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6:20 Uhr. Mein Handywecker stimmt das Aad Guray von Deva Premal an. Es ist Sonntagmorgen die Welt muss nirgends hin. Aber ich mach mich auf den Weg. Auf der Straße begegnet mir nur eine Handvoll Menschen:  Die Übriggebliebenen von der letzten Nacht, die nicht mehr wissen, ob sie überhaupt irgendwohin müssen. 

Die Läufer, denen das örtliche Ziel egal ist, die aber dorthin wollen, wo der Körper sein Maß oder Übermaß an körperlicher Erschöpfung erreicht hat. 

Die Touristen, die sonst in einer anderen Zeitzone leben und beginnen hier Orte zu suchen, die Google Maps als Sehenswürdigkeiten bezeichnet. 

Diese Menschen mit ihrer Verwirrtheit, ihrer angestrengten Suche und ihrer übermäßigen Unruhe bleiben an mir hängen wie Erinnerungen an Zeiten in denen ich auch dieser Mensch war.  

An der roten Treppe lege ich meine Schuhe und die Erinnerungen ab und steige über die Kühle des Bodens nach oben auf die nachgiebigen Tatamis. Verbeugung, Verbeugung, Verbeugung. Mich auf meiner Sitzunterlage niederlassen. Ankommen. In Stille gesellen sich eine Handvoll andere Menschen an diesen Ort. 

HUI, nennen die Chinesen das. ZUSAMMENKUNFT.   

Die Menschen sind mir nicht unbekannt, doch kenne ich sie auch nicht wie Freunde. Schon bei anderen Zusammenkünften habe ich sie erlebt. Sie haben Ausschnitte aus ihrem Leben geteilt, sie haben ihre unsichere und ihre sichere Seite gezeigt, sie haben sich Kritik gefallen lassen und sie haben sich dieser geöffnet. Ich habe mit ihnen gelacht und manchmal waren wir auch traurig. Wir haben unsere Herzen für die verletzlichen Seiten des anderen geöffnet. Sie haben gegeben. Ich habe empfangen. Ich habe gegeben. Sie haben empfangen.  Alles Erlebte, Gefühlte und Wahrgenommene schwingt mit, wenn wir hier heute wieder sitzen bei geöffneten Fenstern um die Kühle des Hinterhofes einzuladen.

Wasser findet seinen Weg in eine Dachrinne. Manchmal frage ich mich woher es kommt, denn es regnet nicht. Während der Atem kommt und geht, kommen und gehen auch die Gedanken an die Verbindungen mit anderen Menschen. Weniger der Mensch steht im Mittelpunkt der Gedanken, mehr das Gefühl beim Zusammensein und beim Nicht-Zusammensein. Und dieses Klarwerden der Gefühle, lässt klarwerden, warum unsere Verbindungen oft von Schwere getragen sind. Es hängt mit den Erwartungen zusammen. Das was wir vom anderen wollen oder auch nicht wollen. Das was von uns erwartet wird und was nicht erwartet wird. Es klammert das Ich des anderen aus. Es stellt das eigene Ich fortwährend in den Mittelpunkt. Der sanfte Blick auf diese Erkenntnis und das gemächliche ein- und ausströmen des Atems lassen mich wieder im Hier und Jetzt, bei dieser Zusammenkunft ankommen.

HUI

Die Erwartungen an diesen Morgen sind begrenzt. Es ist Zeit der Übung und damit keine Zeit im Raum. Wobei die Sanduhr mit ihren Sandkörnern doch etwas zählt, während wir in Zazen sitzen. Aber es scheint uns nicht wichtig zu sein, was sie zählt. Ohne Zeit, ohne Erwartungen und damit ohne Ego. WU WOI, nennen es die Chinesen. OHNE ICH. 

