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Leben

‚Enthaltung von Untaten mit Worten’, so lautet der vierte Trainingspunkt der Sittlichkeit. Ausformuliert bedeutet das: „Ich übe ein Verhalten ein, dass meine Mitwelt meine Worte möglichst wenig fürchten muss.“

Anlass zu Furcht, aber auch zu Hoffnung, geben meine Worte reichlich. Ist das Wort doch ein gar mächtig Ding. Bewundernswert ist das in einer Sprichwörtersammlung von 1548 formuliert:

„Man überredet oft einen, dass er tanzt, der lieber weinet. […] Mit gelehrten Worten überredet man Bauern. Eselsohren sind aller Menschen Wappen, die lassen wir uns gern ansetzen, melken, ziehen; und will die Welt betrogen und mit Wahn regiert sein. Es ist kein größer Gewalt denn der Wort Gewalt. Nicht Besseres denn wo es recht, nicht Böseres denn wo es falsch ist. Darum spricht man, es sei über ein böse Zungen kein schärfer Schwert. In summa, kein ärger und kein besser Fleisch ist denn die Zunge. Mit Gesetz und Worten regiert und leitet man die Welt, führt man die Herzen, heilt man die Gewissen. Wiederum bezaubert, verwundet, ketzert und tötet man die Herzen mit Worten. Darum sich die Heilige Schrift ob der Worte Tyrannei und Seelenmord mehr beklagt, denn von der Tyrannei der Waffen, so allein auf Leib und Gut gerichtet sind. Mit Worten lehrt, mit Worten verführt man die Leute, darum ist’s der beste und böseste Streit.“

Furchtbar ist unwahre, selbstgefällige, nervige, heimtückische, manipulierende und verletzende Rede:

„Verleumdung, Neid und Hass, Trug, Heuchelei und Höhnen / Die ausgeschmückten Wort und fälschliches Beschönen.“
(Friedrich von Logau <1604-1655>)

Beispiele der zu fürchtenden Rede reihe ich im Folgenden in der Art einer Gewissenserforschung auf.

• Unwahre Rede, beispielsweise lügen, täuschen, betrügen, vernebeln, vertuschen, verschweigen, heucheln, frömmeln, leer versprechen, leer bekennen, falsches Zeugnis geben

„Der Christ, der Muselman, der Jude und der Heide:
Sie beugen sich dem Geist der Lüge, wie die Weide
Dem Himmelswind sich beugt; es lügt das Kind, der Mann,
Der Bänker, Bettler lügt; der Höfling, der Tyrann;
Der Held; der Journalist; der Forscher; der Soldat;
Es lügt das Parlament, sowie der Potentat;
Auf seiner Kanzel lügt (und wie!) der Theolog;
Der Sauhirt lügt dafür an seinem Schweinetrog;
[…]
Und kurz und krumm: Ihr Volk, zweibeinig ungefiedert,
Seid all dem Lügengott vervettert und verbiedert.“
(Otto Julius Bierbaum <1865-1910>)

„Säh‘ man in den Taten eines jeden / nur den zehnten Teil von seinen Reden, / wär Berlin ein Eldorado selber.“
(Erich Mühsam <1878-1934>)

Allerdings fürchten wir uns auch oft vor der Wahrheit:

„Wir sperren uns gegen Informationen, die unser Weltbild, unsere Lieblingsvorurteile, unser Selbstwertgefühl, unsere Zukunftshoffnungen ankratzen oder zerstören könnten.“ (Wolf Schneider: Wörter machen Leute, 1986, Seite 250)

Buddha hat darauf Rücksicht genommen und den Leuten nicht die ‚Vier Edlen Wahrheiten’ unvorbereitet um die Ohren geknallt.
• Selbstgefällige Rede, beispielsweise prahlen, wichtigtun, auftrumpfen, übertreiben, schönfärben, bemänteln, sich elitär absetzen, Worteitelkeit, Wortrausch
„Wortkünstler schweben in der stetigen Versuchung, nicht das zu sagen, was sie denken, sondern das zu denken, was zu sagen ihnen so köstlich gelungen ist.“ (Wolf Schneider: Wörter machen Leute, 1986, Seite 193)
Über Gelehrte:
„Denn die Weisheit dieser Herrn
Ist fast immer eitles Prahlen,
Leeres Klappern mit den Schalen!
Denn wer sucht und schmeckt den Kern?“
(Leopold von Goeckingk <1748-1828>)
• Nervige Rede, beispielsweise schwafeln, dumme Witze erzählen, Phrasen dreschen, endlose Reden halten, die anderen nicht zu Wort kommen lassen
„Die größte Plage kluger Ohren,
Ein Ausbund von beredten Toren,
Ein unentfliehlich Ungemach,
Ein Schwätzer, der zu allen Zeiten
Mit rednerischem O! und Ach!
Von den geringsten Kleinigkeiten,
Von Zeitungsangelegenheiten
Und, was noch schlimmer war, meist von sich selber sprach;
Und, dass es ihm ja nicht am Stoffe fehlte,
Was er vorher erzählt, gleich noch einmal erzählte …“
(Christian Fürchtegott Gellert <1715-1769>)

