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Achtsamkeit & Meditation

Gedanken über Zufriedenheit. Eine Erklärung aus buddhistischer Sicht.

 Zunächst: Was buddhistische Zufriedenheit nicht ist. Zufriedenheit ist nicht dumme Selbstzufriedenheit.

„Fröhlich, zufrieden sein,
Ist das Selbsterkenntnis
Oder tierische Stumpfheit?
Ist es Selbstvergessen
Oder Geistesarmut?"
(Dranmor, 1860)

„Guter Rat ist billig
Sie pflegen höchlich zu empfehlen,
Dass man Zufriedenheit gewinnt.
Leicht haben's die bescheidnen Seelen,
Die mit sich selbst so höchst zufrieden sind."

(Paul Heyse, 1885)

Buddha ist ein echter Aufklärer, der uns anleitet, uns selbst realistisch zu sehen. Da gilt für alle Unerlösten: „Der Narr ist zufrieden mit sich."

Im Unterschied zur Weiterführung dieses Sprichworts – ‚der Weise mit der Welt' – bedeutet Zufriedenheit des Weisen im Sinne Buddhas nicht, dass man mit dem naturgegebenen Zustand der Welt und besonders des Menschen zufrieden ist. Die Legende berichtet, dass Siddhartha, der künftige Buddha, unzufrieden, aufgewühlt von den Ausfahrten zurückgekommen ist, bei denen er einem Kranken, einem Alten bzw. einem Toten begegnet ist. Die Erkenntnis, dass alle Menschen der Tyrannei von Krankheit, Alter und Tod unterworfen sind, ist kein Grund zur Zufriedenheit, sondern zur geistigen Revolte. Das ist auch der Hauptgrund des buddhistischen Atheismus. Sagt doch das Sprichwort richtig:

„Wer mit der Welt unzufrieden ist, wie kann der zufrieden sein mit Gott."

Buddha lobt zwar Mönche und Nonnen, die mit dem Lebensnotwendigen an Nahrung, Kleidung, Wohnung und Arznei zufrieden sind. Buddha verherrlicht aber nicht unfreiwillige Armut. Im Gegenteil: Buddhas Ideal für den Laien ist Wohlstand. So ist recht verstandener Buddhismus kein Opium des Volkes (er ist wohl auch keine Religion):

„Das religiöse  Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." (Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1844)

Buddha vertröstet die Menschen nicht auf ein besseres Jenseits, sondern fordert von der Politik die Ermöglichung eines menschenwürdigen Diesseits.

Buddha lehrt zwar Karma und Wiedergeburt, er lehrt aber nicht, dass die leidenden Menschen zu allem als karmabedingt zufrieden Ja und Amen sagen sollen.

Diese falsche ‚Ja-und-Amen-Zufriedenheit' schildert anschaulich Friedrich Engels:

„Es sind jetzt ungefähr hundert Jahre, seit in Leipzig ein Buch erschien, das bis Anfang dieses Jahrhunderts dreißig und einige Auflagen erlebte, und in Stadt und Land von Behörden, Predigern, Menschenfreunden aller Art verbreitet, verteilt und den Volksschulen allgemein als Lesebuch zugewiesen wurde. Dieses Buch hieß: Rochows Kinderfreund. Es hatte den Zweck, die jugendlichen Sprösslinge der Bauern und Handwerker über ihren Lebensberuf und ihre Pflichten gegen ihre gesellschaftlichen und staatlichen Vorgesetzten zu belehren, ingleichen ihnen eine wohltätige Zufriedenheit mit ihrem Erdenlose, mit Schwarzbrot und Kartoffeln, Frondienst, niedrigem Arbeitslohn, väterlichen Stockprügeln, und andern derartigen Annehmlichkeiten beizubringen, und alles das vermittelst der damals landläufigen Aufklärung. Zu diesem Zweck wurde der Jugend in Stadt und Land vorgehalten, welch eine weise Einrichtung der Natur es doch sei, dass der Mensch sich seinen Lebensunterhalt und seine Genüsse durch Arbeit erwerben müsse, und wie glücklich sich demnach der Bauer und Handwerker zu fühlen habe, dass ihm gestattet sei, sein Mahl durch saure Arbeit zu würzen, statt wie der reiche Prasser an verdorbnem Magen, Gallenstockung oder Verstopfung zu laborieren und die ausgesuchtesten Leckerbissen nur mit Widerwillen hinunterzuwürgen." (Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, 1878)

Von ‚Rochows Kinderfreund' und der darin propagierten Zufriedenheit hätte Buddha gewiss keine hohe Meinung gehabt. Er nannte Leiden ‚Leiden', ohne Wenn und Aber, ohne romantische Verklärung des unfreiwilligen ‚einfachen Lebens'.

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Für Buddha gilt: Die Menschen sollen ihre Situation verbessern. Ihre Mitmenschen, besonders die für die sozialen Zustände Verantwortlichen, sollen nicht zufrieden zuschauen, wie gerecht der Lauf der Welt ist, da es ihnen selbst gut, den anderen aber schlecht geht. Die Mitmenschen sollen vielmehr in Mitgefühl tätig werden gegen das Leiden der Zukurzgekommenen. Leider ist es so, dass in buddhistischen Ländern von den Privilegierten und ihren Handlangern im Mönchsorden die Lehre Buddhas missbraucht wird, um die Unterdrückten und Ausgebeuteten still und mit ihrem Los zufrieden zu halten.

