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Diskurs

Der deutsche Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann über eine fleischlose Ernährung und warum auch das Überleben künftiger Generationen davon abhängt.

Biologisch gesehen ist der Mensch ein sogenannter Omnivore, also ein Allesfresser. Wie sieht eine ausgewogene Ernährung im 21. Jahrhundert aus?

Eine ausgewogene Ernährung besteht aus Gemüse und Obst, Getreide und Hülsenfrüchten, Fetten und Ölen, Nüssen und Samen, Milchprodukten, Fleisch, Fisch und Eiern sowie Kräutern und Gewürzen. Diese Lebensmittel sollten im Laufe einer Woche oder eines Monats abwechselnd, möglichst als Grundnahrungsmittel, also nicht stark verarbeitet, schonend zubereitet und verzehrt werden. Abhängig von Gewohnheiten und Überzeugungen kann ein Teil der Kost aus tierischen Produkten oder weitaus überwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln bestehen.
Heutzutage sind fast alle Menschen körperlich wenig aktiv, sodass nicht zu viel gegessen werden sollte. Bei drei Hauptmahlzeiten können Zwischenmahlzeiten entfallen oder sollten aus kleinen Mengen Obst oder Nüssen oder kalorienarmen Getränken bestehen. Außerdem sollte man nicht zu salzig und nicht zu süß essen und bei den Fetten sind die gesundheitlich günstigen pflanzlichen Öle zu bevorzugen.

Ist es aus gesundheitlichen Gründen notwendig, Fleisch zu essen?

Im Laufe der 50 Millionen Jahre dauernden Evolution hat fast immer die pflanzliche Nahrung dominiert. Fleisch ist zwar als Lebensmittel wertvoll, weil es eine Reihe von wichtigen Nährstoffen enthält, deshalb spricht aus diesem Grund nichts gegen einen moderaten Verzehr. Es geht jedoch auch ohne Fleisch, denn alle Nährstoffe, bis auf Vitamin B12, können auch beim Verzehr von Pflanzen in ausreichender Menge aufgenommen werden – vorausgesetzt, dass die Kost vollwertig ist. Vegetarier, die Milchprodukte und Eier essen, sind mit allen Nährstoffen, auch Vitamin B12, gut versorgt. Fleisch ist auch ein wichtiger Eiweißlieferant. Aber es gibt keinen Eiweißmangel bei Vegetariern, im Gegenteil, sie nehmen ausreichend Eiweiß auf. Für den bewegungsarmen Wohlstandsbürger wäre eine Verminderung der Fleischzufuhr wünschenswert. Wer kein Fleisch isst, kann sich ganz unproblematisch mit eiweißreichen Lebensmitteln versorgen wie den verschiedenen Getreideprodukten, Hülsenfrüchten und Käse. Eine abwechslungsreich zusammengestellte vegetarische Kost liefert ausreichend Eiweiß.

 

Claus Leitzmann

 

 

Ist aus gesundheitlicher Sicht Fleischkonsum bedenklich?

Fleisch aus der industriellen Massentierhaltung ist nicht von gleicher Qualität wie Wildfleisch oder solches aus ökologischer Landwirtschaft. Fleisch enthält neben wertvollen Nährstoffen wie Eiweiß, Eisen und Zink auch gesundheitlich problematische Substanzen wie Cholesterin und gesättigte Fettsäuren. Fleischprodukte, die stark gesalzen, gepökelt oder geräuchert sind, sollten gemieden werden. Außerdem reichern sich bestimmte Schadstoffe über die Nahrungskette im Fleisch an, besonders in den Innereien, deshalb sollten diese nur ausnahmsweise oder gar nicht verzehrt werden.

Angeblich werden in der konventionellen Tierzucht sogar Tranquilizer, Antibiotika und Hormone verabreicht. Besteht dadurch ein gesundheitliches Risiko für den Menschen?

