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Achtsamkeit & Meditation

Der Bochumer Achtsamkeitsforscher Johannes Michalak, über Meditationsforschung, wie Achtsamkeit bei Depressionen hilft und warum wir trotzdem nicht auf die spirituelle Dimension vergessen sollten.

Wie ist der aktuelle Stand in der Meditationsforschung bei Depression?

Johannes Michalak: Aktuell vorliegende Untersuchungen lassen darauf schließen‚ dass die ‚Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie' – in Kurzform MBCT (Mindfulness Based Cognitive Therapy) genannt – ein geeignetes Verfahren ist, um Depressive vor Rückfällen zu bewahren. Es kommen Elemente aus dem achtsamkeitsbasierten Stressbewältigungsprogramm des Verhaltensmediziners Jon Kabat-Zinn (MBSR) mit Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie in einem 8-Wochen-Kurs zur Anwendung. Die bisher durchgeführten Studien dokumentierten, dass Meditation zur Verminderung körperlicher und psychischer Symptome führen kann, sich die Bewältigung von Stresssituationen verbessert, die Fähigkeit zu entspannen gestärkt wird und sich Selbstvertrauen, Akzeptanz, Lebensfreude und Vitalität einstellen. Besonders scheint Meditation bei Betroffenen zu greifen, die in der Vergangenheit bereits mehr als drei depressive Episoden erlitten haben. Eines der Kernprobleme bei Depression ist, dass auch nach Abklingen einer akuten Phase ein sehr hohes Rückfallsrisiko besteht. Mittlerweile liegen auch schon erste Untersuchungen zu akut und chronisch Depressiven vor – fundierte Aussagen können aber derzeit noch nicht getroffen werden.

Johannes Michalak, aus welchen Komponenten setzt sich die MBCT zusammen?

Die MBCT setzt sich – grob gesehen – aus zwei Teilen zusammen: zum einen aus der Praxis der Achtsamkeit und zum anderen aus Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie. Im Achtsamkeitsteil wird das bewusste Lenken der eigenen Wahrnehmung und der Bezug zum Hier und Jetzt als Gegenpol zu depressiven Gedankenmustern erlernt. In den acht Wochen werden intensiv formelle Achtsamkeitsübungen mit den Patienten geübt. Beispielsweise wird die klassische Sitzmeditation praktiziert, bei der die Patienten lernen, mit ihrem Atem, später dann auch mit dem Ganzkörpergefühl und ihren Gedanken achtsam und mitfühlend in Kontakt zu treten. Diese formellen Übungen werden auch jeden Tag zu Hause 45 Minuten lang von den Patienten praktiziert. Darüber hinaus werden informelle Übungen gelehrt, bei denen Alltagstätigkeiten achtsam ausgeführt werden sollen, um Achtsamkeit mehr und mehr in den Lebensalltag der Patienten zu integrieren. Automatische Gedankenflüsse sollen so bewusster wahrgenommen werden, um negative Gedankenspiralen zu verhindern. Zusätzlich kommen noch sogenannte kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen zum Einsatz. Dabei geht es im Kern darum, eine andere Haltung gegenüber seinen Gedanken und Gefühlen zu entwickeln. Die Patienten sollen lernen, dass Gedanken keine Tatsachen sind, sondern vielmehr mentale Ereignisse. Dies soll sie dabei unterstützen, nicht in depressiven Grübelprozessen zu versinken. Ein weiterer Punkt ist, dass grundlegende Informationen zum Thema Depressionen erteilt werden, also z.B. wie sie entstehen oder was ich dagegen tun kann.

Zu welchen tiefgreifenden Veränderungsprozessen kann Meditation führen?

Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Psychologie wird durch die Achtsamkeitsmeditation einerseits die Fähigkeit geübt, sich mit den eigenen Gedanken nicht mehr so stark zu identifizieren und andererseits wird gelernt, unangenehme Gefühle nicht zu vermeiden, sondern ihnen mitfühlend zu begegnen. Kurz gesagt: Durch die Meditation lernt man, aus dem eigenen mentalen Film auszusteigen und das diskursive Denken – also das rationale, bewertende – so gut es geht zu reduzieren. Ein Beispiel: Ich erinnere mich an einen Streit und grüble darüber nach. Dadurch fühle ich ihn weniger erfahrungsbezogen, sondern denke eben diskursiv darüber nach. Ich konzentriere mich nicht darauf, was der Streit bei mir körperlich auslöst, sondern lasse ständig die Gedanken kreisen. Die Achtsamkeit unterstützt die Fähigkeit, aus diesem ‚Autopiloten' auszusteigen und verhilft Depressiven zu einem besseren Verständnis der eigenen inneren Zustände. Anzeichen möglicher Rückfälle können so Tage, Wochen oder bereits Monate vorher erkannt werden. Sie können sich dann bewusster entscheiden, aus dieser negativen Gedankenspirale auszusteigen. Hier kommt dann die kognitive bzw. die Verhaltensebene ins Spiel. Mit dem Grundlagenwissen um die Depression versuchen Betroffene dann vermehrt, Dinge zu unternehmen, die sie stabilisieren und die die Fähigkeit fördern, sich ganz mit der Gegenwart in Kontakt zu fühlen.

Johannes Michalak

Die in der Therapie der Depression angewendete Meditation scheint eine von Religion losgelöste Technik zu sein. Ist es legitim, Meditation aus dem religiösen Zusammenhang zu reißen?

Die Meditation als eine Möglichkeit im Gesundheitsbereich zu nutzen, Menschen dabei zu helfen, aus ungünstigen gedanklichen Prozessen und schädlichen Verhaltensmustern auszusteigen, ist sicher eine legitime Möglichkeit, Meditation zu praktizieren. In diesem Fall sollte sie ohne Verpflichtung zu einer spirituellen oder religiösen Voreinstellung angeboten werden, um sie möglichst offen und für viele Personen zugänglich zu machen. Dabei ist unter einer wissenschaftlichen Perspektive klar, dass es neben den Veränderungen auf der Ebene der Symptomatik und der Denk- und Verhaltensmuster auch zu vielfältigen Veränderungen der Aktivierungsmuster des Gehirns kommt.
Aber es sollte auch bedacht werden, dass dies nur eine mögliche Form ist, Meditation zu praktizieren und zu betrachten. Eine Gefahr dieser Perspektive kann dabei darin bestehen, dass Meditation in dem auf Effizienz konzentrierten Gesundheitssystem einseitig instrumentalisiert wird und der eigentliche Kern der Übungen – der zweck- und absichtsfreie Kontakt mit dem ‚Wunder des Augenblicks' – aus dem Blick gerät. Daher halte ich ein wirkliches Austauchverhältnis von Wissenschaft und spirituellen Wurzeln der Meditationstradition für entscheidend.

Johannes Michalak, geb. 1967, ist Diplom-Psychologe, Psychotherapeut, Supervisor. Promotion und Habilitation an der Universität Bochum. Seit 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter/Assistent an der Arbeitseinheit für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. Langjährige Übungserfahrung in Zen und Qi Gong.
 
 Bilder © Pixabay
Christina Klebl

Christina Klebl

Christina Klebl, 1979, ist ehemalige Chefredakteurin von Ursache\Wirkung. Sie hat Psychologie an der Universität Wien studiert, leitet das Seminarzentrum im Mandalahof und ist Geschäftsführerin des Radiologieinstitut  Bellaria.
Kommentare  
# Anna katharina 2016-06-13 15:58
Leider leben wir viel zu oft, viel zu lange im Autopiloten...
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