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Achtsamkeit & Meditation

Nicht nur mit Pillen lässt sich ein Rückfall in die Depression vermeiden. Die buddhistische Praxis der Achtsamkeit schützt Patienten bei Depression gleichermaßen.

„Dies ergab eine aktuelle Studie aus der bekanntesten medizinischen Fachzeitschrift ‚The Lancet', so der Psychologe und Psychotherapeut Johannes Michalak.

Zu welchem Ergebnis kam die Studie im ‚Lancet‘?

Die neue Studie im ‚Lancet‘ sagt aus, dass die Rückfallrate bei MBCT (Mindfulness-based Cogni- tive Therapy) dieselbe ist wie bei der Einnahme von Anti- depressiva. Sie können sich also genauso gut vor Rückfäl- len schützen, wenn Sie Medikamente ausschleichen und ein Achtsamkeitsprogramm machen.

Was ändert sich durch diese Studie für die Patienten?

Bis jetzt wurde Depressiven empfohlen, lang- fristig Medikamente einzunehmen, um sich vor Rückfäl- len zu schützen. MBCT ist also eine echte Alternative zur Medikamentation.

Wie kam dieses Ergebnis zustande?

Die jetzige Studie fußt auf einer anderen, kleineren Studie, bei der sogar eine leicht geringere Rückfallrate mit MBCT im Vergleich zur medikamentösen Behandlung das Ergebnis war, die allerdings statistisch nicht bedeutsam war. Es wurde bei beiden Studien das- selbe Design verwendet. Die TeilnehmerInnen waren ehe- mals depressive PatientInnen, die zum Zeitpunkt des Ein- tritts in die Studie alle keine Depression mehr hatten. Eine Gruppe nahm weiterhin ihre Medikamente. Die anderen haben die Medikamente ausschleichen lassen und an MBCT teilgenommen. Die StudienteilnehmerInnen warenden aus einem Register, das Patienten mit Depressionen erfasst, ausgewählt. In der großen Studie, die im ‚Lancet‘ publiziert wurde, wollte man anhand einer größeren Zahl an Versuchspersonen über einen Zeitraum von zwei Jahren bestätigt, das Ergebnis lautet, dass MBCT einer medikamentö- sen Behandlung nicht überlegen, sondern gleichwertig ist.500mal250 UW93 Platzer

Wie sieht es bei akuten Depressionen aus, ist MBCT da genauso erfolgreich?

Es gibt einige Studien, bei denen sich abzeichnet, dass MBCT auch einen großen Effekt bei akuter Depression haben kann.

Ist Meditation ein zentraler Bestandteil dieses Programmes?

Meditation ist ein ganz zentraler Bestandteil. Das Programm beinhaltet aber auch andere Elemente aus dem psy- chotherapeutischen Bereich, die speziell auf Depressionen zuge- schnitten sind. Wie gut Meditation an sich, ohne klinische Beglei- tung, vor Rückfällen schützen würde, das wissen wir nicht genau. Wir vermuten, dass es auch eine große Ressource sein kann, aber dazu gibt es keine wissenschaftliche Evidenz. Ich würde sagen, man sollte Meditation und MBCT nicht vermischen.

Was genau ist MBCT?

MBCT – Mindfulness-based Cognitive Therapy (Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie). MBCT ist ähnlich wie MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction), aber es hat achtwöchiges Behandlungsprogramm. Die erste Sitzung fängt fast genauso an wie bei MBSR – mit der Rosinenübung. Der Body Scan, Sitzmeditation und einfache Yoga-Übungen kommen ebenfalls vor. Was neu ist - und viele sehr hilfreich finden - , ist ein sogenannter Breathing Space, ein Atemraum. Drei Mal am Tag wird ein Zeitpunkt festgelegt, wo eine Kurzmeditation stattfindet. die dient dazu, sich wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Darüber hinaus können die Teilnehmer den Breathing Space auch dann spontan durchführen, wenn sie sich gestresst oder destabilisiert fühlen, da er auch eine Ressource im Umgang mit schwierigen Situationen sein kann. Das sind die Achtsamkeitselemente. Dann gibt es kognitiv-verhaltens- therapeutische Elemente, wie zum Beispiel die Erarbeitung von Frühwarnzeichen für Rückfälle und eines Plans zum Umgang mit diesen. Die Achtsamkeit hilft dabei, die ersten Anzeichen früher zu bemerken. Es geht darum zu lernen, wie ich auf der Verhaltensebene gut für mich sorgen kann und wie ich mit Gedanken umgehe. Die zentrale Idee dahinter ist, sich nicht mehr mit negativen Gedanken zu identifizieren.

Über welche Mechanismen wirkt MBCT?

Über eine Erhöhung von Achtsamkeit sowie eine Erhöhung von Selbst Compassion – Mitgefühl mit sich selber. Es soll ein mitfühlender Umgang mit sich selber auch in schwierigen Situationen gefördert werden.