Vor mir und vor einem jedem von uns: 4 Teeschalen, eine Yixing Kanne mit Auffanggefäß und eine Zwischenkanne auf einem Tablett. Heißes Wasser und Tee. Ein kleines Tablett zum Servieren. Alle Dinge und Zutaten sind gleich und doch verschieden. Die 4 Teeschalen auf einem Tablett sind schwarz-braun, auf einem anderen Tablett sind die Tassen weiß mit einer Blume am Boden. Dann 4 Tassen mit einem Fischzeichnung am Boden. Dann 4 craquele Keramik Tassen in sattem Grün. Die Formen sind so unterschiedlich wie unsere Persönlichkeiten sind, doch haben wir keine Präferenz für die eine oder andere Tasse. Am Ende werden wir von jeder Tasse eine in Händen halten. Ich bereite einen zarten, zurückhaltenden Grüntee zu. Bi Lou Chun. Übergieße die Yixing Kanne zu übermütig, sodass mir klar wird, dass ich das Auffanggefäß bald leeren muss. Die Teefarbe ist kaum sichtbar beim Abgießen des Tees in die Zwischenkanne. Ob dieser Tee nach was schmecken wird? Es ist eine Frage, die nicht lange bleibt. Ich habe mein Bestes gegeben als ich die Teeblätter dosierte, aufgoss und ziehen ließ. Wie auch immer die Farbe ist, der Geschmack kann unerwartet anders sein. Und auch diese Feststellung bleibt nicht lange im Raum. Ich fülle die 4 Schalen, platziere 3 auf dem Tablett. Ich mache mich auf und überbringe 3 Menschen rechts von mir eine Schale Tee. Aufstehen. Tablett nehmen. Zu einem Menschen gehen. Niederknien. Verbeugen. Tee servieren. Verbeugen. Aufstehen. Zum nächsten Menschen gehen. Niederknien. Verbeugen. Tee abstellen. Verbeugen. Aufstehen. Zum dritten Menschen gehen. Niederknien. Verbeugen. Tee abstellen. Verbeugen. Aufstehen. An meinen Platz zurückkehren. Das wiederholt sich. Bis jeder 4 Tassen vor sich stehen hat. 4 unterschiedliche Tassen, 4 unterschiedliche Tees von 4 unterschiedlichen Menschen zubereitet. Zusammen trinken wir und erfahren doch jeder für sich etwas anderes von den anderen. Das ist CHA. So nennen die Chinesen TEE. 

Es wirkt wie eine stille Choreographie, doch folgt sie nur wenigen niedergeschriebenen Regeln und bedarf keiner Worte. Es ist vor allem ein Achten auf die anderen, das einen handeln lässt. Aufstehen und servieren, während alle sitzen oder abwarten und atmen, während noch einige mit der Teezubereitung beschäftigt sind. Wir erwarten nicht, dass der Tee gut schmeckt, doch wir freuen uns wenn er es tut. Wenn er uns nicht so sehr bekommt, nehmen wir das zur Kenntnis und erkennen für uns selbst warum dies so ist. Der Mensch könnte unausgeschlafen sein, das Wasser könnte zu heiß oder zu kalt sein. Die Energie zu viel oder zu wenig. Wir lassen uns überraschen und wir nehmen wahr, was die Teefarbe, sein Duft und der Teegeschmack in uns auslöst. Wir bemerken, die nackten Füße der anderen als etwas Offensichtliches und die stillen Worte, die die Augen sprechen, wenn wir uns voreinander verbeugen.  

Einige Aufgüsse machen wir, geben Tee und nehmen Tee. Immer wieder erheben wir uns mühsam und gehen auf den anderen zu um uns wieder auf Augenhöhe zu begegnen. Jeder für jeden. Dann sammeln wir unsere Tassen wieder ein. Einer nach dem anderen.  

Mit einer Verbeugung und einem wahrhaftigen Lächeln im Gesicht beenden wir WU WOI CHA HUI, das was die Chinesen meinen mit TEEZUSAMMENKUNFT OHNE ICH.  

Es ist Sonntag 11:30 Uhr in Wien. Die Brunch-Generation begibt sich auf die Donauinsel. Ich hole mir jetzt mal ein Croissant.  

Astrid Eder

Astrid Eder

Bauernhof Kind mit Studium der Wirtschaftswissenschaften, ehemalige Vielfliegerin für ein Luxuslabel, tauschte Prada gegen Prana unter Einfluss von Panik, mehrjährige Vipassana- und Zenpraxis, Yogalehrerin (500 YAA) mit Hang zu Teekonsum nach Gung Fu Cha, Achtsamkeitslehrerin  und MBSR Lehrer...
Kommentare  
# Beatrice Floh 2019-08-18 14:56
Schön!
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# Manuela 2019-08-21 09:01
Sehr interessante Einblick in die chinesische Teezeremonie, schön und poetisch beschrieben. Danke!
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