Der Einsatz dieser und anderer Hilfsmittel in der industriellen Tierproduktion ist heute so weit gesetzlich geregelt, dass er keine ernstzunehmenden gesundheitlichen Auswirkungen haben sollte. Dabei treten immer wieder Missbrauch oder schlicht Unfälle auf, die meist zu entsprechend negativen Folgen für die jeweiligen Produzenten führen. Viel wichtiger als der gesundheitliche Aspekt sind hier die Auswirkungen auf die Umwelt. So führt der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion zur Förderung resistenter Krankheitserreger, die auch für den Menschen gefährlich werden können. Der Einsatz von Hormonen ist bei uns, anders als in Ländern wie den USA, streng geregelt. Hormone, die durch Ausscheidungen der Tiere in die Umwelt gelangen, können zu Missbildungen bei Tieren führen, wie besonders bei Fischen zu beobachten ist. Ob der Verzehr dieser Tiere auch Auswirkungen auf den Menschen hat, ist bisher nicht geklärt.

Wie stehen Sie als Ernährungsspezialist zu einer rein vegetarischen Kostform?

Sehr positiv, denn weltweite Studien ebenso wie unsere eigenen Untersuchungen zeigen, dass Vegetarier im Durchschnitt weniger übergewichtig sind und länger in Gesundheit leben. Wie bei allen Kostformen machen auch Vegetarier Fehler in ihrer Ernährung, sodass es zu Mangelernährung kommen kann, besonders bei den strengen Vegetariern, den Veganern. Diese seltenen Mangelversorgungen sind der Grund für den teilweise schlechten Ruf des Vegetarismus. Veganer und Vegetarier, die aus ethischen Gründen keine tierischen Produkte verzehren, brauchen daher entsprechende Beratung. Bei der heutigen Vielfalt von Angeboten an Lebensmitteln ist es unproblematisch, sich vollwertig von pflanzlichen Lebensmitteln zu ernähren.

Welche Argumente sprechen noch für eine fleischlose Ernährung?

Die Vorteile des Vegetarismus beschränken sich nicht nur auf gesundheitliche Aspekte, sondern sie wirken sich auch gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch aus. Derzeit wird heftig über die drohende Veränderung unseres Klimas diskutiert. Es zeigt sich, dass sich eine vegetarische Ernährung deutlich weniger schädigend auf das Klima auswirkt als die übliche Fleischkost. Besonders problematisch ist der Ausstoß von Methan und anderen Gasen von Wiederkäuern wie Rindern, die insgesamt genauso klimaschädigend wirken wie der gesamte Autoverkehr. Zunehmend beginnen sich bewusst lebende Menschen aus moralischen Gründen für den Vegetarismus zu entscheiden. Sie möchten nicht, dass Tiere unter schrecklichen Bedingungen gehalten, transportiert und geschlachtet werden, nur um eine Gewohnheit zu bedienen, die zur vollwertigen Ernährung nicht erforderlich ist. Diese Menschen sehen Tiere als Mitgeschöpfe an, die leidensfähig sind und ein Recht auf ein artgerechtes Leben haben. Dokumentationen oder besser noch persönliche Besuche von Hühnerfarmen oder Schlachthöfen bringen eine abrupte Wende in der Ernährung von sensiblen Menschen.

Sind Vegetarier Ihrer Meinung nach die besseren Menschen?

Nein. Aber Vegetarier praktizieren eine zeitgemäße und nachhaltige Lebensweise, die für alle Menschen und unsere Nachkommen eine entscheidende Rolle in Bezug auf die Lebensqualität spielt. Man hört immer wieder, dass Vegetarier friedfertiger sind, da ein Leben ohne das Töten von Mitgeschöpfen mit einer geringeren Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten verbunden sein soll. Auch wenn das logisch erscheint, gibt es dazu bisher keine verlässlichen wissenschaftlichen Daten.

Oft hört man, dass eine vollwertige vegetarische Ernährung nur für wohlhabende Menschen leistbar sei.

