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Ein sonniger Nachmittag voller Leben, der doch dem Tod und den Toten gewidmet ist. Ein Widerspruch? Der Pfarrer erzählt, dass sich viele Menschen keine Gedanken über den Tod machen, irgendwo lese ich, dass der Tod zu den letzten großen Tabus unserer Zeit gehört. Ich tue mir schwer damit, ein Leben ohne den Tod zu denken.

Ich war 24 Jahre alt, als ich mich über meinen Vater lustig machte, der zu einem völlig ungewohnten Zeitpunkt mit einem ausgestreckten linken Arm auf dem Bett lag. Meine Eltern waren gerade von einer Rom-Reise anlässlich ihres silbernen Hochzeitstages zurück gekehrt, wir trafen uns auf halbem Weg in einer gemütlichen Pension. „Du wirst doch keinen Herzinfarkt bekommen?“ fragte ich mit einem Augenzwinkern. Drei Minuten später saßen wir im Auto und fuhren ins Krankenhaus. Noch heute bin ich beeindruckt von der Coolness, mit der er Anweisungen gab, wie alles zu handhaben wäre. Und diese Coolness bewahrte er sich auch danach, als alles gut ausgegangen war und er viele gesunde Jahre erleben durfte und darf. Doch naturgemäß hatte er sich verändert, lebte bewusster, nahm sich Zeit für sich alleine und bewertete das eine oder andere Drame mit einem lapidaren Schulterzucken. Die Möglichkeit der Endlichkeit hatte ihn verändert – und mich dazu.

Es fällt ja schon schwer, Eltern beim Älterwerden zuzuschauen. Doch das ist immer noch besser, als sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Denn sie sind die einzigen, die einem das Gefühl geben, Kind sein zu dürfen, auch wenn man mit beiden Beinen im Leben steht. Die Dinge über einen wissen, die man selbst längst verdrängt hat und trotzdem froh ist, wenn sie irgendwann einmal auf den Tisch kommen. Ganz einfach, weil es sich gut anfühlt, gekannt zu werden, selbst wenn es keine Übereinstimmung mit dem aktuellen Selbst (mehr) gibt. Mit Großeltern ist es ähnlich. Während ich zu Allerheiligen an ihrem Grab stehe und der Pfarrer davon spricht, dass uns die Toten vorausgegangen sind, muss ich an die Nacht denken, an dem mein Opa gestorben ist. Am Tag vorher war ich noch einem Impuls gefolgt und war zu ihm ins Krankenhaus gefahren, wo er zu einer Routine-Untersuchung eingecheckt hatte. Uns hatte immer das Rauchen verbunden und bei einer Zigarette haben wir stets in Gespräche über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens gefunden. An diesem Tag verweigerte er zum ersten Mal diese Zigarette, obwohl sein Zimmer einen Balkon hatte und sich ein gemeinsames Geschmauche angeboten hätte. Er hatte sich immer vor dem Tod gefürchtet – bis zu dem Tag, an dem er nachts aufwachte und alle verstorbenen Menschen seines Lebens im Schlafzimmer stehen sah. Meine Großmutter schickte ihn mit Worten in den Altersschwachsinn, ich versuchte ihm zuzuhören. Er war natürlich verwirrt ob dieses Erlebnisses – wer wäre das nicht? Doch als ich ihn mit dem Gedanken vertraut machte, dass all diese Menschen auf ihn warten würden, ließ seine Anspannung, seine Angst nach. Als er die Welt und seine Familie losließ, wachte ich auf, weil ich ihn im Traum von dem Krankenhausbalkon stürzen sah. Später wurde genau diese Uhrzeit im Sterbebrief angeführt.

Ich hatte mich damals sehr mit dem Tibetanischen Totenbuch beschäftigt. Mitgenommen hatte ich die Vorstellung, dass die Seele nach dem Tod in eine Art Orientierungsphase eintritt. Und immer, wenn ich meinen Großvater vermisste oder seinen Rat gebraucht hätte, wünschte ich ihm, dass er diese Phase unbeschadet bewältigen möge und hoffte, dass ich mich seinen Vorstellungen gemäß verhalten könne. Eines Nacht träumte ich wieder von ihm. Er hatte an Gewicht zugenommen, saß an einem Lagerfeuer und strahlte über das ganze Gesicht. Da wusste ich, dass es ihm gut ging. Und dass er zufrieden war, wie sich unser aller Leben ohne ihn entwickelte. Von meiner Oma habe ich nie geträumt – sie hatte sich den Tod so lange gewünscht, dass ich mir von Anfang an sicher war, dass sie das beste aus dem gewünschten Zustand machen würde.

Von einer lieben Freundin ist kurz vor Allerheiligen der Mann gestorben. Er hatte sich furchtbar damit abgekämpft, endlich zu sein, hatte das Leben noch einmal beim Schopf packen wollen, weil er ob seiner schweren Krankheit nichts mehr zu verlieren hatte. Die beiden hatten eine späte Liebe über wenige Jahre, die beide in vollen Zügen genießen konnten. Und bis zum Schluss waren ihnen die gemeinsamen Augenblicke wertvoll, bei allen Verrücktheiten, Unvernünftigkeiten, Unpässlichkeiten. Das nehmen beide mit, auch wenn sie künftig in unterschiedliche Richtungen wandern. Doch er wird ihre Zukunft bleiben, denn er ist ihr vorausgegangen. Wie alle Lieben, derer an Allerheiligen gedacht wird. Und so wird unsere Vergangenheit zu unserer Zukunft. Jetzt allerdings gilt es die Gegenwart zu feiern und jene einzuladen, die uns geprägt, die wir geliebt haben. Wir wären ohne sie undenkbar. Dafür gilt es dankbar zu sein und das mit einem Lächeln und Leichtigkeit zu zelebrieren. Nichts anderes hätten sie gewollt.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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