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Ein aufgeregter, sichtlich ungehaltener Asiate stand oben auf der Treppe und keifte in schier unverständlichem Englisch auf eine ältere Frau herab, die die Arme in die Hüften gestützt hatte und in nicht minder unverständlichem Englisch meckernd zurück giftete. Ich stand wie angewurzelt.

Gerade noch hatte ich vergnügt den beginnenden Frühling in Pamplona bewundert und auf geradem Weg die erste Pilgerherberge gefunden, die ich auf meinem allerersten Jakobsweg-Besuch ansteuerte. Ich war das erste Mal seit ich Kinder habe alleine aufgebrochen, um den Jakobsweg, den Camino Frances in Nordspanien zu gehen.

Und nun schrien sich hier auf dem ach so legendären friedvollen Jakobsweg die Menschen an. Unten war offenbar die Herbergsmutter, die dem ungehaltenen Asiaten energisch erklärte, dass dies hier kein Hotel sei. Und das andere war ein kulturgeschockter Koreaner, der erst mal auf Anhieb nicht verstand, warum er seine nassen Sachen draußen aufhängen sollte, und nicht über dem Bett. Mit dem gleichen durchaus energischen Tonfall wurde ich begrüßt: “Schuhe aus! Die kommen hierhin”. Na ja, dachte ich, ist ja nur eine Nacht und ich kann ja gleich in die Stadt gehen. Erst mal den Rucksack loswerden. Dann wird sie schon Ruhe geben. Hektische Flecken zeigten sich auf ihrem Gesicht. Sie war aufgeregt. Aber nicht wegen mir. Das verstand ich schon. Als ich die Konstellation begriff, verstand ich noch mehr: Das waren zwei ältere Damen, um die 75. Beide hatten sich für 3 Wochen bereit erklärt, dieses Haus zu führen. Ehrenamtlich. Und natürlich verstand ich, dass dann auch eine gewisse Ordnung herrschen musste.

Ich durfte, nach endlos langer Stempel- und Bezahlzeremonie endlich auf ein Zimmer. Es war ein netter Platz. Ein wirklich netter Platz. Während ich das dachte, stürmte die Herbergsmutter ins Zimmer und rief: “Der Rucksack gehört nicht auf das Bett!” “Meine Herren, hier herrscht aber ein strenges Regiment”, murmelte ich ganz ganz leise vor mich hin. Kein Wunder, dass der Koreaner, der als asiatischer Mensch eher die leisen Töne gewöhnt war, so reagierte. Ich war entspannt und parkte meinen Rucksack wie befohlen neben dem Bett. War ja hier, um alles aufzusaugen, was der Weg zu bieten hatte. Und das war einiges. Die beiden Damen waren sehr, sehr klug, lebenserfahren und weise. Energisch, ja - und wie es alte Damen so an sich haben, ab und an ein wenig aufgeregt.

Ich machte mich also locker und ging in die Stadt. Nach einem Besuch in Hemingways Café und einem Viertelliter Wein war ich noch ein wenig lockerer und bettschwer. Doch daraus wurde nichts. Die beiden Damen saßen im “Wohnzimmer” und wollten reden. Ich war einer der ersten Gäste nach der Winterpause. Na gut, also reden.

Gisela war 72 (!) Jahre. Das Alter sah man ihr wirklich nicht an. Sie war verwitwet und vor ein paar Jahren im Trauerjahr auch den gesamten Camino Frances gegangen. Und sie hatte das Jakobsweg-Fieber gepackt. Sie war dann noch den portugiesischen Jakobsweg und den Weg von Sevilla nach Santiago de Compostella gewandert. Auf dem Camino Portugues hatte sie einen schweren Unfall. Ein Mopedroller hatte sie erwischt. Das Glück, oder wie sie es ausdrücke, Gott war mit ihr. Schon nach einer Woche konnte sie das Krankenhaus wieder verlassen. Nur Verstauchungen und etliche Schürfwunden. “Ich hatte keine Sekunde überlegt, nach Hause zu fahren. Ich wollte weiter”, sagte die drahtige Frau. Das Erlebnis hatte ihre Demut verstärkt. Ich fragte sie, ob sie jetzt Angst vor Mopeds hätte. “Aber nein, Mädchen”, antwortete sie. “Warum denn?” Ja, warum denn. Sie fragte mich, ob ich Motorrad fahre. Tu ich nicht, aber ich fuhr mal sehr viel Moped.