Ein vegetarisches Leben kann für den Einzelnen billiger werden, weil pflanzliche Lebensmittel im Allgemeinen preiswerter sind als tierische Produkte. So wird allein für Fleisch- und Wurstwaren durchschnittlich fast ein Drittel der Ernährungsausgaben getätigt. Wenn alle pflanzlichen Lebensmittel aus dem ökologischen Landbau gekauft werden, kann eine vegetarische Ernährung allerdings genauso teuer oder sogar teurer werden. Bei einer flächendeckenden ökologischen Landwirtschaft würde sich dieser Effekt allerdings relativieren. Die Ausgaben für Krankheiten können ebenfalls deutlich gesenkt werden.

 

Bei der heutigen Vielfalt von Angeboten an Lebensmitteln ist es unproblematisch, sich vollwertig von pflanzlichen Lebensmitteln zu ernähren.

 

Auch für die Gesellschaft ist ein vegetarisches Leben günstiger, weil die hohen Energiekosten der Tierproduktion entfallen. Diese bestehen in Aufzucht, Fütterung und Transport der Tiere sowie in der Entsorgung der Abfallprodukte. Die erheblichen Umweltschäden durch die intensive Tierproduktion und der Einfluss auf das Klima können ökonomisch nicht genau erfasst werden. Es ist aber bekannt, dass dieser Einfluss auf Umwelt und Klima durch Folgekosten langfristig sehr teuer wird. Die Kosten im Gesundheitssystem könnten durch ein vegetarisches Leben entscheidend gesenkt werden.

Also ist ein Leben ohne Fleischkonsum auch aus wirtschaftlichen Gründen anzuraten?

Ja, aber die politischen Probleme überlappen mit den ökonomischen Problemen, da es in der Politik vornehmlich um wirtschaftliche Interessen geht. So wäre die aus gesundheitlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Gründen vernünftige Empfehlung zur vegetarischen Ernährungsweise von Regierungsseite durch die ökonomische Macht der Bauernverbände und der Lebensmittelindustrie, vielleicht auch der Pharmaindustrie und der Hersteller von medizinischen Geräten, nicht durchzusetzen, obgleich diese Ernährungsweise eine ganze Reihe der genannten Probleme teilweise drastisch reduzieren würde.

Ist nicht auch der Flächenbedarf bei der Tierhaltung ein Problem?

Der größte Teil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche wird für die Tierproduktion eingesetzt. Dabei handelt es sich überwiegend um Gras- und Buschland, Gebirgsregionen und marginale Böden. Diese Nutzung ist sinnvoll, wenn sie nicht zu Überweidung führt. Die als Ackerboden benutzte Fläche für den Anbau von Nahrungsmitteln dient weltweit etwa zur Hälfte der Ernährung des Menschen, die andere Hälfte wird für Futterpflanzen genutzt. So wird in Ländern wie Japan, aber auch Deutschland, die keine Selbstversorger in Sachen Lebensmittel sind, ein erheblicher Teil der erforderlichen Ackerfläche durch Importe aus anderen Ländern, in Form von Nahrungs- und Futtermitteln, in Anspruch genommen. Für Japan beträgt dieser Anteil mehr als die Ackerfläche, die im eigenen Land zur Verfügung steht, für Deutschland ist es etwa ein Drittel der eigenen Ackerböden.

 

Das Überleben auf der Erde wird durch die intensive Tierhaltung entscheidend beeinflusst.

 

Die Folgen dieser Entwicklung werden im Sinne einer globalisierten Welt zunächst positiv gesehen, haben aber bei genauer Analyse teilweise erhebliche Nachteile für Menschen in Ländern, die auf diese Weise Devisen erwirtschaften. Um Nahrungs- und Futtermittel zu exportieren, werden Wälder gerodet und Kleinbauern von ihren Ländereien vertrieben, um große Anbauflächen zu schaffen. Diese Menschen wandern meist in die Städte und tragen dort zur Slumbildung bei, mit einer unsicheren Ernährungssituation. Die Welternährungslage hat sich durch diese Entwicklung eher verschlechtert, wie die aktuellen Zahlen der weltweit Hungernden zeigen. Inzwischen handelt es sich dabei um über eine Milliarde Menschen! Ironischerweise gibt es global genauso viele übergewichtige Menschen.

