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Leben

Eine immer tiefere Kluft zwischen Arm und Reich wird in den meisten Ländern aufgerissen. Schuld daran ist die Gier der Finanzmärkte und diese treibt Menschen von der Resignation zur Rebellion.

Einstmals reiche Nationen in Europa, aber auch die USA, weisen ein Maß der Ungleichheit auf, das noch in den 1960er oder 1970er Jahren undenkbar war. Es lassen sich dafür immer auch lokale, nationale und kulturelle Gründe entdecken. Dennoch ist diese Entwicklung ein globales Phänomen geworden. Sie hat viele Ursachen, letztlich aber nur einen Grund: die ins Ungeheure gewachsene Macht der Finanzmärkte. Auch wenn die Herrschaft des Geldes über den Planeten schon deutlich mehr als zweieinhalb Jahrtausende dauert, so hat erst in den letzten Jahrzehnten eine Geldelite durch ein eng verflochtenes Banksystem und in vielfach skandalöser Kumpanei mit den großen Zentralbanken die eigentliche Macht erlangt. Diese Herrschaft hat die innere Natur einer auf dem Schein des Geldes beruhenden Gesellschaft offenbart: Periodisch treten Krisen auf, die immer weitere Teile der Weltbevölkerung ins Elend stürzen, während eine kleine Minderheit – das sprichwörtlich gewordene obere ‚ein Prozent’ – ungeahnte Reichtümer anhäuft.

Die Politik ist von dieser Macht nahezu völlig abhängig geworden und hat, den Finanzmärkten gehorchend, große Unternehmen und Banken mit öffentlichen Mitteln in der Krise gerettet. Dies gelang und gelingt nur durch gewaltige Umverteilungen: Öffentliche Kassen werden geplündert, Staatsausgaben für Renten- und Krankenversicherungen, Arbeitslosen- sowie Armenhilfe und andere soziale Einrichtungen reduziert und Beamte entlassen. Schon seit vielen Jahren verfolgen Weltbank und Internationaler Währungsfonds, die weitgehend unter dem Einfluss des globalen Banksystems und der USA, genauer gesagt der Wall Street stehen, für Schwellenländer eine Politik, die sie zuerst in Verschuldung treibt und dann über Austeritätsmaßnahmen – übersetzt ‚Verarmungspolitik für die Bevölkerung’ – den Schuldenabbau fordert. Sicher, es gibt für die Verschuldung in den Ländern des Südens immer auch lokale Ursachen: die Verschwendungssucht zweifelhafter Regierungen, militärische Ambitionen und Ähnliches. Dennoch lässt sich hier eine Strategie der globalen Finanzelite erkennen. Wer daran zweifelt, kann die Bücher von Joseph Stiglitz, einst Chefökonom der Weltbank, oder Confessions of an Economic Hit Man von John Perkins, einem früheren Beauftragten der US-Regierung für Länder des Südens und des Nahen Ostens, zu Rate ziehen, um sich davon zu überzeugen.

 