Halbtagspilgern

Ich hätte so gern ein Moped gehabt, wie alle anderen. Ein olles, einheitsgrünes Simson-Moped, wie alle in meiner Klasse. Meine Eltern meinten es gut mit mir und kauften mir eine Art Roller, 1000 Mark teurer als die anderen Maschinen. Und eigentlich schick. Was tat ich mit meinen 15 Jahren? Ich fühlte mich so schlecht! Denn ich war nicht gern der Paradiesvogel. Zu allem Überfluss tauften die Jungs aus meiner Klasse das Ding auch noch “Nonnenroller”. Passend zu mir. Ich galt als unnahbar und spröde. Und dann komm ich mit dem Ding an. Eigentlich mochte ich den Roller gern. Aber es war mir so unangenehm, nicht Gleicher unter Gleichen zu sein. Fast 30 Jahre später habe ich verstanden, warum. Es passte einfach nicht zu meiner Grundausprägung. Denn einer meiner ganz großen Antreiber ist es, dazu zu gehören, mich anzupassen, nicht aufzufallen und eben bodenständig zu sein. Daher werde ich niemals einer Diva, einer Freundin, einem Freund oder Kunden die Show stehlen. Ich steh‘ lieber neben der Bühne und sorge dafür, dass seine Dramaturgie des Erfolgs perfekt läuft. Bühnenshow und Herausgehobenheit passen nicht zu mir.

Ich habe also gelernt, dass es gar nicht gut gehen konnte - mit diesem besonderen Roller. Denn ich wollte nichts anderes als dazugehören. Mit dem gleichen Schrott-Moped wie es die anderen besaßen. Mit den gleichen Klamotten. Doch ich war aus Sicht meiner Familie eben was Besonderes. Offenbar haben die anderen Mitglieder meiner Familie eben nicht die “Gleicher-unter-Gleichen”-Motivation. Sie wollen lieber etwas Besonderes sein. Das ist gut so, genauso gut, wie Bodenständigkeit. Aber da sie das von mir und ich das von ihnen nicht wussten, musste es, sagen wir mal, in meiner Pubertät zu Missverständnissen kommen. Eigentlich schade, dass ich so lange brauchte, um das festzustellen und zu begreifen.

Und wie bist du drauf? Bist du eher jemand, der auf die Bühne muss und das Rampenlicht braucht, wie die Luft zum Atmen? Und kennst du jemanden, der könnte auf der Bühne stehen, will aber nicht? Glückwunsch: Du hast - wenn die Chemie anderweitig passt, einen Freund gefunden, der dich wahrscheinlich tatkräftig unterstützen wird, wenn du auf die Bühne willst. Weil er selbst gar kein Bedürfnis danach hat. So wie ich eben.

Denn neben Bodenständigkeit habe ich auch noch Zurückgezogenheit in meinen persönlichen Top-Motivatoren. Das bedeutet, ich brauche nach großen Partys, wunderbaren Seminaren und Tagungen, die ich alle sehr genieße, ganz viel Zeit mit mir alleine in der Natur, an meinem Schreibtisch oder unterwegs im Hotelzimmer. Daher ist das Halbtagspilger-Lebensmodell das allerbeste für Menschen wie mich.

Da fiel mir wieder die Geschichte mit dem Koreaner und der Herbergsmutter ein. Sie beide hatten - nicht nur, weil einer oben und einer unten stand, völlig unterschiedliche Standpunkte. Der eine erwartete Individualität und etwas Luxus, die anderen Unterordnung, um dem Pilgeransturm gerecht werden zu können.

Jana Wieduwilt

Jana Wieduwilt

Jana Wieduwilt ist Halbtagsilgerin, 47 Jahre und seit ihrem Studienabschluss zur Landschaftsarchitektin und Betriebswirtin selbstständig. Text und Kommunikation begleiten sie seither. Sie hat 2 Kinder, 21 und 19 und die ersten Jahre des Unternehmensaufbaus waren mit den damals kleinen Kindern sehr ...
Kommentare  
# Anna 2019-08-20 15:02
Die Geschichte von der älteren Dame berührt mich sehr
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