen ist. Oder mit dem Raumschiff abgesetzt wurde, um im Bild zu bleiben. Dabei möchte ich nichts lieber, als mich mit jedem Wesen auf diesem Planeten verbunden zu fühlen.

Claudia Dabringer und der Franziskus

Na ja, von Ruhramöben vielleicht einmal abgesehen. Und Malariamücken. Gar nicht drauf gefasst, dass ich so jemandem begegnen könnte, saß ich kürzlich im Kino und schaute mir den neuen Film über Papst Franziskus an. Und fand mich unerwarteterweise ziemlich schnell beim geräuschvollen Schnüffeln. Denn was der Pontifex da so von sich gab, entsprach genau dem, wie ich in einfacher Art und Weise auf die Welt schaue. Dass man das Zuhören nicht verlernen dürfe zum Beispiel. Nicht umsonst haben wir Menschen zwei Ohren und nur einen Mund. Von Stephen R. Covey stammt das Zitat, dass heutzutage die Menschen nicht zuhören, um zu verstehen, sondern um zu antworten.

Oder dass Zärtlichkeit keine Schwäche, sondern eine Stärke ist. Oder dass man die Wahl hat, zu lieben. Oder dass die Armen dieser Welt die Leidtragenden unserer Wegwerfkultur sind. Und während ich die Bilder von unendlichen Müllweiten gesehen habe, sind mir die Tränen über die Wangen gelaufen. Selbstverständlich hatte ich kein Taschentuch bei der Hand, mein Schal musste einspringen bei dieser überraschenden Entwicklung. Mich im Kinodunkel so gerührt zu erleben, kam unerwartet. Und doch hat es mir gezeigt, dass ich mit meiner, manchmal naiven Sicht doch nicht alleine bin – egal, wem ich tagtäglich über den Weg laufe.

Ich war ins Kino gegangen, weil ich mir weitere Erkenntnisse über Papst Franziskus erwartet hatte. Dass sie mich aber innerhalb kürzester Zeit zum Weinen bringen würden, war nicht vorgesehen. Dass letzte Mal, als mir das passiert ist, saß ich in London im Musical „Miss Saigon“. Es war meine zweite Vorstellung, und ich wusste schon, was mich erwarten würde. Und weinte bereits vor dem ersten Ton. Weil sich Chris gegen die Liebe zu Kim entscheiden, weil Kim sich deshalb umbringen würde. Und auch wenn ich im realen Leben weiß, dass man sich gegen die Liebe entscheiden kann, ist mir klar geworden: Papst Franziskus und ich sind im gleichen Team. Es könnte Schlimmeres passieren.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Margarethe S. 2018-06-29 11:26
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie erstaunt viele Menschen sind, die älter werden. Erstaunt über die Tatsache dass sich alles und auch nichts ändert. Erstaunt über die Tatsache dass sich Körper und Geist ändert, und doch der selbe bleibt. Ich habe es bei meinen Eltern gesehen und auch bei mir und meinem Mann. Im endeffekt, ändert sich alles ständig, und wir bemerken es erst Rückwirkend, da wir selten daran denken, dass wir mit jeder verstreichenden Sekunde älter und anders werden...

LG aus dem schönen Bayern
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# magclaudiadabringer 2018-06-29 13:48
sich die verstreichenden sekunden zu vergegenwärtigen und sie mit freude zu fuellen, ist wohl eine der größten herausforderungen in jedem lebensalter. danke fuer die geteilten erfahrungen, liebe margarethe!
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