Welchen Einfluss übt die Massentierhaltung konkret auf das Klima aus?

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Einfluss der industriellen Tierproduktion auf die Umwelt durch Gülle (Nitrat) und klimaschädliche Gase wie Methan von Wiederkäuern bisher viel zu wenig ernst genommen wurde. Innerhalb des Ernährungssystems resultiert ein erheblicher Anteil der umweltrelevanten Folgen für unser Klima aus der Art der Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und Zubereitung unserer Lebensmittel sowie der Entsorgung von Verpackungsmüll und organischen Abfällen. Etwa die Hälfte der ernährungsbedingten Emissionen stammt aus der Landwirtschaft und davon der Hauptanteil aus der Produktion tierischer Nahrungsmittel.

Im Nassreisanbau wird doch ebenfalls Methan in großen Mengen produziert. Gibt es hierfür praktikable Alternativen?

In den Böden, die für den Nassreisanbau genutzt werden, produziert die Bakterienflora eine beachtliche Menge an Methan, das in die Atmosphäre entweicht. Eine Reduzierung dieser Gasemission wäre durch eine Verringerung des Nassreisanbaus möglich, was wohl auf erhebliche Schwierigkeiten bei diesem Grundnahrungsmittel – nicht nur in Asien – stoßen würde. Der sogenannte Trockenreis oder Bergreis hat nur einen sehr bescheidenen Anteil an der globalen Reisversorgung. Er wird in Bergregionen angebaut, eine Ausdehnung der Ackerflächen wäre nur sehr begrenzt möglich. Letztlich gibt es noch den wilden Reis, der in flachen Seen gedeiht und eine noch geringere Rolle in der Reisversorgung spielt. Ob in diesen Seen auch Methangas produziert wird, wurde bisher nicht untersucht, aber es ist davon auszugehen. In den asiatischen Ländern wird übrigens heute sehr viel mehr Weizen angebaut und importiert als in der Vergangenheit. Das hat aber, bedingt durch den natürlichen Bevölkerungszuwachs in den betroffenen Ländern, nicht dazu geführt, dass der Reisverzehr zurückgegangen ist.

Welche Akzente müssen demnach gesetzt werden?

Der wichtigste Beitrag der Ernährung zur Stabilisierung des Klimas kann durch einen geringeren oder keinen Fleischverzehr erbracht werden, denn es würde die Umwelt merklich entlasten. Das Überleben auf der Erde wird durch die intensive Tierhaltung entscheidend beeinflusst. Es ist an der Zeit, dass politische und damit wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Sektor nachhaltiger zu gestalten. Dazu kann eine vegetarische Lebensweise im erheblichen Maße beitragen, da sie eine ökologisch günstige und zukunftsgerechte Ernährungs- und Verhaltensweise darstellt. Bei einer Ernährungsumstellung handelt es sich nicht um einen Verzicht, sondern um einen Gewinn, der nicht nur für uns, sondern auch für die nachfolgenden Generationen überlebenswichtig ist.

 

Prof. Dr. Claus Leitzmann, geb. 1933, Studium der Chemie, Mikrobiologie und Biochemie, verschiedene Forschungs- und Lehrtätigkeiten in Kalifornien und Thailand; u.a. Autor des Fachbuches ‚Vollwert-Ernährung', von 1979 bis 1998 Professur für ‚Ernährung in Entwicklungsländern' an der Universität Gießen. Er ist außerdem Autor und Mitautor von über 26 Büchern und mehr als 500 wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
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Christina Klebl

Christina Klebl

Christina Klebl, 1979, ist ehemalige Chefredakteurin von Ursache\Wirkung. Sie hat Psychologie an der Universität Wien studiert, leitet das Seminarzentrum im Mandalahof und ist Geschäftsführerin des Radiologieinstitut  Bellaria.
Kommentare  
# Ramiro 2016-07-11 02:12
Ja und nur so!
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