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• Heimtückische Rede, beispielsweise verdächtigen, anschwärzen, verleumden, hintertragen, intrigieren, denunzieren, mobben
„Was können böse Zungen nicht
Leichtgläubigen für Stacheln hinterlassen?
Was richten sie nicht an? Wer ist wohl mehr zu hassen,
Als der von Frommen übel spricht?
O könnt' ich dieses hier in kurze Worte fassen!
Doch Sirach tat es schon, der ungeheuchelt schrieb:
Wer lüget, wer verleumd’t, ist ärger, als ein Dieb.“
(Friedrich von Hagedorn <1708-1754>)


• Manipulierende Rede, beispielsweise sich anbiedern, schmeicheln, irreführen, vertuschen, vertrösten, überreden, verführen, unlauter werben, agitieren, abstempeln, hetzen, Hass und Gewalt predigen
„Das Geheimnis des Geschäftserfolgs ist Ehrlichkeit. Wer sie vortäuschen kann, ist ein gemachter Mann.“ (Irische Kaufmannregel)
„Die verbreiteten Leidenschaften, die man aufstacheln muss, sind: Neid, Angst, Wünsche, Hoffnungen und Hass.“ (William Hamilton: Die Logik des Parlaments, 1808)

„Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da. Wenn einer lange genug für heldisch und tugendhaft fanatisch sagt, glaubt er schließlich wirklich, ein Fanatiker sei ein tugendhafter Held und ohne Fanatismus könne man kein Held sein.“ (Victor Klemperer <1881-1960>, LTI, 1946)

• Verletzende Rede, beispielsweise kränken, auslachen, herabsetzen, lästern, schmähen, anpöbeln, schimpfen, wüten, anschreien, zanken, fertigmachen, einschüchtern, drohen, terrorisieren, erpressen, verfluchen
„Du wirst durch Predigen und Schimpfen
Nur Missmut in die Menschen impfen.“
(Franz von Dingelstedt <1814-1881>)

Notwendige Wahrheit kann auch kränken:

„Immer muss man wiederholen:
Wie ich sage, so ich denke!
Wenn ich diesen, jenen kränke,
Kränk auch er mich unverhohlen.“
(Johann Wolfgang von Goethe <1749-1832>, 1827)

Die positive Macht der Rede stiftet Hoffnung auch, indem sie Gemeinschaft bildet, aufrichtet und informiert.

• Gemeinschaftsbildende Rede, beispielsweise grüßen, Kontakt aufnehmen, Offenheit und Sympathie zeigen, sich unterhalten, plaudern, freundlich, gesellig, fröhlich, höflich und feinfühlig sein

„Die meisten Freundschaften haben keinen anderen Grund als den Hass gegen das Schweigen.“ (Maurice Maeterlinck <1862-1949>)

Redensarten sind nötig, „um die eigentümliche und unangenehme Spannung zu überwinden, die die Menschen empfinden, wenn sie einander schweigend gegenüberstehen … Durch den bloßen Austausch von Wörtern werden Bande der Gemeinsamkeit geknüpft … Es ist ein Gebot der Höflichkeit, etwas zu sagen, auch wenn es kaum etwas zu sagen gibt … Die Sprache als Mittel des Ausdrucks von Gedanken zu betrachten, heißt eine ihrer spezialisierten Funktionen einseitig in den Vordergrund rücken.“ (Bronislaw Malinowski <1884-1942>)

„Nichts zu sagen, wo man sprechen könnte, kann selbst als Waffe dienen …; Verächtlich, demütigend, verwirrend.“ (Wolf Schneider: Wörter machen Leute, 1986, Seite 237)

• Aufrichtende Rede, beispielsweise sich aussprechen und das Herz ausschütten können, sich zuwenden, trösten, aufmuntern, beruhigen, lieben

• Informierende Rede, beispielsweise Gedanken austauschen, sich gegenseitig bestätigen, anregen, mitteilen, hinweisen, belehren, helfen


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 81: „Warum lügst du?"

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Ein ‚Feiertag zum Anhören fremder Argumente’ (Karol Irzykowski <1873-1944>) wäre ideal.

Von unseren Worten können nicht nur Mitmenschen, sondern auch Mit-Tiere Böses befürchten und Gutes erhoffen: Wir können Tiere anschreien, ängstigen, mit Befehlen tyrannisieren. Wir können sie durch unsere Stimme aber auch beruhigen, trösten, ihnen unsere Zuneigung zeigen, sie lieben.

„[Die Wörter] haben so viel damit zu tun, den Irrtum und den Trost zu tragen, den Hass und die Liebe.“ (Wolf Schneider: Wörter machen Leute, 1986, Seite 130).

Bemühen wir uns, dass unsere Wörter das Rechte tragen!

 

Alois Payer, geboren 1944, studierte und lehrte an verschiedenen Universitäten und Hochschulen Indologie, Buddhologie und Religionswissenschaften.

 

Bilder © Pixabay

Alois Payer

Alois Payer, geboren 1944, studierte und lehrte an verschiedenen Universitäten und Hochschulen Indologie, Buddhologie und Religionswissenschaften
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