Welche Auswirkungen hat so eine Studie?

‚The Lancet‘ ist eine sehr angesehene medizinische Zeitschrift. Es ist etwas Besonderes, dass eine Studie zu MBCT dort erschienen ist. Wenn man in einem guten Journal publiziert, wird das Ergebnis nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch in der gesamten Fachwelt ernst genommen.

Bewirkt dieses Ergebnis jetzt tatsächlich ein Umdenken in der Medizin?

Ich weiß nicht, ob es ein grundsätzliches Umdenken gibt. Bei den Behandlungsleitlinien für Depression in Deutschland zum Beispiel sieht man, dass bei leichter bis mittelschwerer Depression als Behandlung erster Wahl immer auch Psychotherapie empfohlen wird. Nur letztendlich sind die Wartelisten lang. Wenn sich Leute an Hausärzte wenden, dann bekommen sie normalerweise Antidepressiva verschrieben. Zwischen Leitlinien und Behandlungsrealität besteht immer noch eine Diskrepanz. Solche Studien haben jedoch sicher auch einen Impact. Man könnte andererseits die Ergebnisse auch so lesen – und als kritischer Psychiater sagen: MBCT ist ja auch nicht besser als eine medikamentöse Behandlung. Es ist erstmal kosteneffizienter und die Leute müssen weniger Aufwand betreiben. Beide Therapieformen sind ja gleich gut. Wahrscheinlich kommt es darauf an, wie die Patienten
zu Medikamenten stehen. Patienten wollen oft keine Medikamente nehmen wegen der Nebenwirkungen. Es denken sicherlich nicht alle Patienten so. Möglicherweise hat die Pharmainindustrie auch ein biologisch-medizinisches Krankheitsmodell im Bereich der Depression gefördert. Die sagen, es sind Gehirnstoffwechselstörungen. Es gibt aber keine Evidenz für diese einseitige Sichtweise. Es gibt einen Unterschied im Gehirnstoffwechsel zwischen Depressiven und Nichtdepressiven, aber dass es jetzt wirklich kausal die Ursache einer Depression ist und man daher unbedingt Psychopharmaka verschreiben muss, diese Position lässt sich sicherlich relativieren.

Kommt in den Leitlinien MBCT vor?

MBCT findet in den Leitlinien sehr wohl als mögliche Handlungsoption für die Rückfallprävention Erwähnung. Als Behandlungsmethode für akute Depressionen noch nicht. Es gab bis jetzt noch zu wenig wissenschaftliche Evidenz dafür.

Würden Sie sagen, dass auch Bewegungsformen, wie etwa das Laufen, eine ähnliche Wirkung haben können wie achtsamkeitsbasierte Therapien?

Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist sind ein sehr spannendes Thema. Ich habe dazu ein paar experimentelle Studien zu depressionsbezogenen Bewegungsmustern durchgeführt.

Was haben Sie in diesen Studien festgestellt?

In einer Studie haben wir versucht festzustellen, haben wir ein Gangmuster, das typisch ist für Depression, entdeckt. In einem weiteren Versuch haben wir dann das Gangmuster mittels Computerfeedback verändert und geschaut, wie sich das auf die Tendenz auswirkt, positives oder negatives Material zu behalten. Personen, die ein fröhlicheres Gangmuster zeigten, haben mehr positive Wörter erinnert als Personen, die depressiv gelaufen sind. Ähnliches haben wir bei einer Veränderung der Sitzhaltung gefunden. Depressive Patienten, die aufrecht gesessen sind, zeigten nicht mehr die für Depressive typische Tendenz, mehr negative Wörter zu erinnern.

Heißt das, dass Bewegung einen maßgeblichen Einfluss auf den Geist hat? Nicht nur in Form von Sport, sondern auch durch die Art und Weise, wie man sich im Alltag bewegt?

Genau das ist meine Hypothese, bis jetzt haben wir nur kurzzeitige Experimente dazu gemacht. Ob solche Veränderungen von motorischen Mustern auch langfristige Effekte haben und als Therapie eingesetzt werden können, dazu gibt es derzeit noch keine Studien. Das muss noch untersucht werden.

Spielt der Körper eine zentrale Rolle, um einen zufriedenen Geist zu erlangen?

Aus meiner persönlichen Erfahrung ist der Körper wichtig. Es gibt jedoch unterschiedliche Wege für unterschied- liche Menschen. 


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 93: „Durch den Körper zum Geist"

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Univ.-Prof. Dr. Johannes Michalak, geboren 1967, ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Witten/ Herdecke. Er hat langjährige Übungserfahrung in Zen und Qi Gong.

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Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
Kommentare  
# Astrid 2019-04-01 13:57
Herr Michalak ist ein sehr interessanter Mensch! Ich habe die Studie vorher schon gelesen und ergänzt sich gut mit diesem Interview!
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