Buddha war zwar sehr ‚bürgerlich', er war aber kein Spießbürger, wie dieser von Kurt Tucholsky 1919 beschrieben wurde:

„Die Bürger nicken. ... Sie wollen Ordnung – das heißt: Unterordnung. Sie wollen Ruhe – das heißt: Kirchhofsstille."

Buddha ist aber auch kein sozialer Revolutionär, der den Menschen ein Paradies auf Erden verspricht, wenn sie sich nur bis dahin verheizen lassen. Buddha hat eingesehen, dass wir nie nachhaltig zufrieden sein werden, solange die Ursache unserer Unzufriedenheit besteht, nämlich die Gier:

„Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens: es ist die Gier, die das Entstehen von Leid bewirkt; die Gier, die Wiederentstehen bedingt, die von Freude und Leidenschaft begleitet ist, die hier und dort ihre Freude findet; die Gier nach Sinnenlust, die Gier nach Werden, die Gier nach Vergehen."

Kurt Tucholsky beschreibt das 1912 sehr emotionsgeladen:

„Glücklich sein, aber nie zufrieden. Das Feuer nicht auslöschen lassen, nie, nie! ... Und es gibt keine tiefere Sehnsucht als diese: die Sehnsucht nach der Erfüllung. Sie kann nicht befriedigt werden ..."

Oder – gelehrter ausgedrückt – Immanuel Kant:

„Glückseligkeit ist das Losungswort aller Welt. Aber sie findet sich nirgends in der Natur, die der Glückseligkeit und der Zufriedenheit mit dem vorhandenen Zustande nie empfänglich ist." (WW. VIII, 643)

Oder ironisch im Sprichwort:

„Die Natur ist mit Wenigem zufrieden, sagte der Wolf, als er das dritte Schaf zerriss."

Es gibt unzählige Hirngespinste, denen wir gierig aus Unzufriedenheit nachhecheln. Ich kann nur ziemlich willkürlich einige dieser Wahnideen nennen, die viele von uns unzufrieden machen: Schönheitswahn der Jungen, Jugendlichkeitswahn der Alten, die Wahnidee von der Motivation durch materielle Anreize (‚Boni-Wahn'), Berühmtheitswahn (‚... sucht den Superstar'), Guru-Wahn (man erwartet von Menschen Übermenschliches), Titelwahn (‚His Holiness', Dr. von und zu), Ich-Wahn usw. usw.

Denn sprichwörtlich:

„Der Wahn regiert die Welt."

„Der Wahn ist der schlimmste Tyrann."

Aber: „Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang." (Friedrich Schiller: Das Lied von der Glocke, 1799)

„Das glücklichste Leben ist ihm beschieden,
Doch niemand auf Erden ist zufrieden.
Das edle Tier, man weiß nicht wie,
Versinkt in tiefe Melancholie."
(Heinrich Heine, Romanzero, 1851)

Zusammenfassend können wir das buddhistische Ideal als ‚zufrieden unzufrieden' beschreiben. Zufrieden insofern, als man nicht gierig immer neuen Hirngespinsten, immer mehr, immer besser, nachhechelt, in der Illusion, so das bleibende Glück zu finden. Unzufrieden insofern, als man nüchtern abgeklärt, veränderbare Missstände nicht als unveränderlich gegeben (Karma) hinnimmt oder sie als wahres Glück verklärt. Unzufrieden auch insofern, als man nicht von der ‚weisen Natur' schwärmt (‚natürlich ist gut'), sondern einsieht und zugibt, dass der Lauf der Natur Leiden für uns und unsere Mitwelt bedeutet.

„Gesundheit ist das höchste Gut,
Zufriedenheit der reichste Schatz,
Gemütsruhe der beste Freund,
Nibbānam allerhöchstes Glück."
(Dhammapada 204)

„Zufrieden sein ist große Kunst,
Zufrieden scheinen – bloßer Dunst;
Zufrieden werden – großes Glück,
Zufrieden bleiben – Meisterstück."

(Fliegende Blätter, Bd. 63)

Möge uns das Meisterstück gelingen!

Alois Payer, geboren 1944, studierte und lehrte an verschiedenen Universitäten und Hochschulen Indologie, Buddhologie und Religionswissenschaften.

 

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Alois Payer

Alois Payer, geboren 1944, studierte und lehrte an verschiedenen Universitäten und Hochschulen Indologie, Buddhologie und Religionswissenschaften
Kommentare  
# Uwe Meisenbacher 2019-04-12 22:56
Eine der Hauptursachen für das Leid in unserem Leben ist das Beharren auf unserer Vorstellung, wie die Dinge zu sein haben.Wenn sie sich in unserem Sinn entwickeln und wir das Gefühl haben, unseren Willen zu bekommen, erfahren wir Zufriedenheit. Wenden sich die Dinge aber „gegen uns“ und nehmen sie nicht den erwünschten, erwarteten oder geplanten Verlauf, sind wir frustriert, zornig, verletzt und fühlen uns um unseren Erfolg betrogen – wir leiden. Das Paradoxe daran ist, dass wir eigentlich gar nicht wirklich wissen, was in unserem Sinn ist, auch wenn wir ständig danach verlangen. Wenn wir bekommen, was wir wollen, ist es meistens doch nicht genug. Unser Geist hält dauernd nach Dingen Ausschau, die er zusätzlich zu brauchen meint, um sich ausgefüllt und zufrieden zu sein.
Aus diesem Grund ist er meistens nicht lange zufrieden damit, wie die Dinge sind, selbst dann, wenn eigentlich alles ganz erfreulich und harmonisch ist.


Mit freundlichen, aberglaubensfreien, heilsamen, buddhistischen Grüßen

Uwe Meisenbacher
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