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In Europa wird die Verschuldung vielfach auf die Einführung des Euro zurückgeführt. Er hat – so die These – die Südländer dazu verlockt, die neuen günstigen Kreditmöglichkeiten zu einer extensiven Verschuldungspolitik auszunutzen und Reformbemühungen zu unterlassen, die in Deutschland zwar immer mehr Menschen beschäftigt hat, aber nur zu Niedriglöhnen. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Das weltweit niedrige Zinsniveau, diktiert von der US-Notenbank, das nun schon seit über zwei Jahrzehnten herrscht, darf als Hauptursache für die Leichtigkeit der Verschuldung angesehen werden. Kredite wurden sehr billig, auch für Private, Studierende und Immobilienkäufer. Vor allem aber – das war auch die Hauptmotivation dieser Geldpolitik – floss das billige Geld an die Börsen. Nach jedem Crash – und davon gab es seit den 1990er Jahren in regelmäßiger, an Stärke zunehmender Folge viele – stützten Alan Greenspan und später Ben Bernanke als Chefs der US-Notenbank durch Niedrigzinsen die Kurse. Andere Länder waren kraft der schieren Übermacht des US-Finanzmarktes genötigt, dem gleichzutun, um nicht einen Ansturm von reichlich gedruckten Dollars auf ihre Währungen zu riskieren. Es waren diese Niedrigzinsen, die global die Schuldenlast der Privaten und der Staaten ins Unermessliche trieben. Hinzu kamen ‚Finanzinnovationen’ – die Gier der Finanzmärkte kennt keine Grenzen –, Derivate genannt, die allein die Verschuldung im Finanzsektor nach Auskunft der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auf mehr als das Zehnfache des Weltbruttoinlandsproduktes getrieben haben. Die hierbei entstandene globale, wenn auch national sehr unterschiedlich verteilte Schuldenlast bei Privaten und Staaten wurde in der großen Finanzkrise seit 2008 kaum entwertet. Der Banksektor konnte seinen Einfluss dahin geltend machen, dass die Schuldtitel bei den Banken durch öffentliche Mittel und weiteres Zentralbankgeld abgesichert oder ausgelöst wurden (Bailout), während die privaten Schuldner, die Immobilien mit billigen Krediten gekauft hatten, nun von Florida bis zur spanischen Küste auf leerstehenden Häusern und unbezahlbaren Krediten sitzen blieben. Ein weiteres Beispiel aus jüngster Zeit: Während Präsident Obama Ford und GM in Detroit mit Steuermitteln ‚rettete’ und beide Firmen heute wieder Gewinne schreiben, ist die Stadt Detroit pleite, die Bevölkerung verarmt.

Die Erinnerung an diese Zusammenhänge ist notwendig, um die Situation der Bevölkerung in Europa, den USA, in den eng damit verflochtenen Ländern im Norden Afrikas, aber auch die beginnenden Zeichen in China richtig deuten zu können. Weltweit macht sich unter der breiten Bevölkerung – den sprichwörtlichen 99 Prozent – Frust, Depression, Verzweiflung auf der einen Seite, Wut und sich immer häufiger gewaltsam entladende Rebellion auf der anderen Seite breit.

Die wachsende Zunahme der Macht der Finanzmärkte war schon zuvor deutlich spürbar. Man hat immer mehr Unternehmen am Shareholder Value ausgerichtet, also der Rendite für das investierte Kapital der Anleger. Die Rendite steigt, wenn die Kosten sinken. Die Kosten sinken, wenn entweder Mitarbeiter wegrationalisiert oder zu immer höherer Arbeitsintensität getrieben werden. Auch einst durchaus profitable mittlere Unternehmen wurden bei kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten durch Private-Equity-Firmen übernommen. Das sind Firmen, die ihren Investoren in kurzer Zeit hohe Renditen versprechen. Um sie zu erreichen, werden Unternehmen mit geliehenem Fremdkapital aufgekauft, die alte Eigentümerstruktur vernichtet, Löhne bei steigender Arbeitsbelastung gesenkt und in kurzer Zeit ein maximaler Gewinn aus den Unternehmen erpresst, bis schließlich nach Rückzahlung des Kredits Firmen oft schließen oder ins Ausland verkauft werden. Diese Entwicklung hat die Beschäftigten, keineswegs nur Arbeitslose, einem immer stärkeren Druck ausgeliefert, der Menschen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit trieb. Kein Wunder, dass sie sich irgendwann ausgebrannt fühlen und einfach nicht mehr können (Burn-out). In der Management-Literatur wird dieses Burn-out-Syndrom dann einfach als Kostenproblem behandelt: Ausgebrannte Mitarbeiter leisten weniger und verursachen Kosten. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz schätzt die volkswirtschaftlichen Folgekosten von Burn-out in Europa auf etwa 20 Milliarden Euro jährlich. Die menschliche Dimension und die tieferen Ursachen treten bei solchen Schätzungen völlig in den Hintergrund. Die Opfer sind für sie nur eines: weitere Kosten.

