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Achtsamkeit & Meditation

Die tibetische Nonne Lama Irene über das Wesen der tibetischen Meditation, ihren eigenen buddhistischen Weg und wie auch wir Menschen im Westen ernsthaft meditieren lernen können.

Was ist das Wesen der tibetischen Meditation und unterscheidet sie sich von anderen Meditationsformen im Buddhismus?
Alle buddhistischen Meditationen haben etwas gemeinsam. In allen ist es essenziell, einen gesammelten Geist zu entwickeln, auf Sanskrit heißt das ‚shamatha', auf Tibetisch ‚shine'. Gleichzeitig ist es wichtig, die Wirklichkeit zu erforschen, die äußeren Phänomene und das Subjekt. Das geschieht durch ‚intuitive Einsicht', auf Sanskrit ‚vipassana' und auf Tibetisch ‚lhaktong'. Im tibetischen Buddhismus gibt es sehr viele Methoden, um Geistesruhe und Einsicht zu üben, darin liegt der Unterschied zu anderen Traditionen des Buddhismus.

MeditationWie wichtig sind Glaube und Vertrauen?
Das ist ein zentraler Punkt. Ein Vorschussinteresse ist wichtig, aber dieser Weg, der in die Freiheit von allen Sichtweisen führen soll, geht über die landläufigen Vorstellungen von Glauben hinaus. Am Anfang kann es hilfreich sein, wenn man durch eine charismatische Persönlichkeit angezogen ist, weil man dadurch einen inneren Weg entwickeln kann. Vertrauen ist dafür sehr wichtig. „Worauf kann ich wirklich vertrauen?", ist jedoch eine grundlegende Kernfrage im Leben von uns allen. Am Anfang scheinen sich viele auf die äußeren Aspekte der Traditionen auszurichten. Wenn wir tiefer in den Weg eindringen, wird deutlich, dass es wichtig ist, Vertrauen jenseits von Sichtweisen zu finden.

Kann Glaube auch gefährlich sein, wenn zu blind geglaubt wird?
Ein schrittweiser, kritischer Zugang ist für jeden Weg wichtig, deshalb soll man mit dem eigenen gesunden Menschenverstand immer in Verbindung bleiben.

Der tibetische Buddhismus tritt oft sehr prächtig, fast katholisch auf ...
Ja, das finde ich auch (lacht).

Macht es das für Anfänger nicht schwierig, von der äußeren Erscheinung zum inneren Kern der Lehre vorzudringen?
Die äußeren Aspekte des tibetischen Buddhismus haben sehr viel Faszination ausgelöst. Um die eigene Meditation zu entfalten, ist es wichtig, zu lernen wahrzunehmen, was in uns von Moment zu Moment vorgeht. Zu entdecken, dass es möglich ist, Gedanken und innere Eindrücke vorbeiziehen zu lassen, wie Wolken am Himmel. Dabei können diese Äußerlichkeiten zwar eine Stütze sein, aber auch vom eigenen Erfahrungsweg ablenken. Es ist zentral, dass wir Lehrer und Lehrerinnen finden, die uns darauf aufmerksam machen.

Trungpa Rinpoche, der Ihnen am Anfang Ihres buddhistischen Weges wichtige Impulse gab, spricht viel von den unheilsamen Emotionen Hass, Ärger und Gier, mit denen man üben kann. Hat Buddhismus auch einen therapeutischen Aspekt und wo ist der Unterschied zur Psychotherapie?
Ein therapeutischer Weg ist ein Weg in die Gesundheit, zur inneren Integration. In dem Sinn ist der buddhistische Weg in die Freiheit ganz eindeutig therapeutisch. Es geht um ein Bewussterwerden, darum, mit inneren Paradoxen, Fragmenten und Unvereinbarkeiten einen gesunden und geschickten Umgang zu finden. Mehr und mehr Therapeuten und Ärzte haben einen buddhistischen Hintergrund, erforschen und entwickeln Wege in diese Richtung. Der Unterschied zur Therapie liegt darin, dass man im spirituellen Weg lernt, die eigene wahre Natur und die Wirklichkeit um sich herum als etwas zu erkennen, was keine feste, eigenständige und unabhängige Realität hat.

Es gibt neue Lehrmethoden, die aus dem Buddhismus kommen, aber auf den Buddhismus keinen Bezug mehr nehmen, z.B. die Methode der auf Achtsamkeit beruhenden Stressreduktion (MBSR) von Jon Kabat-Zinn. Sehen Sie darin eine Bereicherung oder eine Gefahr für den Buddhismus?
Ich kenne Jon Kabat-Zinn persönlich, ich sehe darin eine positive Entwicklung. Mein Meister Gendün Rinpoche hat gesagt, dass wir in Zukunft die buddhistischen Methoden und Meditationen in unseren eigenen Sprachen mit unseren eigenen Worten lehren werden. Wichtig ist, dass diejenigen, die diese Adaptionen machen, selbst langjährige Erfahrung in buddhistischer Sichtweise und Praxis haben.

