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Zur Zeit denke ich mir öfters, dass ich mich wohl zu sehr in meine Pippi Langstrumpf-Wolke eingesponnen habe. Denn seit ich spüre, dass mein Gehirn wieder offener für externe Informationen wird, füllt es sich in der gleichen Geschwindigkeit mit Vorfällen, auf die ich gut und gerne hätte verzichten können.

 

Punkt Eins. Und ja, ich weiß, das kann gefährlich werden. Trotzdem: Politik. Frankreich hat gewählt, Deutschland ebenso und natürlich auch Österreich. In der Stadt, in der ich lebe, stehen ebenfalls Wahlen an. Und ich befürchte schon jetzt, das diejenigen, die bei mir um die Ecke Anschauungsmaterial für eine Verengung der Welt verteilen, Boden gewinnen werden. Was ich bei all den Ergebnissen, die sich an den Urnen heraus kristallisiert haben, einfach nicht verstehen will: Warum fürchtet sich jeder so vor dem Wandel? Denn anders kann ich mir die Rufe nach Mehr Wir und Weniger die Anderen einfach nicht erklären. In meiner Pippi Langstrumpf-Welt ist es doch schon lange keine Frage mehr, wo „wir“ aufhören und die „anderen“ anfangen. Wir sind doch längst schon in einer Gemeinschaft. Und das anzuerkennen, wäre höchst notwendig. Ohne Männer aus Bosnien und Afghanistan beispielsweise würde ich montags wahrscheinlich mein Bier selbst zapfen. Zwei Freundinnen von mir wären weniger glücklich, hätten sie nicht Männer an ihrer Seite, die ihre Leben mit anderen Mentalitäten bereichern würden. Im Wartezimmer des Röntgeninstituts sitzen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen nebeneinander. Und einmal im Jahr treffen sich in meiner Stadt alle hier verorteten Religionsvertreter zu einem verbindenden Gebet: Muslime und Hindus, Juden und Buddhisten, Christen und Bahá’í. Wir leben nicht nur in einer Stadt, sondern auch auf einem Planeten. Da wäre es doch nur klug, miteinander in Verbindung zu treten und gemeinsam an einer friedlichen Koexistenz zu arbeiten. Zusätzliche Grenzen aufzuziehen finde ich ziemlich kontraproduktiv.

Punkt 2. Ich lese, dass eine Mutter zuerst ihren Sohn und dann ihre Tochter geheiratet hat. Ernsthaft? Davon ausgehend, dass die Mutter durchaus ihre Gründe gehabt haben wird – die ich, nebenbei bemerkt, gar nicht wissen will - , stelle ich mir die Frage, warum ich das überhaupt wissen MUSS. Leider konnte ich gar nicht so schnell wegschauen, wie sich die Schlagzeile in meine Augäpfel gedreht hat. Und mein Reflex war natürlich ein wertender. Doch nach dem ersten Hyperventilieren fragte ich mich, was sich meine Journalistenkollegen dabei gedacht hatten, so etwas weiterzutragen. Ist es wirklich notwendig, Sensationslust zu schüren in Zeiten, die für jeden von uns einen Besen bereit halten, mit dem man zuerst einmal vor der eigenen Haustüre kehren sollte? Zugegeben, mit einer Nachricht wie dieser können die wenigstens mithalten. Doch das Leben vieler Menschen ist so proppenvoll, dass man sein Gehirnschmalz darauf verwenden könnte, hier alles auf die Reihe zu bekommen. Stattdessen freut man sich über Meldungen wie diese, damit man nicht über sich selbst nachdenken muss. Sondern in gepflegter Runde über die Abartigkeiten anderer tratschen kann. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Punkt 3. In meiner frühen Radiozeit hatte ich es mit einem Mann zu tun, der nur bedingt an meiner Stimme und was ich damit verbreiten konnte, interessiert war. Nein, ich brauchte das Geld nicht und doch habe ich mich in einer Situation wieder gefunden, die nach dem derzeit geltenden Verhaltenskodex #metoo schreit. Andererseits muss ich mir eingestehen, dass ich für mangelnden Mut niemanden anders als mich selbst verantwortlich machen kann. Und ich habe daraus meine Konsequenzen gezogen – nicht umsonst sagt mein Vater über mich, dass ich ein Mundwerk wie ein Schwert habe. Nicht immer, aber immer dann, wenn es drauf ankommt. Wenn mir jemand blöd kommt, mich verunsichern oder provozieren will. Und wenn ein Mann meint, meine Brüste als Titten bezeichnen zu müssen, soll er – für schlechte und dumme Ausdrucksweise fühle ich mich nicht zuständig. Ich bin mit Männern (Vater und Großvater ausgenommen) aufgewachsen, die bei Frauen Wert auf das „Holz vor der Hütte“ gelegt haben – ich bin also Kummer gewöhnt.

Eine weitere Konsequenz: Kein Fremder greift mich an, wenn ich es nicht will. Denn da hört der Spaß tatsächlich auf. Das aktuelle Über-den-Kamm-Scheren verschiedenster männlicher Annäherungsversuche trägt meiner Meinung nach hauptsächlich zum Zerrütten des Geschlechterverhältnisses bei. Männer wie Frauen bringen sich um den Zauber eines Flirts oder auch nur einer geistreichen Schmähparade, wenn die einen sich nichts mehr trauen und die anderen reine Dummheit mit sexueller Belästigung verwechseln. Um ganz klar zu sein: Wer die Grenzen eines anderen gegen dessen Willen überschreitet, muss die Konsequenzen tragen. Und kann man seine Grenzen selbst nicht (mehr) verteidigen, tut man gut daran, einen Verteidiger zu suchen. Und das ohne falsche Scham.

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In meiner Pippi Langstrumpf-Welt frage ich mich, was passiert ist. Wann es angefangen hat, dass ein „Nein“ als „Ja“ interpretiert wurde. Wann es angefangen hat, dass man auf den normalen Wandel, den es permanent gibt, mit Ausgrenzung reagiert. Wann es angefangen hat, dass wir uns lieber um die Angelegenheiten anderer als um unsere eigenen kümmern. Ich denke, dass vielen Menschen Ruhe fehlt. Jene, in der sie bei sich einkehren können, ohne zu Reaktionen gezwungen zu werden, nur weil man zu allem und jedem heutzutage eine Meinung haben muss. Aber auch jene Ruhe im zwischenmenschlichen Bereich, wo man nicht einfach gleich losschießt, wenn man sich angegriffen fühlt. Sondern vielleicht einmal durchatmet und hinterfragt, ob der andere auch das gemeint, was man verstanden hat. Kommunikation braucht Zeit – und die sollte man sich nehmen. Genauso wie die kleinen Auszeiten für sich selbst. Kürzlich saß ich mit dem Kaminkehrer beim Kaffee, der mit 37 Jahren stressbedingt einen Herzinfarkt hatte. Ich schlug ihm vor, dreimal durchzuatmen, bevor er zu einem neuen Kunden gehe. Quasi eine Mini-Meditation. Er meinte, dafür hätte er keine Zeit. Aber nach der Kaffeepause mit mir ging er merklich weniger hippelig vondannen. Konfuzius hatte recht, als er sagte: „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.“ Und erweitert könnte man sagen: „Wenn Du reagieren willst, atme.“ Egal ob in der Politik, bei Sensationen oder Zwischenmenschlichem.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Bea Meier 2017-11-29 14:09
Oh wie wahr ...
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# magclaudia dabringer 2018-01-12 14:15
danke, liebe bea meier!
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