Wie reagieren die Menschen – sei es als Mitarbeiter, sei es in Armut oder Arbeitslosigkeit – auf wachsende Belastungen, die eine Austeritätspolitik der Bevölkerung auferlegt? Wie der einzelne Mitarbeiter, so reagiert die Bevölkerung ganzer Nationen: Die Menschen resignieren zunächst im privaten Elend ihrer Situation. Später rebellieren sie dagegen. Was sich als private Resignation in Krankheitssymptomen äußert, das erscheint auf gesellschaftlicher Ebene zuerst als Politikverdrossenheit. Die Wähler bemerken, dass wechselnde Parteien trotz vieler Versprechen sich letztlich doch, einmal an der Regierungsmacht, weitgehend hilflos den Finanzmärkten und dem Banksystem gegenüber gebärden. Es ist kein Zufall, dass wichtige europäische Politiker, aber auch Mitglieder des Zentralbankrates der EZB früher Mitarbeiter großer Privatbanken waren – vor allem Goldman Sachs spielt hier eine unrühmliche Rolle. Dieser keineswegs heimlichen ‚Nebenregierung’ ist es bislang gelungen, noch alle Regierungen zu Maßnahmen zu verführen, die die Belastung der Bevölkerung nur vermehrt haben, ohne die Bonuszahlungen für Manager im Finanzsektor wesentlich zu senken. Rückläufige Wahlbeteiligungen, Parteienverdrossenheit und ein resignativer Rückzug ins Private sind die Folge.

 

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Doch diese vereinzelt bleibende Reaktion ist nur der Anfang. Es gibt in der Geschichte, nachgerade auch der jüngsten, viele Beispiele, dass ständig wachsende Belastungen die Bevölkerung irgendwann aufbegehren lassen. Solche Entwicklungen zeigen sich in aller Regel zunächst an der Peripherie der globalen Märkte. In Südeuropa, aber auch in einigen Brennpunkten der USA, ja sogar in ersten Formen in China – dessen radikalkapitalistische Entwicklung die Ungleichverteilung auch auf ungeahnte Höhen trieb – schlägt Resignation in offene Rebellion um. Das Burn-out-Syndrom mag individuell Zeichen einer Lähmung sein, in seiner sozialen Form wird aus Ermüdung schließlich Widerstand.

Nun ist diese global zu beobachtende Situation, die allerdings auch schon in die bislang friedlichen Ruheinseln wie Deutschland oder Österreich hineinleuchtet, historisch durchaus kein völliges Novum. Immer wieder wird der Vergleich zur Lage vor der Französischen Revolution herangezogen, deren Ursachen in einer nicht mehr bewältigbaren Staatsverschuldung von König und Adel bei einer zugleich verarmenden Bevölkerung zu suchen sind. Gleichwohl ist das Ausmaß der heute zu beobachtenden Entwicklung – ein Spiegel der Globalisierung der Finanzmärkte und des Banksystems – doch völlig neu. Die Finanzbarone sind weit mächtiger, als es der alte Adel je war, und sie sind global vernetzt. Keines der überlieferten spirituellen oder moralischen Systeme hat für diese Situation eine Patentlösung anzubieten. Dennoch gibt es Hinweise.

