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Ich versuche, für die Angehörigen der Verstorbenen in lebensfördernder Weise da zu sein, damit sie mit dem Schmerz – wie immer er gestaltet ist – etwas besser umgehen können. Mein Anliegen.

Der Tod eines Menschen löst immer einen Ausnahmezustand aus, aber nicht zwangsläufig Trauer. Denn Trauer ist ein Gesicht von Liebe und Dankbarkeit, aber es gibt nicht immer eine dankbare, liebende Beziehung zum Toten. Es gibt ja auch Menschen, die müssen ihren Vater, der ihr Leben zerstört hat, begraben.
Was ist das für ein Abschiednehmen? Wieder andere Menschen bereuen die Versäumnisse in der gelebten Beziehung zum Verstorbenen oder haben Schuldgefühle dem Toten gegenüber. Echte Trauer ist eine Art sozialer Lohn, den man dafür bekommt, dass man kein Narzisst ist.
Ich gestalte Trauerreden nicht nur mit Worten. Es macht einen großen Unterschied, ob ich einen Philharmoniker oder einen Harley-Davidson-Bruder begrabe. Das sind ganz andere Welten, und es ist meine Aufgabe, Menschen zu verstehen und zu versuchen, dem Abschiednehmen eine stimmige und angemessene Gestalt zu geben.

Meine Arbeit besteht, wie bei allen seelsorgerischen Berufen, vor allem darin, den Menschen zuzuhören. Ich will ihnen keine Werte aufoktroyieren, sondern ihnen einen Raum der liebevollen Aufmerksamkeit schenken, in dem sie mit all ihren Gefühlen – seien sie auch noch so ambivalent – einfach sein können und die Möglichkeit haben, selbst an einen Punkt zu kommen, von wo aus sie in ihrem Leben weitergehen können. Gewisse Lebensgeschichten berühren mich und machen mich betroffen, da denke ich mir manchmal, Wahnsinn, dass es das gibt, kein Drehbuchautor kann sich so etwas ausdenken. In der Lebensgeschichte alter Menschen spiegelt sich oft die Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Es ist sehr spannend, wenn ich diesen Geschichten nachspüren darf. Ich führe ein Totenbuch, in dem ich alle Namen der Verstorbenen aufschreibe – und mein Name soll der letzte sein. Die Aussicht auf meinen eigenen Tod, mein Ende, führt zu einer unglaublich wunderbaren Sicht auf mein Leben. Ich kann nicht an meinen eigenen Tod denken, ohne sofort über mein Leben nachzudenken – es geht gar nicht anders. Der Gedanke daran, dass mein Leben endlich ist, spielt eine äußerst positive Rolle bei meinen Lebensentscheidungen: Wofür möchte ich mich einsetzen und was ist mir wirklich wichtig? Über den eigenen Tod oder über das eigene Ende nachzudenken ermöglicht einen viel klareren Blick auf mein jetziges Leben. Die meisten Menschen haben nicht Angst vor dem Tod, sondern eher Angst davor, dass sie bis dahin nicht das leben, was ihnen wichtig ist.
Ich kann mir zwar vorstellen, etwas anderes zu arbeiten, aber ich weiß, dass es so ein Feld, in dem ich meine Eignungen und Neigungen einbringen kann, nicht so schnell wieder für mich gibt. Der Friedhof ist für mich nach wie vor der wunderbarste Arbeitsplatz. Das erfüllt mich.

Hannes Benedetto Pircher, geboren 1971 in Meran, lebt und arbeitet als Grabredner und Schauspieler in Wien. www.hannesbenedetto.at

Foto © Apollonia Bitzan

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