Viele Menschen interessieren sich für Buddhismus, haben aber Schwierigkeiten, selbst ernsthaft und intensiv zu meditieren. Wie gehen Sie mit solchen Menschen in Ihren Seminaren um?
Ich mache sie darauf aufmerksam, dass es in jedem Augenblick möglich ist, sich grundlegender Freundlichkeit zuzuwenden. Für solche Hinweise sind die Menschen sehr dankbar.
Jetzt gerade unterrichte ich gemeinsam mit zwei Kolleginnen das Seminar ‚Meditation und Aktion' hier im Kloster. Dabei wechseln Phasen der Meditation mit Phasen der Aktivitäten in der Küche, im Garten sowie mit Renovationsarbeiten im Kloster ab. Während der Aktivitäten üben wir uns darin, immer mal wieder eine Minipause einzulegen. Bei diesen Minipausen halten wir inne und machen uns von allen Vorstellungen frei. Natürlich gelingt das nur, wenn wir die Möglichkeit einer Minipause nicht vergessen und sie dann selbstständig zum selbst gewählten Zeitpunkt aktivieren. Die Fähigkeit, sich daran erinnern zu können, ist also ausschlaggebend.
Während solcher Minipausen öffnen wir uns für ein, zwei Atemzüge in eine Weite hinein, in der es nichts zu tun und nichts zu erreichen gibt.

Sie sind seit 1991 Nonne, wie wurden Sie das?
Durch meinen Kontakt mit meinem Meister Gendün Rinpoche. Ich hatte das überhaupt nicht vor. Ich praktizierte mit meinem Partner dreieinhalb Jahre im Wald. Am Ende des Retreats hatten wir den Eindruck, dass wir uns trotz Liebe und Nähe, ohne es zu wollen, doch gegenseitig blockierten. Wir wollten mit Gendün Rinpoche weiter praktizieren, so haben wir uns beide bei ihm ordiniert. Mein Partner zuerst, ich habe mich noch etwas länger geprüft und bin dann zum Schluss gekommen, dass das ein guter und sinnvoller Schritt ist. Dabei war für mich ausschlaggebend, dass Gendün Rinpoche eine Gemeinschaft aufbauen wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, einfach so in der Welt draußen im Zölibat zu leben.

Sie leben jetzt ganz zölibatär?
Ja.

Ist das schwer?
Nein (lacht), das war für mich ein Schritt in die Freiheit. Zärtlichkeit und tiefe Sexualität sind etwas Wunderbares. Ich war bereits 40, als ich Nonne wurde, und hatte deshalb genügend Zeit, mit meiner Sexualität experimentieren zu können. Jetzt wollte ich aber noch einen Schritt weiter und tiefer gehen.

Sie haben 1979 bei Trungpa Rinpoche zu praktizieren begonnen, einem großartigen und berühmten Lehrer. Er hat wunderbare Bücher geschrieben. Er war aber auch wegen Alkohol und Drogen umstritten, wie haben Sie ihn erlebt?
Ich war einen Sommer lang bei ihm am Naropa Institut in Boulder. Diese Zeit war umwerfend für mich, es war eine kreative, inspirierende Atmosphäre in seinem Zentrum, seine Unterweisungen waren zutiefst beeindruckend. Gleichzeitig wurde dort sehr frei mit Alkohol und Drogen experimentiert. Das hat bei mir viele Fragen aufgeworfen und es war mir nicht möglich, tieferes Vertrauen hervorzubringen.

Danach waren Sie Schülerin von Ole Nydahl. Er ist auch ein charismatischer Lehrer und wegen einiger seiner Aussagen, zum Beispiel über den Islam, umstritten. Wie sehen Sie ihn?
Ich war 1981 bei ihm in kleinen Gruppen, liebte seine Menschlichkeit und seine Unmittelbarkeit. Vor einem Jahr habe ich Unterweisungen von ihm auf CD gehört, an denen konnte ich nichts Falsches finden, die fand ich sehr stimmig. Von den anderen Aspekten, wegen derer er umstritten ist und von denen ich gehört habe, kann ich nicht aus eigener Erfahrung sprechen.

Wie geht es bei Ihnen weiter?
Von einer Pause zur nächsten. Von einer Mikropause zur nächsten (lacht). Gendün Rinpoche sagt: „Nur natürliche Meditation führt zur wirklichen Freiheit." Doch was ist damit gemeint? Es handelt sich dabei um eine ungekünstelte Meditation frei von Vorstellungen. Zuerst wird sie auf dem Sitzkissen geübt und dann wird diese Gelöstheit in den Alltag hineingebracht. Dieser Meditation sowie dem heilsamen Handeln mit Körper, Rede und Geist fühle ich mich verpflichtet: jeden Morgen von neuem!

Lama Irene, Dordje Drölma, geb. 1951, ist Schweizerin und seit 1991 Nonne.1979 lernte sie buddhistische Meditation in den USA bei Trungpa Rinpoche kennen und erhielt 1981 die buddhistische Zuflucht von Ole Nydahl in Karlsruhe. Bald danach gründete sie gemeinsam mit Freunden die Buddhistische Dorfgemeinschaft Bordo in Norditalien. Inspiriert von Ayang Rinpoche begab sie sich 1982 für fünf Monate in ihre erste Zurückziehung in Nordindien, dann begegnete sie Gendün Rinpoche, der sie tief bewegte, und nahm von 1986 bis 1994 an zwei Dreijahres-Retreats unter seiner Leitung teil. Seit 1995 unterrichtet sie und beteiligt sich am Aufbau von Dharmagruppen und Zentren im deutschen Sprachraum sowie seit 2006 in Brasilien.

 

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Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Peter Riedl ist Universitätsprofessor für Radiologie und seit über 30 Jahren Meditations- und Achtsamkeitslehrer. Er ist Gründer und war bis Juni 2019 Herausgeber der Ursache\Wirkung, hat W.I.S.D.O.M., die Wiener Schule der offenen Meditation und das spirituelle Wohnheim Mandalahof gegründet. S...
Kommentare  
# Karin Klenk 2019-02-18 13:21
Was für ein interessantes Interview! Danke!
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