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Meine Oma ist jetzt seit knapp drei Jahren tot, und einmal im Jahr besuche ich sie und Opa auch dort, wo sie zu Lebzeiten beschlossen hatten, Frieden zu halten. Kürzlich zog es mich außertourlich zur „starken Ahnfrau“.

Sie war ein Fels in der Brandung, und was meine Großmutter wollte, bekam sie auch. Nein, sie war keine Prinzessin, aber sie konnte hartnäckig sein wie niemand sonst in unserer Familie. Es drehte sich alles um drei Themen: Familie, Geld und Essen. Und manchmal denke ich mir, dass genau darin das Geheimnis ihres hohen Alters – sie starb mit 102 Jahren - lag. Brisant an der ganzen Angelegenheit war, dass die Familie hauptsächlich aus meiner Mutter und mir bestand. Ihr Mann und mein Vater gehörten zwar irgendwie auch dazu, aber ihr Grundvertrauen versagte bei den Herren schlussendlich immer. Das dehnte sie irgendwann einmal auf das gesamte Geschlecht aus und hielt damit auch nie hinter dem Berg. Welche Sprüche ihr dazu einfielen, halte ich hier unter Verschluss – wir wollen ja nicht diskriminierend werden, nicht? Doch einen, der mir während meines Kurzbesuchs an ihrem Grab wieder einfiel, teile ich mit Ihnen: „Du bist eine starke Frau.“

Wenn das kein Mantra fürs Leben ist! Ich weiß gar nicht mehr, wann sie damit anfing, mich zu infiltrieren. Vielleicht damals, als mein Großvater meinte, dass man sich um mich keine Sorgen machen müsse, weil ich eh alles schaffe. Vielleicht aber auch nach seinem Tod, als sie beschloss, ihr Single-Dasein noch einmal so richtig zu genießen und mit „Du bist eine starke Frau“ auch ein wenig sich selbst meinte. Wie auch immer: Hätte ich es geschafft, noch letzte Worte von ihr zu hören – ich bin sicher, es wären diese vier gewesen.

Am späteren Nachmittag treffe ich eine Bekannte, die von der Anlage, Einstellung und dem Humor her eine Freundin werden könnte. Sie ist frisch geschieden, hat einen Vollzeitjob, zwei pubertierende Söhne, einen Hund und jede Menge zu managen. Und sie ist müde, nein, erschöpft. Von all dem, was zusätzlich noch in ihr Leben drängt. Männer zum Beispiel, verheiratete, geschiedene, ledige. Was soll ich sagen? Wir könnten in Co-Autorenschaft ein Trauerspiel schreiben. Und genau deshalb hat sie beschlossen, ihre Schönheit, ihren Witz und ihre Intelligenz jetzt nur mehr für sich selbst zu nutzen. Gute Entscheidung! Allerdings erzählt sie auch, dass sie von ihrer Umgebung dafür wenig Unterstützung bekommt, denn sie sei ja eine starke Frau und würde „das Kind schon schaukeln“. Nicht nur das Kerzenlicht funkelte in ihren Augen, als sie sagte: „Wenn ich das mit der starken Frau noch einmal von jemandem höre, hau' ich ihm oder ihr eine rein.“

Ja, auch so kann man Stärke demonstrieren – ist aber vielleicht nicht die eleganteste Methode. Und doch kann ich genau nachvollziehen, wie sie sich fühlt. Denn was bedeutet das denn im Endeffekt? Nicht weniger als eine Weigerung, diesen Menschen zu unterstützen. Nicht weniger als einen Freibrief, sich wenigstens um diesen Menschen nicht kümmern zu müssen. Weil eh so stark, selbständig und eigenverantwortlich. Mit der Zeit, die man aufwenden müsste, um ihm beizustehen, kann man dann etwas anderes angefangen – Shoppen zum Beispiel, Fernsehen oder andere weltbewegende Sachen.

Dass man stark, selbständig und eigenverantwortlich leben kann und trotzdem hin und wieder Trost, vielleicht eine Schulter oder eine helfende Hand braucht, ist kein Widerspruch. Einer Freundin, die auch in dieser Schublade liegt, hilft es schon, wenn man sie als „armes Schwein“ bezeichnet. Weil man da WAHRNIMMT, wie es ihr geht. Um mehr geht es im Grunde bei uns starken Frauen nicht. Wir wollen kein Lob, keine Anerkennung, keine Auszeichnungen. Wir wollen aber auch nicht, dass man sich zurück lehnt, nur weil wir an 95 von 100 Tagen wissen, wie wir unser Leben gestalten möchten. Was wir zu tun und zu lassen haben. Mit wem wir das tun und auf wen wir lieber verzichten. Wir haben das Erbe der Emanzipation angenommen, doch konnten bislang an keiner Stelle nachlesen, dass das gleichzusetzen wäre mit Empathieverlust und Ignoranz.

In ein paar Tagen feiert meine Bekannte ihren zweiten Geburtstag. Jenen Tag, an dem mit dem Auszug ihres damaligen Mannes ihr neues Leben begonnen hat. Und weil sie alles, was danach kam, viel Kraft kostet, wollte sie mir eigentlich nur einen kurzen Besuch abstatten. Als sie ging, war es dunkel. Denn wenn starke Frauen etwas können, dann das: sich gegenseitig stärken. Und wenn es Stunden dauert. Denn es gibt dann eben nichts Wichtigeres. Punkt. Meine Oma wusste das.

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Bilder © Pixabay

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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