In der buddhistischen Tradition identifizieren die gar nicht seltenen Ratschläge von Mönchen an Könige die Ursache von Fehlentwicklungen in den Eigenschaften der Herrscher – was für die Moderne durch ‚Zustand der Regierungen und der Politik’ zu übersetzen wäre. Nāgārjuna gibt in seinem Ratnavali, in Form der Belehrung für einen Herrscher geschrieben, den Rat (IV.320): „Tragt Sorge, dass Blinde, Kranke und niedrig Gestellte, Schutzlose, Arme und Verkrüppelte alle gleichermaßen zu essen und zu trinken erhalten, ohne es auch nur einen Tag zu vergessen.“ Es ist nicht schwer, das in eine zeitgemäße Forderung zu übersetzen: Regierungen sollen durch ausgebaute Sozialsysteme dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht das letzte Wort behält. Tatsächlich waren viele politische Ideen nach dem II. Weltkrieg von diesem Geist durchdrungen, in der Sozialdemokratie, aber auch im sozialen Liberalismus, wie er als Soziale Marktwirtschaft doch für einige Jahrzehnte wenigstens in Europa wirksam wurde, teilweise sogar in den USA.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 85: „Burnout"

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Die Durchsetzung der Globalisierung der Finanzmärkte hat über Privatisierungen von Sozialsystemen und mit vollmundigen Versprechungen einer höheren Effizienz privater Leistungen – ein leeres, unerfüllt gebliebenes Versprechen – eine Deregulierung eingeleitet, die diese historisch beispiellose soziale Reform völlig aushöhlte. Nāgārjuna warnt den König, dass eine mangelnde Versorgung der Bevölkerung karmisch höchst nachteilige Wirkungen haben würde und es klug wäre, schon mit Blick auf das eigene Karma, wohltätig zu sein. Das Karma der Austeritätspolitik bedarf indes keiner spirituellen Begründung: Der wachsende Widerstand in immer mehr Ländern lässt die Morgendämmerung einer Rebellion erkennen, die diese Politik eines Tages stoppen wird. Es wäre sehr viel klüger, diese Zusammenhänge zu erkennen und erneut eine soziale Kehrtwende zu vollziehen. Mitgefühl mit der Bevölkerung heißt hierbei nicht, dabei auf rechtliche Schritte gegen jene, die in den Hochhäusern der Finanzzentren betrügerische Anlagespiele treiben, zu verzichten. Vielleicht lässt sich durch beide Maßnahmen eine unheilvolle Entwicklung doch noch verhindern.

Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen, u.a. ‚Buddhistische Wirtschaftsethik‘ (2. Auflage, 2011); ‚Die Herrschaft des Geldes‘ (2. Auflage, 2012); ‚Säkulare Ethik‘ (2015).

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Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen,...
Kommentare  
# Uwe Meisenbacher 2017-04-24 12:18
Hallo Herr Brodbeck,

Ihr Artikel ist ein sehr guter Aufklärungsbeitrag und das nicht nur für Buddhisten.

Die herrschenden Finanz-, Wirtschaft-, und Politikeliten, ( Establishment ) stellen permanent ihre Glaubwürdigkeit in Frage und verhindern eine soziale und um-
weltverträgliche Ökonomie: Durch ihre maß-
lose Gier nach Profitmaximierung ist ihnen
Ethik, Moral und Gemeinwohl, scheißegal. Sie machen Reiche reicher und Arme ärmer und zerstören die für uns lebensnotwendige natürliche Umwelt.
So darf es nicht weiter gehen, wir Menschen müssen
mehr Empathie und Achtsamkeit entwickeln und gegen diese Verblendungen aktiv werden, um solche fiesen, ungerechten, menschenverachtenden, selbstzerstörenden Verhaltensweisen
zu verändern.
Eine Gesellschaftliche Veränderung ist unbedingt erforderlich.

Buddhas Pfad der Weisheit „mache das Heilsame , lasse das Unheilsame und entwickle
deinen Geist“, ist eine gut praktizierende Anleitung.

Mit freundlichen, aberglaubensfreien, heilsamen, reformierten, buddhistischen Grüßen

Uwe Meisenbacher
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# Dr. Retier 2019-01-07 09:56
Spannender Artikel! Ich glaube jeder hat mal mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen, doch wie wir damit umgehen und wie es uns beeinflusst hängt von unserer sozialen und finanziellen Situation ab.
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